Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Goldmedaille für den Ersatzmann
Olympische Spiele sind sehr viel mehr als nur der Kampf um Medaillen. Sie sind die größte Bühne des Sports und dessen Akteure nutzen sie gerne auch für Auftritte abseits des Geschehens. Das können ikonische Symbole für die Geschichtsbücher sein, wie zum Beispiel die erhobenen Fäuste der afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos. Während der Siegerehrung zum 200-MeterLauf der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko-Stadt erhoben sie ihre Faust zum sogenannten BlackPower-Gruß und protestierten damit gegen Rassismus in den USA. Das Bild der Sportler mit erhobenen Fäusten und gesenkten Köpfen ist eines der prägendsten in der olympischen Geschichte.
Es geht aber auch weitaus banaler, womit wir beim deutschen Fußballer Max Kruse wären. Denn der fragte nach dem Vorrundenspiel gegen Saudi-Arabien vor laufenden Kameras seine Freundin, ob sie auch seine Frau werden wolle. Eigentlich habe er das nach einem Torerfolg machen wollen. Aber angesichts seiner bisherigen Leistungen im olympischen Turnier wollte er offenbar auf Nummer sicher gehen. Dass diese Aktion länger als 48 Stunden in Erinnerung bleibt, ist fraglich.
Dann doch vielleicht eher die des amerikanischen Schwimmstars Caeleb Dressel. Mit der US-Freistil-Staffel gewann er am Montagvormittag Gold. Da Dressel aber noch ein ziemlich straffes Programm in den kommenden Tagen vor sich hat, wurde er im Vorlauf geschont. Stattdessen kam dort sein Kollege Brooks Curry zum Einsatz.
Nun ist es das Los dieser Vorlaufschwimmer, dass sie vom Glanz der späteren Sieger wenig abbekommen. Zwar wird ihnen eine Medaille nachgeliefert, das ist aber natürlich nicht ansatzweise vergleichbar mit der Teilnahme an einem Finale.
Dressel dürfte sich etwas ganz Ähnliches gedacht haben, als er oben auf dem Podest stand. Kaum hatte er die US-Hymne ergriffen geschmettert und den FotografenParcours absolviert, eilte er zu seinem Kollegen, der auf der anderen Seite einer Absperrung stand, und warf ihm seine Goldmedaille zu. Er habe den einfachsten Job von allen gehabt, denn er habe sich den Vorlauf im Fernsehen ansehen können, ließ er später über die Kanäle des US-Schwimmverbandes wissen. „Ich dachte, Brooks hätte die Medaille mehr verdient als ich.“
Aktionen wie diese verraten einiges über das Selbstmarketing eines Verbandes (in den USA traditionell eine Paradedisziplin), aber auch über das Wesen eines Menschen. Denn Marketing hin oder her:
Eine olympische Goldmedaille verschenkt niemand gern. Dressel dürfte sich damit getröstet haben, dass er später dann ja die bekommen dürfte, die Curry nachgeliefert wird. Außerdem stehen die Chancen ziemlich gut, dass er in Tokio noch die eine oder andere Plakette zusätzlich gewinnen wird.
Fehlt eigentlich nur noch die Antwort von Kruses Freundin: Sie hat ja gesagt.