Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie sieht die Zukunft des Lechs aus?
Der Mensch hat den einst wilden Fluss gebändigt, ihn begradigt, Staustufen gebaut. Für die Artenvielfalt hat das massive Folgen. Welche Probleme es gibt und wie man den Lech noch retten könnte
Augsburg Es sind finstere Worte, die Christine Margraf an diesem sonnigen Sommervormittag ausspricht: „Dem Lech wurde jegliche Dynamik genommen. Die Begradigung hatte für die Natur- und Artenvielfalt gravierende Auswirkungen“, sagt die stellvertretende Landesbeauftragte und Gewässerexpertin des Bund Naturschutz in Bayern (BN) in einer Pressekonferenz. Offene Kieslebensräume seien am Lech fast völlig verschwunden, und damit auch viele Arten. Deswegen müsse man nun endlich die Weichen für die Zukunft stellen, sagt Margraf: „Nach Jahrzehnten der Verbauung und Zerstörung sind nun Jahrzehnte der Renaturierung angesagt.“Wie das gehen könnte, wird sie später noch erklären.
Der Lech also. Lebensader. Ein Fluss, der die Region seit jeher prägt. In Talaufweitungen, etwa nördlich von Füssen oder im Lechfeld zwischen Landsberg und Augsburg, konnte sich der Fluss früher ungebändigt ausbreiten, es gab weitläufige, verflochtene Flusslandschaften
und unterschiedlichste Lebensräume. Doch seit Beginn des 20. Jahrhunderts versucht der Mensch, den wilden Lech zu bändigen. „Die Charakteristik des Lechs hat sich verändert“, sagt Margraf. Es gebe keine Umlagerungen mehr, keine schwankenden Wasserstände. „Und die artenreichen Auen wurden durch Deiche abgetrennt und somit zum Tode verurteilt.“
Hinzu kommt: Am und im Fluss wurde viel gebaut. Heute gibt es dem Bund Naturschutz zufolge von der Landesgrenze bei Füssen bis zur Mündung in die Donau 43 Querbauwerke im bayerischen Lech. Davon seien die meisten für Fische und Geschiebe – transportiertes Gesteinsmaterial – nicht durchgängige Wehre. Zudem gebe es Ausleitungsstrecken, die dem Lech den Großteil des Wassers zur Nutzung in einem Kanal entzögen.
Vor allem der Forggensee bei Füssen bereitet den Umweltschützern Sorge. Der See sei eine „große Geschiebefalle“, sagt Margraf. „Da landet all das Material, das der Lech aus den Alpen mitgebracht hat und das früher Lebensräume gestaltet hat.“
Michael Käs, der Vorsitzende der BN-Ortsgruppe Füssen, formuliert es noch ein wenig drastischer: „Der Forggensee hat die faunistisch und floristisch einmalige und ehemals größte Umlagerungsstrecke des Lechs auf deutscher Seite zerstört.“Der See sei heute ein „totes Gewässer.“Es müsse deshalb ein Konzept entwickelt werden, wie das Geschiebe wieder durch den Forggensee hindurch kommen könne.
Angesichts all dieser Probleme fordert der Umweltschutzverband nun den Freistaat Bayern auf, ein Zielkonzept für einen lebendigeren Lech aufzustellen. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie und die europäische Naturschutz-Richtlinie verpflichteten Bayern dazu, einen sogenannten „günstigen“Zustand der Gewässer zu erreichen.
Aus Sicht der Umweltschützer müssten Deiche verlegt, Staumauern zurückgebaut, Auen angebunden und Biotope vernetzt werden. Die vielen Vorschläge, wie die Natur trotz der intensiven Energiegewinnung durch Wasserkraftwerke wieder mehr Raum und der Fluss mehr Dynamik bekommen könne, hat der BN in seinem Zukunftsprogramm „Lech 21“gebündelt. „Insbesondere fordern wir, die großen Chancen zu nutzen, die sich mit dem Auslaufen von Konzessionen für Staustufen ab 2034 ergeben. Die Staatsregierung muss jetzt damit anfangen, diese Chancen in einem Zukunftskonzept aufzuzeigen“, macht Margraf deutlich. Das Konzept der Naturschützer sieht einen teils massiven Umbau von Wasserkraftwerken und Staumauern vor. „Die Staustufen müssen grundlegend überprüft werden“, sagt Margraf.
