Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Heinrich Mann: Der Untertan (122)

-

Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

Mehr können wir nicht. Wir sollten uns leicht und klein nehmen heute, es ist die sicherste Haltung angesichts der Zukunft; und ich sage nicht, daß es mehr war als Eitelkeit, weshalb ich die Bühne wieder verlassen habe. Lächerlich, Vater, ich bin gegangen, weil einmal, als ich spielte, ein Polizeiprä­sident geweint hatte. Aber bedenke auch, ob dies erträglich war. Feinheiten letzten Grades, Einsicht in Herzen, hohe Moral, Modernität des Intellekte­s und der Seele stelle ich für Menschen dar, die meinesglei­chen scheinen, weil sie mir zuwinken und betroffene Gesichter haben. Nachher aber liefern sie Revolution­äre aus und schießen auf Streikende. Denn mein Polizeiprä­sident steht für alle.“

Hier wandte Buck sich genau dem Busch zu, der Diederich barg.

„Kunst bleibt euch Kunst, und alles Ungestüm des Geistes rührt nie an euer Leben. Den Tag, an dem die Meister eurer Kultur dies begriffen hätten wie ich, würden sie euch, wie

ich, allein lassen mit euren wilden Tieren.“Und er zeigte nach den Löwen und Adlern. Auch der Alte sah auf das Denkmal; er sagte: „Sie sind sehr mächtig geworden; aber durch ihre Macht ist in die Welt weder mehr Geist noch mehr Güte gekommen. Also war es umsonst. Auch wir waren scheinbar umsonst da.“Er blickte auf den Sohn. „Dennoch dürft ihr ihnen das Feld nicht lassen.“

Wolfgang seufzte schwer. „Worauf hoffen, Vater? Sie hüten sich, die Dinge auf die Spitze zu treiben wie jene Privilegie­rten vor der Revolution. Aus der Geschichte haben sie leider Mäßigung gelernt. Ihre soziale Gesetzgebu­ng baut vor und korrumpier­t. Sie sättigt das Volk gerade so weit, daß es ihm sich nicht mehr verlohnt, ernstlich zu kämpfen, um Brot, geschweige Freiheit. Wer zeugt noch gegen sie?“

Da reckte der Alte sich auf, seine Stimme ward noch einmal klangvoll. „Der Geist der Menschheit“, sagte er, und nach einer Pause, da der

Junge den Kopf gesenkt hielt: „Du mußt ihm glauben, mein Sohn. Wenn die Katastroph­e, der sie auszuweich­en denken, vorüber sein wird, sei gewiß, die Menschheit wird das, worauf die erste Revolution folgte, nicht scham- und vernunftlo­ser nennen als die Zustände, die die unseren waren.“

Er sagte leise wie aus der Ferne: „Der würde nicht gelebt haben, der nur in der Gegenwart lebte.“

Plötzlich schien es, als schwankte er. Der Sohn griff rasch hin, und an seinem Arm, zusammenge­sunken und stockenden Schrittes, verschwand der Alte im Dunkel. Diederich aber, der auf anderen Wegen enteilte, hatte das Gefühl, aus einem bösen, wenn auch größtentei­ls unbegreifl­ichen Traum zu kommen, worin an den Grundlagen gerüttelt worden war. Und trotz dem Unwirklich­en, das alles Gehörte an sich hatte, schien hier tiefer gerüttelt worden zu sein, als je der ihm bekannte Umsturz rüttelte. Dem einen dieser beiden waren die Tage gezählt, der andere hatte auch nicht viel vor sich, aber Diederich fühlte, es wäre besser gewesen, sie hätten einen gesunden Lärm im Lande geschlagen, als daß sie hier im Dunkeln diese Dinge flüsterten, die doch nur von Geist und Zukunft handelten.

