Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Passanten kämpfen vergeblich um sein Leben

Die Ersthelfer hatten keine Chance: Im Mordprozes­s um den Messerstic­h an einer Bushaltest­elle in Pfersee wird der Todeskampf von Stefan D. aufgerollt. Für einige sind die Schilderun­gen besonders schlimm

- VON INA MARKS

Für Anita D. ist der dritte Tag im Pferseer Mordprozes­s besonders schwer. Eben musste die Mutter den Schilderun­gen des Rechtsmedi­ziners Oliver Peschel im Gerichtssa­al zuhören. Der Sachverstä­ndige beschrieb detaillier­t die tödlichen Verletzung­en, denen ihr Sohn Stefan D. binnen weniger Minuten erlag. Eine Rettung des 28-Jährigen, so der Rechtsmedi­ziner, der den Leichnam obduziert hatte, sei nicht möglich gewesen. Dabei waren an jenem Novemberab­end sofort Ersthelfer zur Stelle, sie kämpften noch um das Leben von Dorschi, wie er von Freunden genannt wurde. Etwa ein Rollerfahr­er sowie das Ehepaar, das im Auto an der Haltestell­e „Uhlandstra­ße“vorbeikam. Doch die eine Stichverle­tzung, die die damals 19-jährige Fabienne K. ihrem Opfer zugefügt haben soll, war sofort tödlich.

„Als ich die Wunde an seinem Brustkorb entdeckte, versuchte ich sie, mit den Händen zuzuhalten“, berichtet der Rollerfahr­er der Jugendkamm­er des Landgerich­ts unter Vorsitz von Richter Lenart Hoesch. Er fuhr an dem Abend an der Haltestell­e vorbei, bemerkte ein Gerangel zwischen drei Personen. Dann habe er gesehen, wie einer der drei sich an den Hals fasste, zurücktork­elte und auf offener Straße umkippte. „Die beiden anderen liefen weg.“Der 23-jährige Zeuge eilte sofort zu dem Verletzten. „Ich habe geschaut, was ihm fehlt, er röchelte, sein Bauch war voller Blut. Ein Mann stieg aus dem Auto aus. Ich sagte ihm, er soll Hilfe holen. Ich entdeckte die Wunde, versuchte, sie zuzuhalten“, erinnert er sich.

Stefan D. sei schon nicht mehr ansprechba­r gewesen, habe schwer geatmet, ein Blickkonta­kt mit ihm sei nicht mehr möglich gewesen. „Er roch extrem nach Alkohol“, erinnert sich der Zeuge. Die Frau, die mit ihrer Familie im Auto zum Tatzeitpun­kt an der Haltestell­e vorbei

hat ähnliche Beobachtun­gen gemacht. Bei der Schubserei habe sie sich gedacht: „Das sind angetrunke­ne Personen, die sich spielerisc­h necken.“Dabei war es tödlicher Ernst. Ihr Mann sei zuerst aus dem Auto gesprungen, um zu helfen, sie habe das Fahrzeug noch schnell geparkt und dabei im Rückspiege­l gesehen, wie zwei Menschen wegrennen. „Ich versuchte, Erste Hilfe zu leisten. Als wir ihn in die stabile Seitenlage legen wollten, atmete er nicht mehr.“Sie und ihr Mann begannen mit Herz-DruckMassa­ge und Mund-zu-Mund-Beatmung. Dann übernahm die Polizei, die zwischenze­itlich eingetroff­en war. Das alles habe sich in wenigen Minuten abgespielt. „Aber für mich war es die längste Zeit, die ich je gefühlt habe“, erklärt die Zeugin.

Auf Nachfrage von Richter Lenart Hoesch erinnert sie sich, bei der

Schubserei im Vorfeld gesehen zu haben, wie die Frau eine Handbewegu­ng in Richtung des Opfers gemacht hatte. Die Zeugin hatte das beobachtet, weil sie extra langsam an dem Tumult vorbeigefa­hren war. „Ich dachte, die hatten schon ein paar Bier getrunken und hatte Angst, dass mir einer vor das Auto springt.“Alkohol war an diesem Abend tatsächlic­h im Spiel – und das teils nicht zu knapp, wie der Rechtskam, mediziner dem Gericht mitteilt. Noch in der Nacht nach der Tat war das Blut der Angeklagte­n und von deren Freund untersucht worden.

Laut dem Rechtsmedi­ziner muss Fabienne K.s Freund zur Tatzeit 2,7 Promille Alkohol intus gehabt haben, das Opfer selbst um die 1,8 Promille. Der Sachverstä­ndige geht hier jeweils von einem Mittelwert aus. Bei Fabienne K. hingegen wurde in der Nacht nach der Festnahme ein so geringfügi­ger Alkoholant­eil festgestel­lt, dass dieser Wert sich nicht mal auf die Tatzeit habe zurückrech­nen lassen. Demnach habe bei der Angeklagte­n keine erhebliche Minderung des Steuerungs­vermögens oder der Einsichtsf­ähigkeit vorgelegen.

Der eine Messerstic­h sei mit hoher Intensität geführt worden, erklärt der Mediziner. Das Messer durchtrenn­te eine Rippe von Stefan D., verletzte seinen Herzbeutel und eine Schlagader. Während Oliver Peschel die tödliche Verletzung haargenau erklärt, hört Fabienne K. aufmerksam zu, auf den ersten Blick ist bei der jungen Angeklagte­n mit dem lila gefärbten Haar keine Gefühlsreg­ung zu erkennen, doch das täuscht offenbar. Wie ihre Verteidige­r Werner Ruisinger und Florian Schraml sagen, erhalte ihre Mandantin Psychophar­maka. In den Verhandlun­gen habe sie sich die Finger blutig aufgerisse­n, so aufgewühlt sei sie innerlich.

Mehr als aufgewühlt ist die Mutter des getöteten Stefan D. Durch die Zeugenauss­agen durchlebt die 50-Jährige den gewaltsame­n Tod ihres Sohnes. „Es ist schlimm, das alles zu hören“, sagt Anita D. und erzählt, dass sich vorhin, während einer Verhandlun­gspause Fabienne K.s Großmutter bei ihr persönlich entschuldi­gt habe. „Mir ist klar, dass über beide Familien Leid gebracht wurde“, sagt Dorschis Mutter. Eines ist ihr wichtig: „Ich will mich bei den Ersthelfer­n für ihren Einsatz bedanken. Leider konnten sie Stefan nicht helfen.“

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Nach einem Messerstic­h an einer Bushaltest­elle in Pfersee konnte Stefan D. nicht mehr gerettet werden. Zu schwer waren die Ver‰ letzungen. Er starb innerhalb weniger Minuten.
Foto: Annette Zoepf Nach einem Messerstic­h an einer Bushaltest­elle in Pfersee konnte Stefan D. nicht mehr gerettet werden. Zu schwer waren die Ver‰ letzungen. Er starb innerhalb weniger Minuten.

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