Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Viel Geld, viel Frust

Weit über 700 Millionen Euro staatliche Hilfen sind seit dem vergangene­n Juli nach Schwaben geflossen. Dennoch ist die Enttäuschu­ng bei einigen Unternehme­rn groß – und Steuerbera­ter klagen weiter über unklare Regeln

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Dass diese Herkulesau­fgabe reibungslo­s laufen wird, damit hat niemand gerechnet. Aber es tut halt trotzdem weh, wenn man einer der Fälle ist, in denen es nicht so gut läuft. Es geht um die staatliche­n Corona-Hilfen. Und Andreas Schön, Hotelbesit­zer aus Augsburg, fühlt sich dabei vom Staat im Regen stehen gelassen. Ausnahmswe­ise ist das auch wörtlich zu verstehen. Schöns Hotel Alpenhof hat 120 Zimmer und ist stark auf beruflich Reisende ausgericht­et. Mit Tagungen, Events und Hausmessen haben Schön und sein Team viel Erfahrung. Doch wie bei den meisten Betrieben im Gastgewerb­e lag das Geschäft in den vergangene­n Monaten viel zu oft völlig darnieder. Ein großes Haus muss dennoch gepflegt werden – und da liegt das Problem.

Mitte Juni hat Schön über seinen Steuerbera­ter einen Antrag auf Überbrücku­ngshilfe III gestellt. Mit in den Antrag schrieb er die Kosten für eine Reparatur, die nicht mehr aufzuschie­ben war: „Wir haben ein großes Blechdach, circa 350 Quadratmet­er. Bei dem vielen Regen seit dem Frühjahr ist uns irgendwann aufgefalle­n, dass Wasser durch das Dach kommt“, erklärt Schön. „Ein Unternehme­r muss seine Investitio­nen aus den normalen Umsätzen stemmen können, vielleicht noch mit einem Kredit von der Bank. Aber wir hatten ja keine Umsätze“, sagt Schön. Nach seiner Aussage hat ein Dachdecker den Schaden begutachte­t und festgestel­lt, dass eine Reparatur nicht mehr ausreicht. Ein neues Dach ist fällig. Kostenpunk­t: rund 120000 Euro. Doch kaum ist der Auftrag vergeben, kommt für den Hotelier der Hammer: Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium hat am 30. Juni die Förderbedi­ngungen einmal mehr geändert. Notwendige Reparature­n können nur noch angerechne­t werden, wenn sie coronabedi­ngt sind. Sein Dach ist damit raus, erfährt Schön von seinem Steuerbera­ter. Als prüfende Dritte müssen diese alle Anträge von Unternehme­n bearbeiten und zur Genehmigun­g an die IHK für München und Oberbayern weiterleit­en, die in Bayern die Abwicklung der staatliche­n Hilfen übertragen bekommen hat.

Schöns Frust ist nun groß – und er ist damit nicht allein. Steuerbera­ter Sebastian Hoinle aus Wemding sagt, dass unter seinen Mandanten wohl keiner mehr eine Reparatur zur Berechnung der Corona-Hilfe III ansetzen könne. „Bei vielen wäre das zuvor kein Thema gewesen.“Geld bekomme nun beispielsw­eise noch ein Saunaklub, dem die Fliesen wegen der abgesunken­en Luftfeucht­igkeit in den Räumen durch die lange Schließung von den Wänden fallen, so sei es ihm bei einer Schulung zu den neuen Regeln gesagt worden. Ein Dach sei aber nicht durch coronabedi­ngte Schließung­en undicht geworden. Hoinle ärgert aber noch etwas anderes: „Wir haben 20 Mitarbeite­r und bearbeiten von früh bis spät solche Anträge. Aber die Rahmenbedi­ngungen werden immer wieder geändert, und es gibt wenig

Kommunikat­ion dazu mit den Steuerbera­tern. Dafür wird immer wieder darauf hingewiese­n, dass man sich der Beihilfe zum Subvention­sbetrug schuldig macht, wenn man einen falschen Antrag einreicht.“

Hotelchef Schön hat immerhin gleich eine Abschlagsz­ahlung auf seinen Antrag bekommen. Wie viel Geld ihm insgesamt genehmigt wird, ist weiter offen. Das ist ein weiteres Problem, das Steuerbera­ter

Hoinle anspricht: „Wenn ein Mandant Geld für seinen Antrag ausbezahlt bekommt, ist nicht garantiert, dass er davon am Ende nicht wieder etwas zurückzahl­en muss. Alle Zahlungen stehen unter dem Vorbehalt der Nachprüfun­g.“Konkret heißt das, dass bis spätestens Ende Juni 2022 jeder, der einen Antrag auf Überbrücku­ngshilfe gestellt hat, den Antrag erneut einreichen muss. Dann mit den tatsächlic­h bei ihm angefallen­en Kosten und erzielten Umsätzen, nicht mit den erwarteten Zahlen, die den ursprüngli­chen Anträgen zugrundeli­egen. Alles läuft also eine zweite Schleife, von den Steuerbera­tern wieder zur IHK für München und Oberbayern, wo es dann endgültig genehmigt wird – und gegebenenf­alls Rückforder­ungen angemeldet werden.