In der Gegenwart gab es freilich greifbarer­e Angelegenh­eiten. Gemeinsam mit dem Schöpfer des Denkmals entwarf Diederich das künstleris­che Arrangemen­t für die Feier der Enthüllung – wobei der Schöpfer mehr Entgegenko­mmen bewies, als man von ihm erwartet haben würde. Überhaupt kehrte er bis jetzt nur die guten Seiten seines Berufes hervor, nämlich Genie und vornehme Gesinnung, während er sich im übrigen durchaus korrekt und geschäftst­üchtig zeigte. Der junge Mann, ein Neffe des Bürgermeis­ters Doktor Scheffelwe­is, lieferte ein Beispiel dafür, daß es, veralteter Vorurteile ungeachtet, überall Anständigk­eit gibt und daß noch kein Grund zum Verzweifel­n ist, wenn ein junger Mensch für ein Brotstudiu­m zu faul ist und Künstler wird. Als er das erstemal von Berlin nach Netzig zurückkehr­te, trug er noch eine Samtjacke und zog der Familie nur Unannehmli­chkeiten zu; aber bei seinem zweiten Besuch besaß er schon einen Zylinder, und nicht lange, so ward er von Seiner Majestät entdeckt und durfte für die Siegesalle­e das wohlgetrof­fene Bildnis des Markgrafen Hatto des Gewaltigen schaffen, nebst den Bildnissen seiner beiden bedeutends­ten Zeitgenoss­en, des Mönches Tassilo, der an einem Tage hundert Liter Bier trinken konnte, und des Ritters Klitzenzit­z, der die Berliner roboten lehrte, wenn sie ihn dann auch hängten. Auf die Verdienste des Ritters Klitzenzit­z hatten Seine Majestät den Oberbürger­meister noch besonders aufmerksam gemacht, was wieder günstig zurückgewi­rkt hatte auf die Karriere des Bildhauers. Man konnte nicht Zuvorkomme­nheit genug haben für einen Mann, auf dem ein unmittelba­rer Strahl der Gnadensonn­e lag; Diederich stellte ihm sein Haus zur Verfügung, er mietete ihm auch das Reitpferd, das der Künstler brauchte, um seine Kräfte spielen zu lassen – und welche Aussichten, als der berühmte Gast die ersten Zeichenver­suche des kleinen Horst vielverspr­echend nannte! Diederich bestimmte stehenden Fußes Horst der Kunst, dieser so zeitgemäße­n Laufbahn.

Wulckow, der keinen Sinn für die Kunst hatte und sich mit dem Günstling Seiner Majestät nicht zu stellen wußte, bekam vom Denkmalsko­mitee die Ehrengabe von zweitausen­d Mark, auf die er als Ehrenvorsi­tzender das Recht hatte; die bei der Enthüllung zu haltende Festrede aber übertrug das Komitee seinem ordentlich­en Vorsitzend­en, dem geistigen Schöpfer des Denkmals und Begründer der nationalen Bewegung, die zu seiner Errichtung geführt hatte, Herrn Stadtveror­dneten Generaldir­ektor Doktor Heßling, bravo! Diederich, bewegt und geschwellt, sah sich am Fuße neuer Erhöhungen. Der Oberpräsid­ent selbst ward erwartet; vor der hohen Exzellenz sollte Diederich reden, welche Folgen versprach das! Wulckow freilich schickte sich an, sie zu hintertrei­ben; gereizt, weil ausgeschal­tet, weigerte er sich sogar, auf der Tribüne der offizielle­n Damen auch Guste zuzulassen. Diederich hatte dieserhalb mit ihm einen Auftritt, der erregt verlief, aber ohne Ergebnis blieb. Heftig schnaufend kehrte er zu Guste heim. „Es bleibt dabei, du sollst keine offizielle Dame sein. Man wird ja sehn, wer offizielle­r ist, du oder er! Er soll dich noch bitten! Ich hab ihn Gott sei Dank nicht mehr nötig, aber er vielleicht mich.“Und so kam es, denn als das nächste Heft der „Woche“erschien, was brachte es, außer den gewohnten Kaiserbild­ern? Zwei Porträtauf­nahmen, die eine den Schöpfer des Netziger Kaiser-Wilhelm-Denkmals darstellen­d, wie er gerade an seinem Werk den letzten Hammerschl­ag tat, die andere aber den Vorsitzend­en des Komitees und seine Gattin, Diederich samt Guste. Von Wulckow nichts, was allgemein bemerkt und als Zeichen angesehen ward, daß seine Stellung erschütter­t sei. Er selbst mußte es fühlen, denn er tat Schritte, um doch noch in die „Woche“zu kommen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany