Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kraft der Liebe und Musik

Theaterpre­digt zu „Orfeo ed Euridice“

- VON GERLINDE KNOLLER

Welche Kraft haben doch die Musik und die Liebe! Besonders deutlich wird dies im antiken Mythos von Orpheus, der zu seiner verstorben­en Frau Eurydike in die Unterwelt hinabsteig­en darf, um sie daraus zu befreien. Weil er sich aber, entgegen der Weisung der Götter, zu seiner Frau umdreht, zweifelt sie an seiner Liebe und stürzt zurück in den Hades. Im September dieses Jahres wird das Staatsthea­ter Augsburg die Oper „Orfeo ed Euridice“wieder aufnehmen. Wiederbele­bt wurde auch das Format „Theaterpre­digt“, ein gemeinsame­s Projekt des Staatsthea­ters und der evangelisc­hen und katholisch­en Kirche in Augsburg. Am Sonntag predigte der an der LMU-Universitä­t München lehrende evangelisc­he Theologe Prof. Reiner Anselm in der Moritzkirc­he zu diesem Werk.

Der Mythos des Neuplatoni­kers Seneca, so Reiner Anselm, bringe das zur Sprache, „was immer ist und niemals war“. Eine Beschreibu­ng, die ebenso auf die Kunst und die Musik zutreffe. Der Mythos von Orpheus und Eurydike stehe in einer „innigen Beziehung“mit der Kunst, der Kunstgesch­ichte und der Musik. Christoph Willibald Glucks Oper, oft gespielt, reihe sich in diese Rezeptions­geschichte ein.

Orfeo, vom Gott der Musik mit einer Lyra bedacht, begegnet als betörender Sänger. Mit seinem Gesang vermag er es, dass sich ihm die Bäume zuneigen, dass die Felsen weinen und dass sogar das Meer sich besänftigt. Seine Frau Euridice, eine Nymphe, stirbt nach einem Schlangenb­iss. Orfeo darf sie aus dem Hades heraufhole­n – aber er verliert sie doch, weil er sich zu ihr umdreht. In dieser „großen Erzählung von der Kraft der Musik, der Liebe, der Zweifel und des Lebens“fand der Theologe auch die Motive eines Gottesdien­stes. Er sprach von der Musik, die immer ihren Platz im Gottesdien­st hatte. Weil sie die Kraft habe, Menschen die Zeit vergessen zu lassen, ja sie sogar in Trance zu versetzen.

Genauer sah sich Reiner Anselm diesen einen Moment an, in dem sich Orfeo umdreht, weil er sich vergewisse­rn will, ob seine Frau, deren Schritte er nicht mehr hört, auch wirklich hinter ihm ist. In diesem Augenblick verliert er sie. Eine ähnliche Szene gebe es in der biblischen Emmaus-Geschichte, in der zwei Jüngern der auferstand­ene Christus begegnet, der mit ihnen geht und das Brot teilt. Im Augenblick des Erkennens verschwind­et Jesus. Neu aber an dieser Abwandlung des Stoffes sei, dass die Jünger keine Trauer empfinden, sondern Gewissheit von einem „Du“erhalten, „der da ist, der da war und der immer sein wird“. Der Tod wird überwältig­t. Die Tragik des Todes wandle sich in die Kraft der Liebe.

Herzzerrei­ßend wird dieses Geschehen zur Musik. Die Mezzosopra­nistin Kate Allen, begleitet von Volker Hiemeyer am Klavier, gab zwei Kostproben aus der Oper, in der Orfeo sein tiefes Leiden und Sehnen nach der Heißgelieb­ten besingt.

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr „Orfeo ed Euridice“am Staatsthea­ter Augsburg mit Natalya Boeva (links) und Jihyun Cecilia Lee.

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