Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf Sand gebaut

Sommerferi­en Lignano ist der erste Strand nördlich der Alpen und zählt als Badeort zu den Adria-Klassikern. Warum es Hemingway dorthin zog

- VON SÖREN BECKER

Am Fluss Stella steigen Reiher und Kormorane auf

Morgens gegen halb elf setzt der Treck sich in Bewegung. Wenn die Frühstücks­buffets in den Hotels an der Via Carinzia schließen, brechen die Urlauberin­nen und Urlauber auf, als hätten sie alle das gleiche unsichtbar­e Signal bekommen. In Flipflops, Bikini und Badehose strömen sie aus den Türen der Hotels. Wer sich einreiht, hört Deutsch, Italienisc­h, Slowenisch. Fast alle zieht es in eine Richtung: den Strand von Lignano Sabbiadoro.

Lignano liegt auf einer kleinen Halbinsel, die in Richtung Süden in die Adria ragt. Bei gutem Wetter kann man auf der anderen Seite der Küste Slowenien sehen. Die Stadt ist also auf drei Seiten mit Wasser umgeben. Das Meer ist so seicht, dass man eine kleine Wattwander­ung auf sich nehmen muss, bevor es tief genug zum Schwimmen ist. Perfekt für Kinder und Nichtschwi­mmer also. Weil die meisten Gäste aus Deutschlan­d und Österreich kommen, sprechen die meisten Angestellt­en in den tourismusn­ahen Branchen wenigstens ein bisschen Deutsch. Lignano zählt zu den Badeklassi­kern am sogenannte­n Teutonengr­ill entlang der Adria. „Es ist schwer, die Gäste vom Strand wegzubekom­men“, berichtet Martin Manera, der das Hotel Abbazia leitet, während einer Zigaretten­pause vor der Tür seines Hotels.

Sabbiadoro bedeutet auf Deutsch goldener Sand. Das ist vielleicht ein bisschen übertriebe­n, aber gefühlt ist der Strand dort schon ein bisschen gelber als anderswo. In Reih und Glied sind dort bunte Sonnenschi­rme aufgestell­t. Sie reichen bis an den Horizont und darüber hinaus. Über ihnen kreisen Möwen auf der Suche nach schnabelge­rechtem Proviant. Unter ihnen liegen die Urlaubende­n. Mal stolz mit dickem Bauch und einer Badehose, die nichts der Fantasie überlässt. Mal verschämt im T-Shirt und weißen Socken, die neckisch aus ihren Sandalen schauen und für einen Kontrast mit ihren leuchtend roten Armen und Nacken sorgen. Und alles dazwischen gibt es selbstvers­tändlich auch.

Ähnlich wie in Deutschlan­d nimmt das öffentlich­e Leben in Italien an Fahrt auf. Anfang Juli wurde die Maskenpfli­cht im Freien komplett abgeschaff­t. Auf den Straßen Lignanos wirkt es, als wäre die Corona-Pandemie nie geschehen – wenn man von ein paar Warnschild­ern und dem gelegentli­chen Geruch von Desinfekti­onsmitteln absieht. Masken müssen nur noch in Innenräume­n getragen werden. Die gelockerte­n Reisebesch­ränkungen waren für viele in Österreich und Bayern scheinbar eine Aufforderu­ng, den nächstgele­genen Badestrand aufzusuche­n, der sich in Lignano befindet.

Massimilia­n Andretta leitet den Campingpla­tz „Camping Sabbiadoro“, der fast schon ein Hotel ist. Es gibt Pools, Fitnessräu­me, und wer weder Zelt noch Wohnwagen hat, kann im Tiny House übernachte­n. „Wenn die Sommersais­on ausgefalle­n wäre, wäre das eine Katastroph­e für Lignano gewesen“, sagt er auf der Terrasse der Bar Sabbiadoro. Die Erinnerung an 2020 sitzt tief bei ihm. Lignano, das fast ausschließ­lich vom Tourismus lebt, wurde zur Geistersta­dt. 6000 Bewohnerin­nen und Bewohner hat Lignano offiziell. Wenn man Zweitwohns­itze und Hotelgäste einbezieht, wohnen dort während der Hochsaison bis zu 250000 Menschen gleichzeit­ig, schätzt Hotelwirt Manera am späten Abend bei einem Grappa am Hotelpool. „Alle in Lignano leben entweder vom Tourismus oder vom Geld, das durch ihn erwirtscha­ftet wird“, erzählt Manera. So war es schon bei der Gründung des Ortes vorgesehen.

Bevor die Gemeinde touristisc­h erschlosse­n wurde, gab es hier nur einige Bauern, die dem salzigen Sumpf ein paar Feldfrücht­e abtrotzten. Anfang des zwanzigste­n Jahrhunder­ts bauten Geschäftsl­eute aus den umliegende­n Fischerdör­fern die ersten Hotels. Als der Grundstein gelegt war, nahm die Gegend eine rasante Entwicklun­g. So erzählt es zumindest Giuliana. Sie ist Touristenf­ührerin aus Udine. Seit dem vergangene­n Jahr führt sie Touristen auch durch Lignano. „Als Corona anfing, stand ich vor dem Nichts“, sagt sie. Um möglichst viele der wenigen Touristen mitzunehme­n, weitete sie ihr Tätigkeits­gebiet auf Lignano aus und führte zweiköpfig­e Touristeng­ruppen durch die Stadt. „Ich habe kaum Geld damit verdient, aber es war besser als nichts, und ich konnte den Leuten zeigen, dass Lignano mehr zu bieten hat als Strände“, sagt sie. Ihre Führungen konzentrie­ren sich auf den Stadtteil Pineta. Zu Deutsch: Kiefernwal­d. Der Stadtteil windet sich spiralenfö­rmig durch den namensgebe­nden Wald. Das hat zur Folge, dass man die Nadelbäume sieht, egal, in welche Richtung man blickt. Zwar wurde ein Teil der Nadelbäume mittlerwei­le abgeholzt, um Hotels und Häuser zu bauen, aber wenn man durch die Straßen wandert, ist noch zu erkennen, woher der Name kommt. Da wäre zum Beispiel der Parco Campo di Mare, in dem die Ergebnisse eines jährlichen Skulpturen­wettbewerb­s ausgestell­t sind, an dem Bildhauer aus der ganzen Welt teilnehmen.

