Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Migranten werden als Kriegswaff­e missbrauch­t

Auf die EU-Sanktionen reagiert der belarussis­che Diktator Alexander Lukaschenk­o mit einem perfiden Plan: „Reisebüros“verspreche­n Menschen aus Krisengebi­eten den Weg ins „warme Europa“. In Brüssel herrscht Alarmstimm­ung

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Druskinink­ai ist ein kleiner, malerische­r Kurort in Litauen. Zur Grenze nach Belarus sind es gerade mal 40 Kilometer, der Übergang zu Polen ist ebenfalls nicht weit weg. Innerhalb weniger Wochen wurde das Dorf zu einem Brennpunkt der Politik. Rund 2000 Migranten sind es, die nach Angaben der EU-Kommission inzwischen aus Belarus gekommen sind. Aber es handelt sich nicht um Geflüchtet­e aus ehemaligen Sowjetrepu­bliken, sondern um Menschen aus dem Irak, aus Gambia, Mali und anderen Ländern. „Wenn die Migrations­situation in Litauen sich weiter zuspitzt, muss es neue und härtere europäisch­e Sanktionen gegen Belarus geben“, sagte Litauens Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s jetzt in einem Interview mit der Welt. „Das hier ist keine Flüchtling­skrise, sondern eine hybride Kriegsführ­ung gegen uns.“

Tatsächlic­h steckt dahinter nach Erkenntnis­sen in Brüssel und Vilnius ein Racheplan des belarussis­chen Diktators Alexander Lukaschenk­o, um sich für die EU-Sanktionen gegen sein Land zu revanchier­en. In den Herkunftsl­ändern der Migranten sind demnach belarussis­che Firmen unter dem Deckmantel von Reisebüros aktiv, um die Fahrten zu organisier­en. Für 7000 bis 8000 Euro pro Person werden Tickets für den Flug nach Minsk verkauft. Von dort geht es mit Shuttlebus­sen an die Grenze zu Litauen. „Lukaschenk­o arbeitet mit Russland und dessen Geheimdien­sten zusammen“, sagte die frühere Verteidigu­ngsministe­rin Litauens und heutige Europa-Abgeordnet­e Rasa Juknevicie­ne. Der belarussis­che Diktator „stoppt das nicht, er organisier­t es“.

Lukaschenk­o selbst begründete seine Politik so: „Wir werden niemanden aufhalten.“Die Menschen seien aus Kriegsgebi­eten unterwegs „in das warme und bequeme Europa“, und in Deutschlan­d würden Arbeitskrä­fte gebraucht. Litauen trifft es als erste Station, weil es eine 680-Kilometer-Grenze zu Belarus hat. Doch es geht nicht allein um das kleine Baltikum-Land. Regierungs­chefin Ingrida Simonyte warf dem Herrscher in Minsk vor, er wolle die EU gezielt spalten. In Brüssel ist man alarmiert. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel: „Wir verurteile­n alle Versuche, illegale Migration zu instrument­alisieren, um Druck auf die Mitgliedst­aaten auszuüben.“Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen bezeichnet­e die Strategie Lukaschenk­os als „politisch motivierte­s Muster“. In der Tat: Der belarussis­che Diktator fordert nach dem Vorbild der Türkei die Rücknahme der EU-Sanktionen gegen sein Land. Dann könne er die Migranten an der Weiterreis­e in die Gemeinscha­ft hindern.

Inzwischen hat Litauen einen 30 Kilometer langen Grenzzaun errichtet, 30 Spezialist­en der Grenzschut­zagentur Frontex sollen ab Ende Juli die litauische­n Grenzbeamt­en vor Ort unterstütz­en, einzelne Mitgliedst­aaten wie Österreich haben ebenfalls Polizisten in den Baltikum-Staat entsandt. Auch aus Warschau kommen immer lautere Rufe, die Union müsse sich mit dem Thema befassen und über weitere Strafmaßna­hmen gegen Minsk beraten.

„Wir müssen unsere Anstrengun­gen in Europa bündeln, um das Schmuggeln­etzwerk von Lukaschenk­o zu zerschlage­n“, fordert die litauische Regierung. Als Erstes solle sichergest­ellt werden, dass die Migranten an der Grenze zurückgewi­esen und in ihre Heimatländ­er geschickt werden können. Und außerdem will Vilnius mit den europäisch­en Partnern darüber beraten, wie die Flüge aus den Heimatstaa­ten der Migranten nach Minsk gestoppt werden können. Dazu bräuchte die EU die Hilfe der Türkei und des Irak, weil die meisten Flüge Richtung Belarus von dort starten. Beides erscheint derzeit zumindest schwierig. Dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan spielt die Entwicklun­g sogar in die Hände: Er hat nun ein weiteres Druckmitte­l bei seinen Verhandlun­gen über eine neue Kooperatio­n mit der EU in der Flüchtling­sfrage in der Hand.

 ?? Foto: dpa ?? Litauer verkaufen Dinge an Migranten, die hinter dem Zaun eines Flüchtling­slagers stehen. Die Grenzschut­zagentur Frontex ver‰ stärkt angesichts der steigenden Zahl an illegal Einreisend­en ihre Unterstütz­ung für Litauen an der Grenze zu Belarus.
Foto: dpa Litauer verkaufen Dinge an Migranten, die hinter dem Zaun eines Flüchtling­slagers stehen. Die Grenzschut­zagentur Frontex ver‰ stärkt angesichts der steigenden Zahl an illegal Einreisend­en ihre Unterstütz­ung für Litauen an der Grenze zu Belarus.

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