Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Im Land der begrenzten Möglichkeiten
Matt Black vermisst im Münchner Kunstfoyer in eindrucksvollen Aufnahmen die „American Geography“
München Eine ausgediente Matratze auf dem Asphalt, auf welche dicke Schneeflocken herabrieseln. Ein einsamer Luftballon in einem abgewrackten Hausflur, letztes Relikt einer bescheidenen „Birthday Party“. Der faltige Arm eines gesichtslosen Schwarzen, der sich auf einem Pfosten abstützt. Verrottete Holzhäuser, vor denen sich Dreck und Müll türmt. Anonyme Holzkreuze im Nirgendwo eines Missionsfriedhofs, in der Ferne die vagen Konturen einer Bergkette. Auf dem Boden eines verlassenen Campers verstreute alte Familienfotos vom ersten Schultag und dem Abschlussball… Das sind die Impressionen, die der amerikanische Magnum-Fotograf Matt Black (Jahrgang 1970) von seinen Reisen durch ein Land der begrenzten Möglichkeiten mitgebracht hat.
78 Arbeiten aus diesem als Langzeitprojekt auf Reisen kreuz und quer durch 46 US-Bundesstaaten entstandenen Zyklus werden jetzt im Kunstfoyer in München unter dem Titel „American Geography“präsentiert. Eingeteilt in mehrere „Chapters“wie „South + West“oder „North + East“und ergänzt durch Abdrucke von minutiösen Tagebuchaufzeichnungen entsteht ein fotografisches Dokument von vergessenen Orten entlang der „Poverty Line“, darunter Orte mit Armutsquoten von über 20 Prozent oder einer Arbeitslosigkeit von 80 Prozent. Festgehalten wurden dabei die Wüsten im Südwesten, der Black Belt und ehemalige Fabrikstädte im Mittleren Westen. Selbst Kalifornien zeigt hier sein anderes Gesicht, geprägt von Armut und Chancenlosigkeit.
Matt Black fuhr wie ein Backpacker in fünf Jahren 100000 Meilen durchs Land, manchmal monatelang, mit Bus, Rucksack und nur den nötigsten Kleidungsstücken. Er stieg in billigen Hostels ab, oft einen langen Fußmarsch von der Station der Überlandbusse entfernt. Mit dabei: seine Kamera, mit der er die eindrucksvollen Fotografien zwischen Tristesse und Poesie aufnahm.
Im Kunstfoyer sind ausschließlich großformatige quadratische, oft durch die Vergrößerung grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen, ergänzt durch schmale, horizontale Landschaftspanoramen im Cinemascope-Format. Sie zeigen, ähnlich wie im Film „Nomadland“, ein Amerika der Verlierer, der Armen und Obdachlosen und der Migranten, die in ländlichen Regionen vegetieren, wohin sich kein Tourist je verirren würde. Dort gibt es, wie Matt Black in einem Film in der Ausstellung sagt, „no work, no fun, no electricity“. Neben diesem Film und den manchmal wirklich erschütternden Tagebuch-Sequenzen werden in einem Raum am Ende des Rundgangs „Relikte“, Souvenirs der anderen Art gezeigt: Fototapeten mit Unmengen kaputter Plastikbestecke, zerknautschter Zigarettenpackungen und Zetteln mit Botschaften der Verzweiflung: „Homeless need help“, „Willing to work“, „Army vet hungry“und immer wieder ein „God bless!“
OAusstellung „Matt Black: American Geography“. Bis 12. September im Kunstfoyer der Versicherungskammer in München,Maximilianstraße 53. Geöff net täglich von 9.30 bis 18.45 Uhr.