Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So bringt Erdogan die unabhängig­en Medien zum Schweigen

Der Präsident bezeichnet kritische Medienberi­chte als „Lügenterro­r“und will soziale Netzwerke noch strenger kontrollie­ren

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul In der Türkei sollen jetzt auch die letzten unabhängig­en Medien zum Schweigen gebracht werden. Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte neue Beschränku­ngen für die sozialen Medien an, mit denen er den „Lügenterro­r“kritischer Medien stoppen wolle. Zudem will Ankara ausländisc­he Finanzhilf­e für unabhängig­e Medien in der Türkei erschweren. Ziel ist die Kontrolle aller Nachrichte­n, die in der Türkei verbreitet werden. Kritik wird nicht geduldet, selbst wenn Erdogan mitten in einer Rede einschläft wie vor ein paar Tagen.

Rund 90 Prozent der türkischen Zeitungen und Fernsehsen­der werden nach Schätzung von Experten von der Regierung kontrollie­rt. Die meisten gehören Geschäftsl­euten, die sich mit regierungs­treuer Berichters­tattung staatliche Aufträge etwa in der Bau- oder der Energiebra­nche sichern. Diese Medien erhalten zudem staatliche Anzeigen und Werbespots großer Unternehme­n und sind Sprachrohr­e der Regierung. Manchmal erscheinen sechs oder sieben Zeitungen mit wortgleich­en Überschrif­ten auf ihren Titelseite­n.

Unabhängig­e oder regierungs­kritische Medien müssen ums finanziell­e Überleben kämpfen, weil sich Geschäftsl­eute scheuen, bei ihnen Anzeigen zu schalten. Reporter und Redakteure werden festgenomm­en. Dennoch sind unabhängig­e Medien wie der Internet-Fernsehsen­der Medyascope oder die Online-Plattform Bianet für Millionen Türken zu einer wichtigen alternativ­en Informatio­nsquelle geworden. Mehr als 33 Millionen Türken nutzen nach einer Untersuchu­ng des Internatio­nalen Presse-Instituts IPI die digitalen Inhalte unabhängig­er Medien; die regierungs­nahen Medien kommen demnach auf knapp 48 Millionen Nutzer. Während das Interesse an den Regierungs­medien stagniert, wächst die Reichweite der Unabhängig­en.

Regierung will das nicht mehr hinnehmen. Der Präsident kündigte jetzt laut regierungs­nahen Zeitungen die Gründung einer Aufsichtsb­ehörde für die sozialen Medien an. Sie soll nach dem Vorbild der TV-Kontrollbe­hörde RTÜK arbeiten, die regierungs­kritische Kommentare in Fernsehen und Rundfunk häufig mit Geldstrafe­n oder Sendeverbo­ten ahndet. Schon seit dem vergangene­n Jahr schreiben die türkischen Gesetze vor, dass sich große Internetpl­attformen wie Twitter in der Türkei den Regeln der Erdogan-Regierung unterwerfe­n. Das sei aber nicht genug, um den „Lügenterro­r“im Netz zu bekämpfen, sagte Erdogan vor einigen Tagen.

Gleichzeit­ig will die Regierung gegen unabhängig­e Medien vorgehen, die Geld aus dem Ausland erhalten. Ankara werde etwas gegen die „fünfte Kolonne“des Auslands in den Medien unternehme­n, erklärte Kommunikat­ionsdirekt­or Fahrettin Altun. Er meinte damit vor allem den Internet-Sender Medyascope des angesehene­n JournalisE­rdogans ten Rusen Cakir. Medyascope erhält finanziell­e Unterstütz­ung von der Chrest-Stiftung der amerikanis­chen Unternehme­rfamilie Jensen, von der EU-finanziert­en Organisati­on EED, der deutschen Heinrich-BöllStiftu­ng und von der schwedisch­en Entwicklun­gsorganisa­tion Sida. Obwohl Cakirs Sender diese – legalen – Geldquelle­n auf seiner Internetse­ite offenlegt, wird er nun beschuldig­t, vom Ausland finanziert zu werden. Auch die Nachrichte­nplattform Bianet, die ebenfalls Geld von der EU und europäisch­en Institutio­nen erhält, veröffentl­icht ihre Finanzquel­len.

Altun erklärte, manche ausländisc­hen Regierungs­chefs machten keinen Hehl daraus, dass sie in die politische Ordnung in der Türkei eingreifen wollten. Die Regierung rechtferti­gt die geplanten neuen Regeln zudem mit Vorschrift­en in den USA gegen angebliche russische Propaganda. In einer gemeinsame­n Erklärung zeigten sich 23 europäisch­e Pressefrei­heitsorgan­isationen besorgt über die türkischen Pläne. Die Regierung in Ankara wolle offenbar „die Medienfrei­heit und den Pluralismu­s in der Gesellscha­ft noch weiter untergrabe­n“.

Selbst regierungs­nahe Medien bekommen den Zorn des Präsidiala­mts zu spüren, auch wenn sie nur leise Kritik üben. Bei der Internetze­itung Habertürk war das der Fall, nachdem das staatliche Presseamt das Video einer verunglück­ten Erdogan-Rede verbreitet hatte: Der Clip zeigte, wie der Präsident mitten in einem Satz einschlief. Kolumnist Fatih Altayli, einer der bekanntest­en Journalist­en im Land, fragte in einem Kommentar, wie es sein könne, dass ein solches Video an die Öffentlich­keit komme. Die Bilder des erschöpfte­n Erdogan schadeten der Türkei. Altayli spekuliert­e, dass jemand aus dessen Umgebung die Bilder absichtlic­h ungeschnit­ten lancierte, um ihn schlecht aussehen zu lassen. Altun warf Altayli darauf „Desinforma­tion und Lüge“vor und drohte mit Konsequenz­en.

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Foto: Mustafa Kaya, dpa Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan duldet keine Kritik.

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