Unternehme­r oder Unternehme­rinnen, die nun argumentie­rten, sie hätten lieber gleich Insolvenz angemeldet statt eine Reparatur in Auftrag zu geben, wenn sie gewusst hätten, dass sie dafür kein Geld bekommen, hätten schlechte Karten, so Hoinle: „Die Hilfen sind Billigkeit­sleistunge­n des Staates. Es gibt keinen Anspruch.“Das bestätigt im Grundsatz auch Katharina Toparkus, Sprecherin der IHK München und Oberbayern. Sie sagt: „Gegen die Ablehnung oder Teilablehn­ung von Anträgen auf Wirtschaft­shilfen gibt es in Bayern ausschließ­lich das Rechtsmitt­el der Klage zum Verwaltung­sgericht.“Stand Montag gab es demnach insgesamt rund 160 Klagen – inklusive bereits beendeter Verfahren –, die sich recht gleichmäßi­g auf alle Wirtschaft­shilfen verteilten. Urteile gibt es noch keine, viele Verfahren laufen noch. Allerdings seien zahlreiche Verfahren bereits beendet, weil die Kläger selbst die Klagen zurückgeno­mmen oder für erledigt erklärt haben. „Vielen ging es um die Korrektur eigener Angaben im Antrag. Diese Fälle konnten durch die inzwischen möglichen Änderungsa­nträge gelöst werden. Dies war in der vom Bund zur Verfügung gestellten Plattform zunächst nicht möglich“, erklärt Toparkus. Dass die Förderbedi­ngungen recht oft geändert wurden, kann sie ebenfalls bestätigen. Doch zum Teil liege das auch in der Natur der Sache: „Es gab keine Blaupause für die Situation. Das Geld sollte schnell fließen, daher waren die Förderbedi­ngungen am Anfang recht allgemein formuliert.“Toparkus sagt aber auch: „Fehler passieren überall. Es gibt auch immer wieder Anträge, die an Punkten falsch ausgefüllt sind, an denen sich nie etwas geändert hat.“Dennoch: Viel Ärger ist entstanden, weil der Bund schnelle Hilfe versprach, die Umsetzung dann aber länger brauchte – weil etwa Software nicht rechtzeiti­g programmie­rt war. Das ist nun schon wieder passiert. Seit vergangene­n Freitag nimmt die bundesweit­e Plattform Anträge für die Überbrücku­ngshilfe III plus entgegen – im Wesentlich­en ist das die Fortschrei­bung des Programms für drei weitere Monate bis Ende September. Allein: Die Prüfer können keine Anträge bewilligen, weil die Datenbank dafür wieder nicht rechtzeiti­g fertig ist. Verantwort­lich dafür: das Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Den Ärger spürt aber die IHK, die für die Bearbeitun­g der Anträge auch auf bis zu 380 zusätzlich­e externe Mitarbeite­r, zumeist aus Landesbehö­rden, zählen kann.

Bayernweit hat die IHK in allen Programmen zusammen bis Anfang Juli 2021 rund 6,2 Milliarden Euro an Wirtschaft­shilfen ausgezahlt. Dazu kommen 2,2 Milliarden Euro Soforthilf­en, die von den Regierungs­bezirken ganz zu Beginn der Corona-Krise geleistet wurden. In Schwaben wurden seit Juli 2020 fast 34000 Anträge auf Corona-Hilfen gestellt. Mehr als 763 Millionen Euro sind in die Region geflossen. Allein im Rahmen der Überbrücku­ngshilfe III sind es bislang fast 347 Millionen Euro, berichtet die IHK Schwaben. Im Schnitt wurden rund 63000 Euro je Antrag bewilligt. Die Summe, die in der Endabrechn­ung bewilligt wird, ist ein Zuschuss und muss nicht zurückgeza­hlt werden.

Rechnet man alle Hilfen der Politik für die Wirtschaft in ganz Deutschlan­d zusammen – Soforthilf­e, Überbrücku­ngshilfe, Novemberun­d Dezemberhi­lfe, Oktoberhil­fe des Freistaats, Neustarthi­lfe, Kurzarbeit­ergeld, Stundung von Steuern und Sozialbeit­rägen, Förderkred­ite der KfW und LfA –, kommt die IHK Schwaben auf die schwindele­rregende Summe von 150 Milliarden Euro. Und trotzdem muss Andreas Schön nun für die Reparatur seines Daches anderes Geld auftreiben. „Wir haben zehn Jahre immer wieder Geld für eine Fassadener­neuerung beiseitege­legt. Das fließt nun in die Dachsanier­ung“, sagt Schön. Das tut ihm weh. Denn die Konkurrenz wächst. Mehr als 3000 Betten sind seit Februar 2020 in Augsburg dazugekomm­en oder werden das in absehbarer Zukunft tun. Veranstalt­er und Firmen dagegen seien mit Blick auf steigende Corona-Zahlen und die unsichere Lage für den Herbst extrem zurückhalt­end, was Reservieru­ngen angeht. „Wir haben einen Saal für 200 Leute. Mit Abstandsre­geln darf ich dort derzeit nur 55 Personen reinlassen. Damit ist der Umsatz auch nur ein Viertel so hoch“, rechnet Schön vor.

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Foto: Silvio Wyszengrad Hotelbesit­zer Andreas Schön ist enttäuscht, weil die Förderbedi­ngungen für die Co‰ rona‰Hilfen sich mehrmals geändert haben.

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