Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Hippologische Werth-Arbeit garantiert Gold
Wenn einer Olympiasiegerin eine Lastwagenladung Karotten lieber ist als ein lukrativer Werbevertrag, handelt es sich meist um einen der vierbeinigen Stars der Spiele. In diesem Fall um Bella Rose, die ihre Reiterin Isabell Werth mit schlafwandlerischer Sicherheit zur Olympischen Mannschaftsgoldmedaille in der Dressur getragen hat. Das ist bei der bewegungsstarken Fuchsstute und der nach Erfolgen gemessen besten Dressurreiterin der Welt nicht die allergrößte Überraschung, dafür aber eine Leistung, die im Reitsport noch niemandem geglückt ist.
Denn die hippologische WerthArbeit hat der deutschen DressurKönigin nicht nur ihr siebtes Gold gebracht. Die 52-Jährige hat ihre olympischen Erfolge über fast 30 Jahre gleich mit vier verschiedenen Pferden erritten: mit ihrem legendären Gigolo in Barcelona, Atlanta und Sydney, mit dem eigenwilligen Satchmo in Hongkong und mit der eleganten Rappstute Weihegold in Rio de Janeiro. Und nun also Bella Rose, die nach langer Verletzungspause wieder in Weltklasseformat durchs Viereck tanzt.
Die meisten Profi-Reiter wären schon froh, wenn sie einmal in ihrem Leben einen Vierbeiner unter den Sattel bekämen, der diese Qualität hat. Dass Isabell Werth über Jahrzehnte hinweg auf so hohem Niveau reitet, hat sie einerseits ihrer spendierfreudigen Mäzenin, andererseits ihrem herausragenden Können zu verdanken, das Leistungsvermögen ihrer Pferde perfekt in Szene zu setzen. Dabei geht es nicht darum, den Tieren Kunststücke abzuverlangen. Dressurreiten bedeutet, die natürlichen Bewegungsabläufe der Pferde aus der freien Natur zu kultivieren und als Reiter auf dem Punkt abzurufen. Sei es das Imponierverhalten in Form von Piaffe und Passage oder die unterschiedliche Gangarten mit fliegenden Galoppwechseln oder Tempoverstärkungen.
Isabell Werth gelingt das wie kaum einer anderen. Kaum. Denn im deutschen Team sind ihr zwei andere Damen ganz dicht auf den Fersen: Jessica von Bredow-Werndl und Dalera. Der Aubenhausenerin, die in Tokio gerade ihre umjubelte Olympia-Premiere feiert, wird durchaus zugetraut, ihr Idol Werth einmal ablösen zu können.
So dürfte es am Mittwoch in der Einzelwertung, der Kür, zum aufsehenerregenden Zweikampf der beiden deutschen Spitzenreiterinnen kommen. Haben Isabell Werth und Bella Rose wieder die Nase vorn, wäre es das achte Gold für Werth und sie würde mit der deutschen Rekordhalterin, der Kanutin Birgit Fischer, gleichziehen. Bella Rose würde dann sicher eine Lastwagenladung Karotten den zweiten Olympiasieg versüßen.