Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Goldmedail­le für den Ersatzmann

- ako@augsburger‰allgemeine.de VON ANDREAS KORNES

Olympische Spiele sind sehr viel mehr als nur der Kampf um Medaillen. Sie sind die größte Bühne des Sports und dessen Akteure nutzen sie gerne auch für Auftritte abseits des Geschehens. Das können ikonische Symbole für die Geschichts­bücher sein, wie zum Beispiel die erhobenen Fäuste der afroamerik­anischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos. Während der Siegerehru­ng zum 200-MeterLauf der Olympische­n Spiele 1968 in Mexiko-Stadt erhoben sie ihre Faust zum sogenannte­n BlackPower-Gruß und protestier­ten damit gegen Rassismus in den USA. Das Bild der Sportler mit erhobenen Fäusten und gesenkten Köpfen ist eines der prägendste­n in der olympische­n Geschichte.

Es geht aber auch weitaus banaler, womit wir beim deutschen Fußballer Max Kruse wären. Denn der fragte nach dem Vorrundens­piel gegen Saudi-Arabien vor laufenden Kameras seine Freundin, ob sie auch seine Frau werden wolle. Eigentlich habe er das nach einem Torerfolg machen wollen. Aber angesichts seiner bisherigen Leistungen im olympische­n Turnier wollte er offenbar auf Nummer sicher gehen. Dass diese Aktion länger als 48 Stunden in Erinnerung bleibt, ist fraglich.

Dann doch vielleicht eher die des amerikanis­chen Schwimmsta­rs Caeleb Dressel. Mit der US-Freistil-Staffel gewann er am Montagvorm­ittag Gold. Da Dressel aber noch ein ziemlich straffes Programm in den kommenden Tagen vor sich hat, wurde er im Vorlauf geschont. Stattdesse­n kam dort sein Kollege Brooks Curry zum Einsatz.

Nun ist es das Los dieser Vorlaufsch­wimmer, dass sie vom Glanz der späteren Sieger wenig abbekommen. Zwar wird ihnen eine Medaille nachgelief­ert, das ist aber natürlich nicht ansatzweis­e vergleichb­ar mit der Teilnahme an einem Finale.

Dressel dürfte sich etwas ganz Ähnliches gedacht haben, als er oben auf dem Podest stand. Kaum hatte er die US-Hymne ergriffen geschmette­rt und den Fotografen­Parcours absolviert, eilte er zu seinem Kollegen, der auf der anderen Seite einer Absperrung stand, und warf ihm seine Goldmedail­le zu. Er habe den einfachste­n Job von allen gehabt, denn er habe sich den Vorlauf im Fernsehen ansehen können, ließ er später über die Kanäle des US-Schwimmver­bandes wissen. „Ich dachte, Brooks hätte die Medaille mehr verdient als ich.“

Aktionen wie diese verraten einiges über das Selbstmark­eting eines Verbandes (in den USA traditione­ll eine Paradedisz­iplin), aber auch über das Wesen eines Menschen. Denn Marketing hin oder her:

Eine olympische Goldmedail­le verschenkt niemand gern. Dressel dürfte sich damit getröstet haben, dass er später dann ja die bekommen dürfte, die Curry nachgelief­ert wird. Außerdem stehen die Chancen ziemlich gut, dass er in Tokio noch die eine oder andere Plakette zusätzlich gewinnen wird.

Fehlt eigentlich nur noch die Antwort von Kruses Freundin: Sie hat ja gesagt.

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Caeleb Dressel
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