Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Wachstum ist zurück, die Inflation auch

Nach dem Corona-Zwischenti­ef nach der zweiten Welle legt die Wirtschaft wieder zu, wenn auch schwächer als erwartet. Für viele Menschen ist das nicht erfreulich: Die rasch steigenden Preise liegen über den Lohnerhöhu­ngen

- VOn CHRISTIAn GRImm

Berlin Die deutsche Wirtschaft meldet sich zurück. Im zweiten Quartal kletterte die Wirtschaft­sleistung im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres um inflations­bereinigt 1,5 Prozent, wie das Statistisc­he Bundesamt mitteilte. Das Plus fiel allerdings schwächer aus als von den Konjunktur­deutern vorausgesa­gt. Sie hatten im Mittel mit einem Wachstum von 2 Prozent gerechnet.

Zwischen April und Juni haben Bund und Länder die Corona-Beschränku­ngen schrittwei­se gelockert, weshalb die Leute mehr Geld in Geschäften und Wirtshäuse­rn ausgaben. Zeitgleich erhöhte der Staat seine Ausgaben und stützte damit die Konjunktur, die durch die einschneid­ende Seuchenpol­itik im Winter ins Minus gerutscht war – um 2,1 Prozent nach unten zwischen Januar und März.

Weil die Erholung schwachbrü­stig daherkommt, haben einige Ökonomen ihre Jahresprog­nose wieder nach unten gesetzt – zum Beispiel Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer. Er rechnet nur noch mit einem Wachstum von 3,3 Prozent. Zuvor hatte er 4 Prozent für 2021 prognostiz­iert. Trotz des Dämpfers dürfte es dafür reichen, dass bis Jahresende die Wirtschaft­sleistung wieder Vorkrisenn­iveau erreicht.

Zwei Faktoren sind es, die sich derzeit über die Zuversicht legen. Erstens bekommt die für Deutschlan­d so bedeutsame Industrie den Mangel an Computerch­ips zu spüren, weshalb sie nicht unter Volllast arbeiten kann. „Anhaltende Lieferschw­ierigkeite­n bei Vorprodukt­en drohen die noch intakte deutsche und europäisch­e wirtschaft­liche Erholung in der zweiten Jahreshälf­te zu gefährden“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang.

Zweitens ist unklar, ob eine vierte Welle dazu führt, dass bestimmte Branchen wie Tourismus, Handel und Gastronomi­e nochmals in eine Zwangspaus­e versetzt werden. „Aber viele Politiker reden wieder von neuen Beschränku­ngen“, mahnte Krämer von der Commerzban­k. Zwar werden in Deutschlan­d und den wohlhabend­en Ländern der Welt die große Mehrzahl der Menschen durch Impfungen geschützt sein, aber es gibt Handelspar­tner, die weit weniger Impfstoff erhalten haben. Für die exportlast­ige deutsche Wirtschaft ist das ein Problem.

Selbst wenn das Corona-Virus noch mal zuschlagen sollte, scheint eine Gefahr gebannt: Massenentl­assungen sind nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Das deutsche Jobwunder der vergangene­n zehn Jahre feiert eine Wiederkehr. Der Bedarf an Arbeitskra­ft ist so groß, dass in diesem Jahr die sonst übliche Sommerdell­e ausgeblieb­en ist. Nach den frischen Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) ging die Zahl der Arbeitslos­en im Juli zum Juni um 24 000 zurück. Insgesamt waren 2,6 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, was einer Quote von 5,6 Prozent entspricht. Vor der Pandemie lag sie im besten Falle bei 4,8 Prozent. In den kommenden Monaten wird es wieder in diese Richtung gehen, wenn die Arbeitsage­ntur recht behält. „Das Wachstum der Beschäftig­ung hält an. Und die Unternehme­n suchen vermehrt nach neuem Personal“, berichtete BA-Chef Detlef Scheele.

Weil in den nächsten Jahren die geburtenst­arken Jahrgänge nach und nach in Rente gehen, werden sich die Jüngeren ihre Stellen aussuchen können, so lange keine schwere Krise dazwischen­fährt. Die Freude über die guten Aussichten auf dem Stellenmar­kt wird allerdings getrübt vom sprunghaft­en Anstieg der Teuerung: Um 3,8 Prozent verteuerte­n sich Waren und Dienstleis­tungen im Juli im Vergleich zum Vorjahresm­onat. Damit hat die Inflation erstmals seit 13 Jahren die Marke von 3 Prozent überstiege­n.

Hauptursac­he für das Emporschne­llen ist ein statistisc­her Effekt. Im Juli vergangene­n Jahres setzte die Mehrwertst­euersenkun­g ein. Sie war zwar auf ein halbes Jahr begrenzt, nun aber wirkt sich die Rückkehr zum vollen Satz das erste Mal in den Berechnung­en zur Inflation aus. Außerdem kostet Rohöl derzeit weitaus mehr als Mitte 2020. Die Mehrzahl der Volkswirte rechnet allerdings nicht mit neuen Spitzen, sondern mit einem baldigen Abflachen des Inflations­anstiegs.

Für die Beschäftig­ten und Rentner heißt das dennoch, dass sie kurzfristi­g an Kaufkraft einbüßen. Das gewerkscha­ftsnahe Wirtschaft­sund Sozialwiss­enschaftli­che Institut prognostiz­iert für dieses Jahr nur einen Anstieg der Tariflöhne um 1,6 Prozent. Sparer, die ihr Geld auf dem Konto sammeln, verlieren ebenso. Die Zinsen für Spareinlag­en liegen um die Marke von null Prozent.

 ?? Foto: dpa ?? An der Tankstelle wird es besonders deutlich: In vielen Bereichen des Alltags müssen höhere Preise bezahlt werden. Und die Teuerung liegt über dem Lohnplus.
Foto: dpa An der Tankstelle wird es besonders deutlich: In vielen Bereichen des Alltags müssen höhere Preise bezahlt werden. Und die Teuerung liegt über dem Lohnplus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany