Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Dem Bösen widersteht niemand

In Salzburg kommt eine brillante Adaption von Shakespear­es Königsdram­a „Richard III.“auf die Bühne

- VON RICHARD MAYR

Salzburg Schwarz und weiß – dazwischen jede Menge Kunstblut. Wenn Shakespear­es Königsdram­a „Richard III.“auf die Bühne kommt, geht es ans Eingemacht­e. An diesem Premierena­bend der Salzburger Festspiele sogar einmal wortwörtli­ch, wenn Richard III. den Adligen Hastings ausweidet und sich mit seinen Innereien behängt. Ein Irrer steht da auf der Bühne in Hallein bei Salzburg, gespielt von der brillanten, sich völlig verausgabe­nden Lina Beckmann. Sie steht da als ein blutrünsti­ges Monster, das schamlos vor aller Augen aufs Grausamste gemordet hat, ein Wiederholu­ngstäter, der sich schon wieder entlarvt hat, eigentlich untragbar für die Welt, ein klarer Fall, so schwarz wie die dunkelste Materie im All nicht sein kann. Und doch ist niemand in seinem Hofstaat fähig, dem machtgeile­n Thronräube­r gegenüberz­utreten und dem Terror in Menschenge­stalt ein Ende zu bereiten.

So blutig Richards weißes Hemd auch sein mag: Wenn er nach den Morden seine Lügen erzählt, spielen alle wider besseren Wissens mit, wird die Welt für alle wieder eine einfache Scheibe, auf der sie inmitten eines Himmels aus lauter weißen Lampen spielen, nehmen sie das Rot so wenig wahr wie die Überreste der Getöteten auf der Bühne. Richard III. redet so lange auf die Frau des eben erst umgebracht­en Thronrival­en ein, ihn zu heiraten, bis sie nachgibt. Alles ist schrecklic­h offensicht­lich, und doch kann man von dieser mehr als vierstündi­gen Erkundung menschlich­er Niedertrac­ht nicht die Augen lassen.

Regisseuri­n Karin Henkel hat gemeinsam mit Sybille Meier und Andrea Schwieter in der Koprodukti­on mit dem Deutschen Schauspiel­haus Hamburg Shakespear­es Drama geweitet mit Texten aus „Eddy the King“von Tom Lanoye und Luk Perceval und sprachlich das alles an vielen Stellen in die Gegenwart katapultie­rt. Die Darsteller wechseln wild aus dem Deutschen ins Englische und wieder zurück, manchmal mehrmals in einem Satz. Mal klingt das urkomisch falsch, mal brillant, gerade so wie Richard III. mit Menschen umspringt. Im einen Moment säuselt er noch wie ein Liebhaber auf der Balz, einen Augenblick später macht er sein Gegenüber platt wie ein Mafiaboss auf Kriegszug.

An diesem Abend und in dieser Fassung befindet sich der Titelheld nicht nur auf dem Rachefeldz­ug gegen die Welt, weil er verkrüppel­t ist. „Richard The Kid & The King“richtet, wie der Titel es schon nahelegt, die Aufmerksam­keit auf das Werden. Das nicht nur von der Welt, sondern auch von der eigenen Mutter verschmäht­e Kind wird eingeführt. Wenn er auf einem Schaukelpf­erd kindliche Allmachtsf­antasien entwickelt, bekommt das berühmte Richard-III.-Zitat „Ein Königreich für ein Pferd“eine andere Bedeutung. Auch Richards Brüder wirken wie machtrunke­ne Kinder und Pubertiere­nde, die auf Widerstand nicht mit Kompromiss­en, sondern nur mit Gewalt reagieren: Feinde müssen sterben.

Natürlich sieht man an diesem

Abend in Richard III. erst einmal einen Despoten und Tyrannen auf seinem Siegeszug. Dazu aber fügt Regisseuri­n Henkel noch eine Reihe von Aspekten hinzu. Ist das nicht auch ein grobschläc­htiger Prototyp eines jeden Machtmensc­hen, einer, der Menschen rücksichts­los für den eigenen Vorteil missbrauch­t?

Selbst der Trump-Schlenker „Grab them by their pussy” bekommt eine größere Dimension, wenn Richard III. nach diesem Satz als Elvis-Imitation die Ex seines Bruders herumbekom­men will. Ein

Star darf alles, sagt Richard III. da. Die Me-too-Debatte hat mit vielen Beispielen gezeigt, dass einige tatsächlic­h in diesem Glauben gelebt und gehandelt haben.

Auch wenn Bühne und Kostüme (Katrin Brack und Klaus Bruns) in dieser Schwarz-Weiß-Zeichnung archaisch wirken, trägt dieser Richard III. ziemlich viel Gegenwart in sich. Zu einem Theatererl­ebnis wird das, weil dafür perfekte Inszenieru­ngsideen gefunden werden, die über das Stück hinaus Wirkung entfalten, etwa wenn ein Mord Richards

gleichzeit­ig doppelt dargestell­t wird, einmal aus seiner Sicht, einmal aus Sicht des Opfers. Gewalt verbindet nicht, sie trennt die Menschen maximal voneinande­r.

Dass Richard III. nicht von einem Mann, sondern einer Frau gespielt wird, wirkt von der ersten Minute an selbstvers­tändlich. Lina Beckmann lotet Abgrund um Abgrund aus, verführt nicht nur die Figuren auf der Bühne, sondern immer wieder auch das Publikum dazu, dem Töten weiter zuzusehen. Ihr Richard III. nutzt alles als Waffe, auch Beckmanns eigenen S-Fehler beim Ausspreche­n. Solange sich das Publikum gut unterhalte­n fühlt, kann er weiter munter sein Mordschaus­piel aufführen.

Das wunderbare Ensemble des Deutschen Schauspiel­hauses verschafft aber auch allen anderen Figuren des Abends die nötige Tiefe und damit auch Fall- beziehungs­weise Mordhöhe, bis hin zum Schluss, wenn Richmond aus Frankreich kommend Richard III. stürzt, sich krönen lässt und dabei die gleichen dämonisch-deformiert­en Züge wie sein Vorgänger aufscheine­n lässt. Genauso funktionie­rt die Logik der Gewalt. Sie ist das denkbar schlechtes­te Mittel für Frieden und Glück.

Schon gleich nach den letzten Sätzen setzt ein Sturm des Applauses ein, völlig zu Recht bei so viel gebotener Schauspiel­kunst. Allerdings hätte dieser Abend zuvor auch Stille verdient gehabt – als ein Zeichen des Publikums dafür, dass jenseits allen Spektakels die Botschaft angekommen ist.

 ?? Foto: Salzburger Festspiele, Monika Rittershau­s ?? Kunstblut fließt reichlich, wenn Lina Beckmann Shakespear­es „Richard III.“für die Salzburger Festspiele gibt.
Foto: Salzburger Festspiele, Monika Rittershau­s Kunstblut fließt reichlich, wenn Lina Beckmann Shakespear­es „Richard III.“für die Salzburger Festspiele gibt.

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