Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schlecht abgeschirm­t

Boris Johnson erlebt Mr.-Bean-Moment

- VON MICHAEL STIFTER

London Prinz Charles ist ein Mann der alten Schule. Als Mitglied der britischen Königsfami­lie hat der heute 72-Jährige von Geburt auf gelernt, stets Haltung zu bewahren, nie die Contenance zu verlieren. Doch mit einem Mann wie Boris Johnson an seiner Seite stößt auch ein routiniert­er Royal an seine Grenzen. Während der Einweihung eines Denkmals nimmt es der Premiermin­ister mit einem widerspens­tigen Regenschir­m auf. Der Schirm gewinnt, der Kronprinz lacht herzhaft und Johnson hat wieder einen Platz im Jahresrück­blick sicher.

Die Szene, die der legendären britischen Serie „Mr. Bean“alle Ehre gemacht hätte, beginnt eigentlich relativ harmlos. Der Prinz und der Premier sitzen nebeneinan­der im Regen. Das ist nichts Ungewöhnli­ches auf der Insel. Während Charles bereits bestens beschirmt alle Unbill an sich abperlen lässt, versucht es Johnson zunächst oben ohne. Erst spät greift er zum Schirm – und die Pannenseri­e nimmt ihren Lauf.

Zunächst sucht der Politiker lange vergeblich und zum Amüsement der anderen Gäste nach einem Knopf oder einem anderen Trick, mit dem man dieses verflixte Ding aufspannen könnte. Als er es endlich geschafft hat, bietet er den Regenschut­z – ganz Gentleman – seiner grinsenden Innenminis­terin Priti Patel an. Doch ein Windstoß klappt ihn nach oben und lässt den Regierungs­chef wieder im Regen sitzen. Das ist dann auch der Moment, in dem Prinz Charles endgültig die Beherrschu­ng verliert. Während handwerkli­ches Geschick offenbar nicht zu Johnsons Stärken gehört, verfügt der Premier dafür über eine Menge Humor. Und so muss er über seinen Mr.-Bean-Moment letztlich selbst am meisten lachen.

gleich hatte Präsident Kais Saied Ministerpr­äsident Hichem Mechichi abgesetzt, das Parlament beurlaubt und die Immunität der Abgeordnet­en aufgehoben. Mit bangem Blick stellt sich nicht nur der Westen die Frage: Wohin steuert Tunesiens Demokratie? Die Europäisch­e Union rief zur Wahrung der Demokratie auf. Auch die USRegierun­g forderte Saied auf, die „Prinzipien der Demokratie und der Menschenre­chte“zu achten.

Der Zeitpunkt der Krise ist kein Zufall. Das Land steckt in großen wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten, seit Tagen kommt es immer wieder zu Protesten. Die Zahl der CoronaInfe­ktionen steigt, die Impfungen kommen nur sehr langsam voran. „Die Corona-Pandemie, insbesonde­re die Entwicklun­gen der letzten Monate mit der Überlastun­g des tunesische­n Gesundheit­ssystems, haben als Brandbesch­leuniger für die gesellscha­ftliche Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g gewirkt, die allerdings nicht neu ist“, sagt Lukas Kupfernage­l, Referent in der Abteilung Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung, unserer Redaktion. „Die wirtschaft­liche Lage ist, gepaart mit dauerhafte­n politische­n Grabenkämp­fen, zunehmend problemati­sch für große Teile der Bevölkerun­g.“

Die politische und gesellscha­ftliche Gemengelag­e ist verworren. Insbesonde­re säkulare Akteure würden in der islamisch-konservati­ven

Ennahda, die die größte Fraktion im Parlament ist, den Hauptschul­digen an der Misslage sehen. Die letzten Monate hätten sich der parteilose Staatspräs­ident Saied, Premiermin­ister Mechichi (unabhängig) und Parlaments­präsident Ghannouchi (Ennahda) gegenseiti­g blockiert. Möglich macht das eine komplizier­te Verfassung, die dem Präsidente­n weitreiche­nde Rechte zugesteht. „Nachdem Premiermin­ister Mechichi den bisherigen, auch dem Präsidente­n nahestehen­den Gesundheit­sminister Faouzi Mehdi wegen der schlechten Gesundheit­slage entlassen hatte und es am Tag der Republik vor allem in den Großstädte­n zu Protesten gegen die aktuelle Regierung kam, berief sich Staatspräs­ident Saied auf Artikel 80 in der tunesische­n Verfassung, der ihm erlaubt, bei immanenter Gefahr für den Staat das Parlament zu entund 30 Tage lang exekutiv zu regieren“, erklärt Kupfernage­l die Hintergrün­de. Nicht alle im Land glauben allerdings, dass die Aktion juristisch wasserdich­t ist. Parlaments­präsident Ghannouchi hat erklärt, Saied habe sich, anders als vorgeschri­eben, nicht vorab mit ihm beraten. Klären könnte den Streit ein Verfassung­sgericht, dessen Gründung wegen eines Konflikts über die Richter-Zusammense­tzung aber immer noch aussteht.

Umfragen zeigen, dass die Tunesierin­nen und Tunesier mit großer Mehrheit hinter dem Präsidente­n und der Entlassung des Ministerpr­äsidenten stehen. Vor allem sein Kampf gegen die Korruption ist es, der Saied zu hohem Ansehen verhilft – ein Problem, das beinahe alle Bereiche des Landes ergriffen hat und zum Mühlstein für den Fortschrit­t wird. Die Reformen, die nach dem Sturz von Langzeithe­rrscher Zine El Abidine Ben Ali im Jahr 2011 versproche­n waren, kommen kaum voran. Neun Regierunge­n versuchten in den vergangene­n zehn Jahren das vermeintli­che Musterland zu regieren – manche davon nur wenige Monate. Der Euphorie folgte eine große Ernüchteru­ng. Millionen Familien leben oft über Generation­en am Existenzmi­nimum. Viele schlagen sich ein Leben lang als Tagelöhner oder mit Jobs im informelle­n Sektor durch. Selbst ein Universitä­tsabschlus­s endet für 30 Prozent in der Sackgasse Arbeitslos­igkeit. Noch immer verlassen vor allem junge Menschen das Land, um im Westen ihre Zukunft zu suchen.

Die Erwartunge­n, die nun in Saied gesetzt werden, sind also gigantisch. Unklar ist, wohin er das Land führen will. Viele fühlen sich erinnert an Präsident Abdel Fattah almachten

auf den Artikel 80 der Verfassung berufen, der ihm gewisse Sonderrech­te zugesteht. „Das ist verfassung­srechtlich umstritten“, sagt Kupfernage­l. „Insofern ist das, was passiert ist, in jedem Fall ein Rückschlag. Anstatt die Konflikte mit demokratis­chen Mitteln zu lösen, hat Staatspräs­ident Saied einen Weg außerhalb demokratis­cher Verfahrens­weisen gewählt, um gegen die immensen Probleme des Landes vorzugehen.“Inzwischen habe er angekündig­t, sich an die 30 Tage halten zu wollen, einen neuen Premiermin­ister einzusetze­n und die Prozeduren einhalten zu wollen. „Vor allem beginnt er mit einer Antikorrup­tionskampa­gne und hat dutzende hochrangig­e Regierungs­beamte bereits des Amtes enthoben“, sagt Kupfernage­l.

Für ihn stellt sich vor allem eine Frage: Was kommt danach? „Schaffen es die Parteien durch diese Vorkommnis­se, sich neu zu sortieren und sich langfristi­g das Vertrauen der Bevölkerun­g zurückzuho­len? Wie findet sich Ennahda unter dem zunehmende­n Druck zurecht und wie wird sich der anstehende Kampf um den Parlamenta­rismus weiterentw­ickeln?“, fragt er. Das sei allerdings keine Frage von Tagen oder Wochen, sondern werde möglicherw­eise Jahre in Anspruch nehmen. Und trotzdem bleibt er optimistis­ch: „Von einem Rückfall in eine Diktatur ist nicht auszugehen.“

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Foto: Hedi Azouz, dpa Soldaten bewachen den Haupteinga­ng des tunesische­n Parlaments. Die Truppen umstellten das Gebäude und hinderten die Ab‰ geordneten am Zutritt. Präsident Saied will das politische System des Landes umbauen.
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Foto: Imago Images Prinz Charles abgeschirm­t, Boris John‰ son nicht so ganz.

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