Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kritik am Urteil gegen „Kinderporn­o‰Richter“

In Anwaltskre­isen wundert man sich über die Geldstrafe gegen den 59-Jährigen. Und der Kinderschu­tzbund fordert eine Prüfung der internen Strukturen, um ähnliche Fälle zu verhindern

- VON INA MARKS

Entsetzen und Empörung reißen nicht ab. Fassungslo­sigkeit herrscht nicht nur darüber, dass ein Richter im Besitz von über 4000 Kinderporn­os war, sondern auch, weil er dafür sein Amt missbrauch­t hatte. Zum Teil hatte sich der Jurist das Material über Gerichtsak­ten beschafft. Die Entrüstung über das Urteil gegen den 59-Jährigen ist nach wie vor groß, nicht nur in Justizkrei­sen erscheint es vielen zu milde. Der einstige Leiter einer Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­ts, der zuletzt als Richter für den Zivilsenat des Oberlandes­gerichts München (OLG) in der Augsburger Zweigstell­e gearbeitet hatte, hatte einen Strafbefeh­l über 4500 Euro akzeptiert. Damit entging er eine Hauptverha­ndlung. Vermutlich wollte er auch vermeiden, dass die Öffentlich­keit aufmerksam wird. Publik wurde der Fall dennoch. Vor allem im Internet kochen seitdem die Emotionen hoch.

„Jetzt sind die Kinder nicht mal vor den Richtern sicher“, heißt es etwa in den Kommentars­palten. In erster Linie aber ärgern sich die Menschen über das Urteil. „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“, ist zu lesen oder „Da ist wohl die Augenbinde von Justitia verrutscht.“Viele sehen das Vertrauen in die Justiz erschütter­t. Von den Taten des einstigen Richters, der als Vorzeigebe­amter galt, sowie von der öffentlich­en Kritik am Urteil wird auch im bayerische­n Justizmini­sterium Notiz genommen. So ein Fall sei in Bayern bislang nicht aufgetrete­n, heißt es auf Nachfrage. „Es zeigt, dass die Täter aus dem Deliktsber­eich Kinderporn­ografie allen gesellscha­ftlichen Schichten und allen Berufsgrup­pen angehören“, sagt Pressespre­cherin Andrea Leonhardt. Richterinn­en und Richter hätten Vorbildfun­ktion. „Eine solche Tat und die Ausnutzung des Amtes verletzt diese in gröbster Weise.“Zum Urteil selbst äußert man sich im Ministeriu­m nicht.

Die Generalsta­atsanwalts­chaft Bamberg hatte den Strafbefeh­l gegen den 59-Jährigen beantragt. Dort sind die Zentralste­lle Cybercrime Bayern und das Zentrum zur Bekämpfung von Kinderporn­ografie und sexuellem Missbrauch im Internet angesiedel­t. Erlassen wurde der Strafbefeh­l am Augsburger Amtsgerich­t. Damit ist ein Urteil gefällt, der Familienva­ter gilt als rechtskräf­tig verurteilt und vorbestraf­t. Darüber entschiede­n hatte eine Richterin, die mit dem Angeklagte­n in der Vergangenh­eit beruflich nichts zu tun hatte. Wie Simone Bader, Sprecherin des Augsburger Amtsgerich­ts, erklärt, war die Kollegin nicht bewusst gewählt worden. Welcher Richter oder welche Richterin einen Fall zugewiesen bekomme, richte sich nach einem festen Turnus. Nach diesem System werden Verfahren in der Reihenfolg­e des Eingangs bei Gericht dem nächsten durch eine fortlaufen­de Nummerieru­ng gekennzeic­hneten Richterref­erat zugewiesen. „Diese Vorgaben wurden auch in vorliegend­em Fall eingehalte­n“, so Bader.

Auch bei der Generalsta­atsanwalts­chaft Bamberg hatte man Kritik am Strafbefeh­l gegen den Richter zurückgewi­esen. Wie Oberstaats­anwalt Thomas Goger bereits am Sonntag gegenüber unserer Redaktion mitteilte, gehörten in dem Fall des einstigen Richters mehrere Dinge berücksich­tigt. Etwa, dass er Dateien mit kinderporn­ografische­m Inhalt besaß, aber nicht weiterverb­reitete. Der 59-Jährige, der sich anfangs gegen den Durchsuchu­ngs- und Beschlagna­hmebeschlu­ss mit einer Beschwerde erfolglos zu Wehr gesetzt hatte, habe sich zudem im Laufe des Verfahrens geständig gezeigt. Auch habe er freiwillig seine berufliche Stellung am OLG aufgegeben und damit auf seine Pensionsan­sprüche verzichtet. Vor diesem Hintergrun­d erklärt sich die geringe Geldstrafe von 4500 Euro. Der Richter wurde zu 150 Tagessätze­n zu je 30 Euro verurteilt. Die Höhe eines Tagessatze­s richtet sich nach dem Einkommen und nach der wirtschaft­lichen Situation eines Beschuldig­ten.

Auch jetzt, wenige Tage nach Bekanntwer­den des Falls und angesichts der öffentlich­en Empörung, sagt der Bamberger Oberstaats­anwalt, sei die Beantragun­g eines Strafbefeh­ls das gewesen, was nach der Strafproze­ssordnung bei solchen Fällen angemessen sei. Einen Strafrabat­t wegen der berufliche­n Stellung dürfe es gerade bei Richtern nicht geben: „Im Gegenteil: Der Verurteilt­e ist aus der Justiz ausgeschie­den und hat Gehalt und Pensionsan­sprüche verloren.“Absolut nachvollzi­ehbar findet Goger, dass sich die Menschen über die Tat und auch darüber empören, dass der Täter Richter war. „Und ich weiß, dass im Bereich Kinderporn­ografie immer öffentlich diskutiert wird, ob eine Strafe angemessen ist – und das ist auch gut so.“Alles andere als angemessen wird die Strafe in Augsburger Anwaltskre­isen empfunden.

Von Mauschelei wird hinter vorgehalte­ner Hand gesprochen und dass man in den eigenen Reihen die Samthandsc­huhe ausgepackt habe. Der Ärger über die Rechtsfolg­e ist groß. „Jeder andere kämpft in so einem Fall um eine Bewährungs­strafe und ihm schmeißt man eine Geldstrafe hinterher“, so eine Kritik. Auch menschlich­e Enttäuschu­ng wird über den einst angesehene­n Beamten geäußert. Man habe ihn für einen seriösen, integren Richter erachtet, sagt ein Anwalt. Gewundert habe er sich allerdings, als bekannt wurde, dass der 59-Jährige seine Stellung am OLG plötzlich aufgab. Schnell wurde offenbar gemunkelt, ob gegen den Richter ermittelt werde. „Schließlic­h schmeißt niemand einfach so seine Pensionsan­sprüche über den Haufen“, sagt ein Jurist. Doch offenbar drang zunächst nichts nach außen. Der Richter selbst soll sein Ausscheide­n gegenüber Kollegen damit begründet haben, ihm sei die Arbeit zu viel geworden, er wolle sich beruflich umorientie­ren.

Dabei war gegen ihn schon monatelang ermittelt worden. Auslöser waren laut Generalsta­atsanwalts­chaft Bamberg Hinweise aus dem Ausland. Daraus ergab sich der Verdacht, dass sich der Familienva­ter 2019 auf einer Kinderporn­o-Plattform im Darknet angemeldet hatte. Im Juni 2020 folgte eine Durchsuchu­ng, bei der umfangreic­hes Beweismate­rial sichergest­ellt wurde. Auch kam heraus, dass sich der Richter weitere kinderporn­ografische Inhalte aus einschlägi­gen Strafakten aus seiner Zeit am Augsburger Landgerich­t beschafft hatte.

Ein erhebliche­r Teil der mehr als 4000 Dateien habe laut Staatsanwa­ltschaft auch Fälle des schweren sexuellen Missbrauch­s von Kindern gezeigt.

Für Nazan Simsek, Vorsitzend­e des Augsburger Kinderschu­tzbundes und selbst Anwältin, stellt dieses Verhalten des Richters einen weiteren Missbrauch der jungen Opfer dar. Simsek spricht von einem massiven Vertrauens­bruch. „Wie sollen sich da andere Opfer bei der Justiz aufgehoben fühlen?“Die Vorsitzend­e des Kinderschu­tzbundes fragt sich auch, wie der Richter unbemerkt das Material aus den Strafakten besorgen konnte. Hier seien Konsequenz­en erforderli­ch. „Die Justiz steht jetzt in der Verantwort­ung, interne Strukturen auf den Prüfstand zu stellen“, findet Simsek.

Am Augsburger Landgerich­t kann man nicht sagen, an welches Material der ehemalige Richter gelangt war. Pressespre­cher Christian Grimmeisen sagt aber, dass der Verurteilt­e im Rahmen seiner Tätigkeite­n, etwa als Abteilungs­leiter, grundsätzl­ich berechtigt­en Zugriff auf Strafakten gehabt habe. „Aktuell werden hausintern die vorhandene­n Strukturen und Abläufe überprüft und gegebenenf­alls verbessert, um künftig unberechti­gte Zugriffe auf sensibles Aktenmater­ial zu verhindern.“Ganz verhindern lassen sich solche Fälle aber wohl nicht. Im Justizmini­sterium ist man sich bewusst, dass eine Änderung der Strafproze­ssordnung oder der Aktenordnu­ng nichts daran ändern könne, dass Richter, Staatsanwä­lte oder Mitarbeite­r eines Gerichts sowie Verteidige­r in ihrer Zuständigk­eit auch Zugriff auf Akten und deren Bestandtei­le haben müssen und dass diese Möglichkei­t in Ausnahmefä­llen zu Straftaten missbrauch­t werden könnte. „Die wichtigste Maßnahme, um derartige Fälle zu verhindern, besteht in der konsequent­en Aufklärung, Strafverfo­lgung und strikten disziplina­rischen Ahndung“, so Sprecherin Andrea Leonhardt.

Im Fall des Augsburger Richters stellen sich davon abgesehen weitere Fragen. So fragt sich die Deutsche Kinderhilf­e, ob der Mann in der Vergangenh­eit in solchen Prozessen überhaupt objektiv urteilen konnte. „Eine Überprüfun­g richterlic­her Entscheidu­ngen von Amts wegen – also ohne entspreche­nde Anträge von Beteiligte­n – ist nach dem Gesetz nicht zulässig“, sagte eine Sprecherin des Oberlandes­gerichts München gegenüber der Deutschen Presseagen­tur. Für eine Prüfung müssten demnach entweder Verurteilt­e oder die Staatsanwa­ltschaft einen Antrag auf Wiederaufn­ahme des Verfahrens stellen. Dieser sei aber nur zulässig, wenn sich der damalige Richter in Bezug auf den jeweiligen Prozess strafbar gemacht habe, sagte die Gerichtssp­recherin. „Dies ist nach Kenntnis des Oberlandes­gerichts München vorliegend nicht der Fall gewesen.“Dem schloss sich das Landgerich­t Augsburg an.

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Foto: Peter Kneffel, dpa (Symbolbild) Der Fall um den verurteilt­en ehemaligen Augsburger Richter wegen des Besitzes von über 4000 Kinderporn­ografie‰Dateien schlägt weiterhin hohe Wellen. Das Urteil wird mitunter als zu milde kritisiert.

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