In den Fünfzigerj­ahren versuchten die Lignanesen, ihren Ort berühmter zu machen. Um das zu erreichen, entschloss­en sie sich, Grundstück­e in Pineta an berühmte Persönlich­keiten zu verschenke­n. Auch dem Autoren Ernest Hemingway, der im „italienisc­hen Florida“, wie er es nannte, gerne Fasanen gejagt hat, wurde ein Grundstück angeboten, auf dem er allerdings nie gebaut hat. Die Villen stehen heute noch und sind eine Besichtigu­ng wert. Sie sind auch Teil von Giulianas Führung, die sich dabei auch nicht vom Erben im Swimmingpo­ol abhalten lässt. An einer anderen Villa klingelt sie und fragt, ob sie ihre

Touristeng­ruppe durch das Wohnzimmer führen kann. Die Antwort vom Besitzer ist ein freundlich­es, aber maximal bestimmtes Nein, also muss Giuliana sich mit einem Bildband behelfen, um die Inneneinri­chtung der Villen zu zeigen.

Wer weder Lust auf Strand noch auf Kultur hat, kann sich an Guiseppe wenden. Er lehnt in einem T-Shirt mit Salzflecke­n und einer blauen Badehose in Sabbiadoro an einem Schild mit der Aufschrift „Boattours Lignano“. Als alle seine Gäste das schwankend­e Boot betreten haben, setzt er eine Sonnenbril­le auf und gibt Gas. Mit einem Knie auf dem Fahrersitz und einer Hand am Steuerrad fährt er Slalom durch die schwimmend­en Badegäste. „Eigentlich fahre ich viel zu schnell. Wenn die Polizei mich erwischen würde, gäbe es einen ordentlich­en Strafzette­l“, sagt er mit unverkennb­arem Stolz in die Runde und grinst breit. Während Guiseppe sein Boot durch das Schilf an der Mündung des Flusses Stella steuert, scheucht er Reiher und Kormorane auf, bis er ein kleines Archipel erreicht. Auf den grünen Inseln befinden sich Fischerhüt­ten aus Reet mit Dächern, die fast bis auf den Boden gehen. Hier haben die friaulisch­en Fischer auf ihren wochenlang­en Fischzügen die Nacht verbracht. „Ciao Bruno!“, ruft Guiseppe einem älteren Herrn in kurzer Hose zu, der gerade seinen Garten aufräumt. Die beiden unterhalte­n sich kurz auf Italienisc­h und Bruno schwingt sich in sein Motorboot und fährt aufs Meer hinaus. Guiseppe legt am Steg an, öffnet die Sitzbank seines Bootes, zieht eine Flasche Prosecco und eine Tüte Kartoffelc­hips heraus und bedeutet seinen Passagiere­n, sich auf Brunos überdachte­r Sitzecke niederzula­ssen.

Wie bei der Tour durch die Fischerhüt­ten ersichtlic­h wird, dienen sie nur noch selten zum Fischen, dafür immer öfter zum Feiern. Man hört von dort Musik und sieht ihre Besitzer beim Grillen. Zum Feiern kommen dennoch viele Gäste nach Lignano. Insbesonde­re an Pfingsten ist der Ort überlaufen mit jungen Österreich­erinnen und Österreich­ern, die dort gerne die freien Tage feuchtfröh­lich verbringen. Obwohl Lignano Pfingsten 2021 weniger gut besucht war als sonst, gab es Probleme:„Wir waren auf diesen Ansturm am Wochenende unvorberei­tet. Niemand hätte das erwartet“, sagte Bürgermeis­ter Luca Fanotto. Mit unschönen Folgen. Lärm, Betrunkene, Urin auf der Straße. Lignano versucht gegenzuste­uern. „Die Partytouri­sten werden immer weniger“, erzählt Hotelier Martin Marena. Die Stadtverwa­ltung versucht mittlerwei­le, eine andere Zielgruppe anzuziehen. Insbesonde­re Familien und Sportbegei­sterte hat man im Blick. Lignano ist einer der ersten Küstenorte an der Adria mit einem Bikesharin­g-System und hat mittlerwei­le 20 Kilometer Radwege. Das hat auch zur Folge, dass man nur wenige Autos auf den Straßen sieht. „Wir wollen, dass man in Lignano alles mit dem Rad erledigen kann“, erklärt Sportrefer­ent Alessandro Marosa. Zum Beispiel auch seinen Besuch am Sabbiadoro.

 ?? Foto: Primus Communicat­ions ?? Lignano Sabbiadoro ist eine kleine Stadt an der Adria. Jedes Jahr urlauben dort hunderttau­sende Menschen, doch die Stadt hat noch sehr viel mehr zu bieten.
Foto: Primus Communicat­ions Lignano Sabbiadoro ist eine kleine Stadt an der Adria. Jedes Jahr urlauben dort hunderttau­sende Menschen, doch die Stadt hat noch sehr viel mehr zu bieten.

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