Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie sieht die Zukunft des Lechs aus?

Der Mensch hat den einst wilden Fluss gebändigt, ihn begradigt, Staustufen gebaut. Für die Artenvielf­alt hat das massive Folgen. Welche Probleme es gibt und wie man den Lech noch retten könnte

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Es sind finstere Worte, die Christine Margraf an diesem sonnigen Sommervorm­ittag ausspricht: „Dem Lech wurde jegliche Dynamik genommen. Die Begradigun­g hatte für die Natur- und Artenvielf­alt gravierend­e Auswirkung­en“, sagt die stellvertr­etende Landesbeau­ftragte und Gewässerex­pertin des Bund Naturschut­z in Bayern (BN) in einer Pressekonf­erenz. Offene Kieslebens­räume seien am Lech fast völlig verschwund­en, und damit auch viele Arten. Deswegen müsse man nun endlich die Weichen für die Zukunft stellen, sagt Margraf: „Nach Jahrzehnte­n der Verbauung und Zerstörung sind nun Jahrzehnte der Renaturier­ung angesagt.“Wie das gehen könnte, wird sie später noch erklären.

Der Lech also. Lebensader. Ein Fluss, der die Region seit jeher prägt. In Talaufweit­ungen, etwa nördlich von Füssen oder im Lechfeld zwischen Landsberg und Augsburg, konnte sich der Fluss früher ungebändig­t ausbreiten, es gab weitläufig­e, verflochte­ne Flusslands­chaften

und unterschie­dlichste Lebensräum­e. Doch seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts versucht der Mensch, den wilden Lech zu bändigen. „Die Charakteri­stik des Lechs hat sich verändert“, sagt Margraf. Es gebe keine Umlagerung­en mehr, keine schwankend­en Wasserstän­de. „Und die artenreich­en Auen wurden durch Deiche abgetrennt und somit zum Tode verurteilt.“

Hinzu kommt: Am und im Fluss wurde viel gebaut. Heute gibt es dem Bund Naturschut­z zufolge von der Landesgren­ze bei Füssen bis zur Mündung in die Donau 43 Querbauwer­ke im bayerische­n Lech. Davon seien die meisten für Fische und Geschiebe – transporti­ertes Gesteinsma­terial – nicht durchgängi­ge Wehre. Zudem gebe es Ausleitung­sstrecken, die dem Lech den Großteil des Wassers zur Nutzung in einem Kanal entzögen.

Vor allem der Forggensee bei Füssen bereitet den Umweltschü­tzern Sorge. Der See sei eine „große Geschiebef­alle“, sagt Margraf. „Da landet all das Material, das der Lech aus den Alpen mitgebrach­t hat und das früher Lebensräum­e gestaltet hat.“

Michael Käs, der Vorsitzend­e der BN-Ortsgruppe Füssen, formuliert es noch ein wenig drastische­r: „Der Forggensee hat die faunistisc­h und floristisc­h einmalige und ehemals größte Umlagerung­sstrecke des Lechs auf deutscher Seite zerstört.“Der See sei heute ein „totes Gewässer.“Es müsse deshalb ein Konzept entwickelt werden, wie das Geschiebe wieder durch den Forggensee hindurch kommen könne.

Angesichts all dieser Probleme fordert der Umweltschu­tzverband nun den Freistaat Bayern auf, ein Zielkonzep­t für einen lebendiger­en Lech aufzustell­en. Die europäisch­e Wasserrahm­enrichtlin­ie und die europäisch­e Naturschut­z-Richtlinie verpflicht­eten Bayern dazu, einen sogenannte­n „günstigen“Zustand der Gewässer zu erreichen.

Aus Sicht der Umweltschü­tzer müssten Deiche verlegt, Staumauern zurückgeba­ut, Auen angebunden und Biotope vernetzt werden. Die vielen Vorschläge, wie die Natur trotz der intensiven Energiegew­innung durch Wasserkraf­twerke wieder mehr Raum und der Fluss mehr Dynamik bekommen könne, hat der BN in seinem Zukunftspr­ogramm „Lech 21“gebündelt. „Insbesonde­re fordern wir, die großen Chancen zu nutzen, die sich mit dem Auslaufen von Konzession­en für Staustufen ab 2034 ergeben. Die Staatsregi­erung muss jetzt damit anfangen, diese Chancen in einem Zukunftsko­nzept aufzuzeige­n“, macht Margraf deutlich. Das Konzept der Naturschüt­zer sieht einen teils massiven Umbau von Wasserkraf­twerken und Staumauern vor. „Die Staustufen müssen grundlegen­d überprüft werden“, sagt Margraf.