Kurt Nunn vom Wasserwirtschaftsamt Donauwörth verweist auf das bereits bestehende Projekt „Licca liber“– freier Lech also. „Vieles, was der Bund Naturschutz fordert, sind Bestandteile dieses Konzepts. Etwa, die Eigendynamik des Flusses fördern“, sagt er gegenüber unserer Redaktion. Auch die Vernetzung mit der Aue sei in „Licca liber“verankert. „Aber klar, wenn die Verträge auslaufen, dann kann man sich neue Möglichkeiten anschauen, wie man weitermacht.
muss das auch mit den Anlagenbetreibern besprechen“, sagt Nunn. Auch das bayerische Umweltministerium erwähnt das Programm „Licca liber“. Ziel der Planungen zwischen der Staustufe 23 bei Mering bis zur Mündung in die Donau sei es, Maßnahmen zu erarbeiten, um die Sohle des Lechs zu stabilisieren und dem Fluss, wo immer möglich, die Chance zu geben, sich wieder seinem ursprünglichen Charakter anzunähern, teilt das Ministerium unserer Redaktion mit.
Es gebe viele Möglichkeiten, mehr Dynamik in den Fluss zurückzubringen, heißt es vom BN. Und „Licca liber“sei ein gutes Beispiel. „Aber der Lech braucht ein Gesamtkonzept, das deutlich anspruchsvoller ist als die bisherigen staatlichen Planungen zur UmsetMan zung der Wasserrahmenrichtlinie“, sagt Gewässerexpertin Margraf.
Dass etwas passieren müsse, sei unstrittig, sagt auch Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bayerischen Landtag. Seine Forderung: Bei Neuvergaben müsse festgelegt werden, dass das Gesteinsmaterial unter den Staustufen durchkommt. „Derzeit wird der Kies ausgebaggert und mit Lastwagen an andere Stellen gefahren. Das ist doch absurd“, sagt Hartmann im Gespräch mit unserer Redaktion. Außerdem müsste es wieder mehr künstlich angelegte Überschwemmungsgebiete geben, dafür könnten staatliche Flächen genutzt werden. „Das würde etwa auch die Donau bei Hochwasser entlasten.“
Hartmann glaubt, dass man beiden Seiten gerecht werden kann: dem Naturschutz und der Wasserkraft, die angesichts des Atomausstiegs eine immer wichtigere Rolle spielt. „Die bestehenden Anlagen sollen ja nicht abgerissen werden.“Und wenn unten mehr Kies durchkommt, dann habe das kaum Auswirkungen auf die Wasserkraftnutzung.
Theodoros Reumschüssel indes, Pressesprecher des Kraftwerksbetreibers Uniper, erklärt gegenüber unserer Redaktion: „Wir stehen ökologischen Verbesserungen grundsätzlich offen gegenüber und führen diese an vielen Stellen auch schon seit Jahrzehnten durch. Sei es die Herstellung von Laichhabitaten, die bessere Anbindung von Seitenbächen und Auwäldern wie etwa im Bereich der Litzauer Schleife oder die Errichtung von Fischaufstiegsanlagen.“
Wasserkraft, fährt Reumschüssel fort, sei ein wichtiger Beitrag zum Klima- und Hochwasserschutz – und wie wichtig das ist, das hätten die vergangenen Tage deutlich gezeigt. Allein die jährliche Stromerzeugung aus Wasserkraft am Lech erspare der Umwelt rund 630000 Tonnen schädlichen Kohlendioxids im Jahr und versorge über 360000 Haushalte mit Energie. „Wir wollen unsere Kraftwerke am Lech sicher, klimaschonend und wirtschaftlich weiterbetreiben. Nach dem Kernenergieund dem Kohleausstieg nun auch noch die erneuerbare, emissionsfreie Wasserkraft zurückzubauen, wäre das Ende der Energiewende.“
Der Forggensee bereitet den Umweltschützern Sorgen