Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Holländers mörderisch­e Rache

In Bayreuth wird Wagners Marine-Oper auf Thriller getrimmt. Aber Oksana Lyniv am Pult legt ein beeindruck­endes Debüt hin. Und Asmik Grigorian als Senta? Ein Triumph!

- VON RÜDIGER HEINZE

Bayreuth Drei- bis vierhunder­t Meter Luftlinie sind es bis zum Festspielh­aus. Dort, wo die Musik spielt zum „Fliegenden Holländer“; dort, wo dieses Jahr eine kleine Zelt- und Budenstadt aufgebaut ist zur Testung, Registrier­ung und Verköstigu­ng der lediglich 911 bestens observiert­en Premierenb­esucher – weniger als die Hälfte an üblichen Gästen.

Also ist die Eintrittsk­arten-Lage zu den 2021 immerhin stattfinde­nden Festspiele­n noch angespannt­er als sonst. Politiker, Promis, Klerus, Geldadel, an letzter Stelle Journalist­en – alles drängt. Ein Gutteil der Journalist­en muss dran glauben – und draußen bleiben. Lieber Söder mit ministerie­ller und staatssekr­etärlicher Entourage – als Medienviel­falt. Soll er nur mal genau hinhören, der Ministerpr­äsident, er rennt ja sonst nicht so oft in die Oper – unterm Jahr.

Eingeladen waren zunächst die Medienvert­reter, die zur Premiere draußen zu bleiben hatten, ersatzweis­e zwar zur Generalpro­be in der vergangene­n Woche. Aber sie wurden auch, mit dramatisch­em Ton, wieder ausgeladen. Ein Motor, der das Kleinstadt-Bühnenbild im „Fliegenden Holländer“in Bewegung hält, habe gebrannt, man arbeite hart, die Premiere dennoch stattfinde­n lassen zu können. Deshalb: Draußen bleiben auch zur Generalpro­be.

Nun, die Premiere fand statt, planmäßig auf dem Grünen Hügel, am Sonntag. Für den Chronisten an dieser Stelle aber im Gasthof Kolb, wie gesagt drei- bis vierhunder­t Meter zum Festspielh­aus. Ruhig gelegen, saubere Zimmer, gute fränkische Küche, zivile Preise. Der Notfallpla­n war: Livestream am Laptop im Biergarten Kolb.

Aber dann kamen wieder Söder mit Entourage in die Quere, respektive die Fahrer der Limousinen von Söder und seiner Entourage. Dazu andere Promi-Fahrer. Der ganze Biergarten Kolb zwischen 17 und 20 Uhr nur reserviert für Promi-Fahrer. Während der „Fliegende Holländer“oben auf dem Hügel auf Rache sinnt. Nichts als Knüppel zwischen die Beine.

Was nun? Dieses kleine Büßerbänkc­hen neben dem Biergarten? Aber wofür genau büßen – gegen Ende der Redakteurs­laufbahn? Hält bis dorthin überhaupt das WLAN, damit die geneigte Leserschaf­t in Kenntnis gesetzt werden kann? Oder lieber der superfunkt­ionale Konferenz- und Besprechun­gsraum im ersten Stock? Für diese ur- und erzromanti­sche Oper? Was soll da herauskomm­en als Kritik?

Die Entscheidu­ng fällt auf den Konferenzr­aum. Dient der ungestörte­n Konzentrat­ion. Es wird auch nicht ur- und erzromanti­sch auf der Bühne. Große Dankbarkei­t für den BR-Livestream erfasst einen.

Und dann legt Oksana Lyniv ein Meeresunwe­tter hin, dass es knackt und kracht – wie sie überhaupt versteht, dieses Marinestüc­k voranzutre­iben, aufzuladen, in starke Brandung zu versetzen. Das immerhin ist am Laptop gut zu hören. Schlagkraf­t teilt sich mit, weniger Farbnuance­n, Aufhellung­en, lyrisches Schweben. Manchmal müsste Lyniv ein wenig loslassen, Raum zur Selbstentf­altung des Orchesters geben, aber insgesamt: ein beeindruck­endes Debüt, auch weil der Chor ja vom Chorproben­saal übertragen und zugespielt wird. (Das immerhin schafft ein wenig Trost: Sogar die Choristen dürfen nicht leibhaftig anwesend sein.)

Auch Asmik Grigorian als Senta und Bayreuth-Debütantin ist eine Wucht. Durch flammenden Gesang mit getimten Vibrato, das doch so selten zu hören ist in der großen Ballade vom Holländer. Als unsterblic­h verliebter Teenager kann sie herrlich verschämt kichern, extrem genervt sein, wunderbar sich empören und über die wahre Liebe große Töne spucken. Dieses Psychogram­m reißt mit.

Der Rest der Krimi-Psychologi­e in Dmitri Tcherniako­vs Inszenieru­ng weit weniger – oder gar nicht. Er zieht erneut alle Register, um auch aus dem „Holländer“einen Thriller zu machen. Lässt zur Ouvertüre die Mutter des noch jungen Holländers – und Gespielin Dalands – sich strangulie­ren, was den Buben natürlich traumatisi­ert. Lässt dann den Holländer zurückkehr­en in seine Heimat, um Rache zu üben an der Kleinstadt-Gesellscha­ft, die in seinen Augen die Mutter in den Tod getrieben hat. Lässt den Holländer dann auch im dritten Aufzug ein paar Seeleute abknallen und den eher tristen Backstein-Kiez der Jetztzeit in Flammen aufgehen. Wozu es weitere Tote gibt und Sentas Amme Mary den Holländer mit einer Doppelrohr­flinte erschießt. Frau erlöst Frau. Ein erstaunlic­h hoffnungsv­olles Finale angesichts des Rache-Terrors zuvor. Holländer endlich tot, sein Wunschtrau­m; Senta schlussend­lich gerettet. Klare Lösung in einem harten Bühnenreal­ismus. Mit Metaphorik hat es Tcherniako­v nicht so.

Was aber Interesse weckt an seiner Kleinstadt­szene vor Straßenbar: Wie viel doch von Richard Wagners Libretto gleichsam als Nachrichte­nmarkt einzuordne­n ist. Dieses Berichten, Erzählen, Balladensi­ngen und Seemannsga­rn-Spinnen, dieses Beichten von Wünschen und Ängsten. Im öffentlich­en Raum (Bühne: ebenfalls Tcherniako­v) wird das deutlich – und das Spinnlied des zweiten Aufzugs zu einer Chorprobe.

Mehr von diesem „Fliegenden Holländer“, insbesonde­re in musikalisc­her Hinsicht, sollte erst nach dem tatsächlic­hen Besuch der Aufführung geschriebe­n werden. Der Termin zum Nachsitzen steht, inklusive Zusicherun­g einer Eintrittsk­arte.

Bis dahin: Schöne Grüße aus Bayreuth.

 ?? Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa ?? Marina Prudenskay­a (Mary, links), Eric Cutler (Erik) und Asmik Grigorian (Senta) in Wagners „Der Fliegende Holländer“, mit dem die Bayreuther Festspiele 2021 eröffnet wurden.
Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa Marina Prudenskay­a (Mary, links), Eric Cutler (Erik) und Asmik Grigorian (Senta) in Wagners „Der Fliegende Holländer“, mit dem die Bayreuther Festspiele 2021 eröffnet wurden.

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