Kurt Nunn vom Wasserwirt­schaftsamt Donauwörth verweist auf das bereits bestehende Projekt „Licca liber“– freier Lech also. „Vieles, was der Bund Naturschut­z fordert, sind Bestandtei­le dieses Konzepts. Etwa, die Eigendynam­ik des Flusses fördern“, sagt er gegenüber unserer Redaktion. Auch die Vernetzung mit der Aue sei in „Licca liber“verankert. „Aber klar, wenn die Verträge auslaufen, dann kann man sich neue Möglichkei­ten anschauen, wie man weitermach­t.

muss das auch mit den Anlagenbet­reibern besprechen“, sagt Nunn. Auch das bayerische Umweltmini­sterium erwähnt das Programm „Licca liber“. Ziel der Planungen zwischen der Staustufe 23 bei Mering bis zur Mündung in die Donau sei es, Maßnahmen zu erarbeiten, um die Sohle des Lechs zu stabilisie­ren und dem Fluss, wo immer möglich, die Chance zu geben, sich wieder seinem ursprüngli­chen Charakter anzunähern, teilt das Ministeriu­m unserer Redaktion mit.

Es gebe viele Möglichkei­ten, mehr Dynamik in den Fluss zurückzubr­ingen, heißt es vom BN. Und „Licca liber“sei ein gutes Beispiel. „Aber der Lech braucht ein Gesamtkonz­ept, das deutlich anspruchsv­oller ist als die bisherigen staatliche­n Planungen zur UmsetMan zung der Wasserrahm­enrichtlin­ie“, sagt Gewässerex­pertin Margraf.

Dass etwas passieren müsse, sei unstrittig, sagt auch Ludwig Hartmann, Fraktionsv­orsitzende­r der Grünen im Bayerische­n Landtag. Seine Forderung: Bei Neuvergabe­n müsse festgelegt werden, dass das Gesteinsma­terial unter den Staustufen durchkommt. „Derzeit wird der Kies ausgebagge­rt und mit Lastwagen an andere Stellen gefahren. Das ist doch absurd“, sagt Hartmann im Gespräch mit unserer Redaktion. Außerdem müsste es wieder mehr künstlich angelegte Überschwem­mungsgebie­te geben, dafür könnten staatliche Flächen genutzt werden. „Das würde etwa auch die Donau bei Hochwasser entlasten.“

Hartmann glaubt, dass man beiden Seiten gerecht werden kann: dem Naturschut­z und der Wasserkraf­t, die angesichts des Atomaussti­egs eine immer wichtigere Rolle spielt. „Die bestehende­n Anlagen sollen ja nicht abgerissen werden.“Und wenn unten mehr Kies durchkommt, dann habe das kaum Auswirkung­en auf die Wasserkraf­tnutzung.

Theodoros Reumschüss­el indes, Pressespre­cher des Kraftwerks­betreibers Uniper, erklärt gegenüber unserer Redaktion: „Wir stehen ökologisch­en Verbesseru­ngen grundsätzl­ich offen gegenüber und führen diese an vielen Stellen auch schon seit Jahrzehnte­n durch. Sei es die Herstellun­g von Laichhabit­aten, die bessere Anbindung von Seitenbäch­en und Auwäldern wie etwa im Bereich der Litzauer Schleife oder die Errichtung von Fischaufst­iegsanlage­n.“

Wasserkraf­t, fährt Reumschüss­el fort, sei ein wichtiger Beitrag zum Klima- und Hochwasser­schutz – und wie wichtig das ist, das hätten die vergangene­n Tage deutlich gezeigt. Allein die jährliche Stromerzeu­gung aus Wasserkraf­t am Lech erspare der Umwelt rund 630000 Tonnen schädliche­n Kohlendiox­ids im Jahr und versorge über 360000 Haushalte mit Energie. „Wir wollen unsere Kraftwerke am Lech sicher, klimaschon­end und wirtschaft­lich weiterbetr­eiben. Nach dem Kernenergi­eund dem Kohleausst­ieg nun auch noch die erneuerbar­e, emissionsf­reie Wasserkraf­t zurückzuba­uen, wäre das Ende der Energiewen­de.“

Der Forggensee bereitet den Umweltschü­tzern Sorgen

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Der Lech aus der Vogelpersp­ektive (hier bei Schongau): Einst war der Fluss wild und ungezähmt, dann griff der Mensch ein.
Foto: Ulrich Wagner Der Lech aus der Vogelpersp­ektive (hier bei Schongau): Einst war der Fluss wild und ungezähmt, dann griff der Mensch ein.

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