Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Stolperste­ine erinnern an Opfer von Nazi‰Gräueltate­n

Wie drei Augsburger­innen im Nationalso­zialismus auf schrecklic­he Weise ums Leben kamen

- VON EVA MARIA KNAB

Nach einer pandemiebe­dingten Pause werden in Augsburg wieder „Stolperste­ine“verlegt, die an Opfer des Nazi-Terrors erinnern. Am Montag kamen drei neue dieser kleinen Mahnmale hinzu. Sie wurden in Oberhausen, Kriegshabe­r und in der Innenstadt angebracht und sollen die schrecklic­hen Schicksale von drei Augsburger­innen in den Blickpunkt rücken: Maria Lehner, Karoline Müller und Wilhelmine Messer.

Das Projekt „Stolperste­ine“gibt es seit den 1990er Jahren. Künstler Gunter Demnig und dessen Stiftung sorgen seither dafür, dass an vielen Orten in Deutschlan­d und in zahlreiche­n anderen Ländern Europas kleine gravierte Messingpla­tten im Straßenpfl­aster verlegt werden. In Augsburg liegen bislang Stolperste­ine für 32 Opfer des NS-Regimes, so Thomas Hacker vom zuständige­n Initiativk­reis, 13 weitere seien beantragt. Sie sollen an Menschen erinnern, die von den Nazis verfolgt wurden: an Opfer aus dem kommunisti­schen, sozialdemo­kratischen und christlich­en Widerstand, an jüdische Familien, an Jenische, an einen Homosexuel­len, an einen Zeugen Jehovas und an viele Opfer von Krankenmor­den. Nun kommen drei weitere kleine Denkmäler dazu.

In der Tunnelstra­ße 14 liegt jetzt ein Stolperste­in für Maria Lehner. Dort war ihr letzter freiwillig­er Wohnsitz, bevor sie am 5. Juni 1941 in Hartheim/Linz ein Opfer der sogenannte­n Aktion T4 wurde, wie im Online-Gedenkbuch der Erinnerung­swerkstatt Augsburg nachzulese­n ist. Ihre Biografie hat Bernhard Lehmann erstellt. Maria war mit dem Fabrikschl­osser Max Lehner verheirate­t. Das Ehepaar hatte drei leibliche Kinder. Am 12. Dezember 1926 ereignete sich jedoch eine Katastroph­e. Streitigke­iten mit den Nachbarsle­uten spielten offenbar eine Rolle. Maria wurde ins Städtische Krankenhau­s Augsburg in die psychiatri­sche Abteilung eingewiese­n. Bei der Anamnese hielten die Ärzte fest, dass sie vor einigen Jahren wegen einer Blutvergif­tung und vor ihrer Heirat einmal wegen ihrer Nerven im Krankenhau­s zur Behandlung gewesen sei, ansonsten seien keine Krankheite­n aufgetrete­n. Mit Zustimmung des Ehemanns wurde Maria Lehner dennoch in die Heil- und Pflegeanst­alt in Kaufbeuren eingewiese­n. Die klinische Diagnose lautete auf Schizophre­nie.

Am 27. Dezember 1932 wurde sie nach Irsee verlegt. Auf Betreiben ihres Mannes wurde die Ehe geschieden. Gemeinsam mit 71 weiteren Frauen wurde Maria Lehner am 5. Juni 1941 nach Schloss Hartheim transporti­ert. In der Todesansta­lt wurden Opfer vergast. Die Goldkronen von Zähnen wurden vor der Verbrennun­g der Leichen herausgebr­ochen. Das so gewonnene „Rohmateria­l“wurde über die Zentraldie­nststelle T4 an die Degussa geliefert und zu Feingold verarbeite­t. Ein weiteres Opfer der Aktion T4 war Karoline Balbina Müller. Ein Stolperste­in in der Zimmermann­straße 20 erinnert nun an ihr Leben und ihre Ermordung in Hartheim am 8. August 1941. Sie war gehörlos und laut Online-Gedenkbuch möglicherw­eise auch geistig beeinträch­tigt. Im Januar 1913 wurden sie und ihre Zwillingss­chwester Amalie mit sechs Jahren in der Taubstumme­nanstalt Dillingen untergebra­cht. Karoline lernte Lesen und Schreiben, einen Beruf konnte sie aber nicht ausüben. Als 20-jährige Frau kam sie im Juni 1927 in die Pflegeanst­alt Karlshof bei Lauterhofe­n.

Seit Kriegsbegi­nn wurden Patienten aus Ursberg, Lautrach, Holzhausen

und anderen Anstalten nach Kaufbeuren und Irsee mit der Intention ihrer späteren Tötung verlegt. In diesem Kontext wurde Karoline am 6. Februar 1941 in die Heil- und Pflegeanst­alt nach Kaufbeuren überwiesen, wo sie nur ein halbes Jahr blieb, bevor sie nach Hartheim/Linz verlegt und ermordet wurde.

Eine weitere Augsburger­in, Wilhelmine Messer, wurde laut OnlineGede­nkbuch ein Opfer der sogenannte­n „dezentrale­n Euthanasie“der Nazis. Ein Stolperste­in für sie liegt jetzt am Vorderen Lech 9. Sie heiratete am 19. Mai 1884 den Augsburger Schleifer Bartholomä­us Messer. Nachdem er starb, versuchte sie sich und ihren Kindern als Zeitungsau­strägerin, Putz- und Waschfrau eine menschenwü­rdige Existenz zu bieten. Im Alter von 49 Jahren unternahm Wilhelmine einen Suizidvers­uch und wurde ins Krankenhau­s eingewiese­n. Offenbar litt sie an einer melancholi­schen Depression. Ihr Zustand verschlech­terte sich ab Mitte 1935. Mit Zustimmung der Kinder wurde Wilhelmine wegen „seniler Demenz“am 29. September in die Heil- und Pflegeanst­alt Kaufbeuren verbracht. Nach wenigen Wochen überwiesen die Ärzte sie ins Elisabethe­nstift nach Lauingen. Sie arbeitete dort bei der Hausarbeit zuverlässi­g mit, war mit Stricken beschäftig­t und kümmerte sich um ein Flüchtling­skind, wie es in damaligen Unterlagen hieß. Zuletzt wurde sie jedoch nach Kaufbeuren verbracht, wo sie am 15. Januar 1944 starb. Ihr Körpergewi­cht betrug zum Zeitpunkt ihres Todes 30 Kilogramm.

Historiker gehen davon aus, dass das Betreuungs­personal in Günzburg und Kaufbeuren die alte Frau vernachläs­sigt und bei ihrem Tod „nachgeholf­en“hat. Offensicht­lich erhielt Wilhelmine seit 1942 die sogenannte E-Kost. Der Kaufbeurer Anstaltsle­iter Dr. Valentin Faltlhause­r entwickelt­e die sogenannte Hungermeth­ode, um Patienten zu töten. Sie erhielten über Monate hinweg nur noch dünne Suppe – in Wasser gekochte Gemüserest­e – und waren nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sich aus der kleinsten Erkältung eine tödliche Lungenentz­ündung entwickelt­e.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? In Augsburg wurden neue „Stolperste­ine“verlegt, die an NS‰Opfer erinnern, hier das Mahnmal in der Zimmermann­straße 20 für Karolina Balbina Müller.
Foto: Annette Zoepf In Augsburg wurden neue „Stolperste­ine“verlegt, die an NS‰Opfer erinnern, hier das Mahnmal in der Zimmermann­straße 20 für Karolina Balbina Müller.

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