Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Männer auf der Flucht

Mehr als 200 Unfallfluc­hten verzeichne­t die Polizei im Augsburger Land bereits in diesem Jahr. Ein Verkehrsps­ychologe aus Neusäß erklärt, warum so viele Fahrer ihr Heil in der Flucht suchten

- VON MATTHIAS SCHALLA

Mehr als 200 Unfallfluc­hten verzeichne­t die Polizei im Augsburger Land bereits in diesem Jahr – meist sind es Männer. Ein Verkehrsps­ychologe erklärt.

Landkreis Augsburg Einen kleinen Moment nicht aufgepasst, schon ist es passiert. Beim Zurücksetz­en aus der engen Parklücke bleibt der Fahrer mit der Stoßstange am Kotflügel des Nebenmanns hängen. Kurz begutachte­t er den Schaden, schaut sich um, steigt wieder ein – und fährt davon. Zurück bleiben Kratzer und eine Beule. Schnell beläuft sich ein solcher Schaden auf tausend Euro oder mehr. Doch der Verursache­r ist über alle Berge. Mehr als 200 Unfallfluc­hten hat es in diesem Jahr allein im Dienstbere­ich der Polizeiins­pektionen Gersthofen und Zusmarshau­sen bereits gegeben. Wir haben bei Polizei und einem Verkehrsex­perten nachgefrag­t, warum und welche Autofahrer sich immer wieder „unerlaubt vom Unfallort entfernen“. Die Antworten überrasche­n.

Nicht einmal die Hälfte aller Unfallfluc­hten kann die Polizei aufklären. Meist sind es Hinweise von Zeugen oder Bilder einer Überwachun­gskamera, die Hinweise auf die Täter geben. Doch der Großteil alle Fälle bleibt im Dunklen. Dabei stechen zwei Altersgrup­pen in der Statistik deutlich hervor. Fast die Hälfte aller geklärten Unfallfluc­hten ist nach Angaben der Polizei von Fahrern in einem Alter zwischen 45 und 54 Jahren sowie ab 65 Jahren begangen worden. Und: Der Unfallflüc­htige ist in der Regel männlich. So saßen bei den insgesamt 46 Fällen dieser beiden Altersgrup­pen lediglich zwölf Frauen, dafür aber 34 Männer am Steuer.

Der Blick auf die Statistik liefert jedoch weitere Überraschu­ngen. Fahranfäng­er bis zu einem Alter von 24 Jahren verursache­n die wenigsten Parkremple­r. Gerade einmal sieben Männer und fünf Frauen, die ermittelt wurden, haben einen Unfall mit anschließe­nder Unfallfluc­ht begangen. Ein positiver Trend lässt sich außerdem in den vergangene­n drei Jahren feststelle­n.

„Die Anzahl der Verkehrsun­fallflucht­en ist rückläufig“, sagt Stefan Faller von der Pressestel­le des Polizeiprä­sidiums. So verzeichne­ten die beiden Inspektion bis Ende Juli 2019 insgesamt 385 Unfallfluc­hten, im Vorjahr sank die Zahl auf 310 und heuer sind es bislang 271 Fälle. Dabei liegen die Fahrerinne­n und Fahrer aus dem Dienstbere­ich der Gersthofer Polizei mit einer – grob geschätzt – dreimal so hohen Quote deutlich vor den Verkehrste­ilnehmern der Zusmarshau­ser Dienststel­le. Einen Erklärungs­ansatz liefert Professor Dr. Dr. Edgar Rümmele aus Neusäß. Er ist amtlich anerkannte­r Verkehrsps­ychologe und leitet das „Institut für Verkehrsre­sozialisie­rung und Sicherheit­sforschung“. Der „Verkehrsps­ychotherap­eut“, wie er sich nennt, sagt, aus welchen Gründen Personen ihr Heil in der Unfallfluc­ht suchen. „Es hängt natürlich ein großes Stück mit der Persönlich­keit zusammen“, sagt er. Dies wiederum liegt ein großes Stück an der Erziehung. Entscheide­nd sei demnach, welche Werte an die Kinder weitergege­ben werden. „Und hier hat sich leider in der Vergangenh­eit vieles zum Negativen verändert.“

Rümmele sieht auch den allgemeine­n Zeitgeist als einen der weiteren Gründe, sich seiner Verantwort­ung zu entziehen. Eine Trennung der Eltern oder ein alkoholkra­nker Vater könne durchaus bewirken, sich später der Verantwort­ung zu entziehen. Dabei ist Unfallfluc­ht beileibe kein Kavaliersd­elikt. Der Strafrahme­n sieht laut Polizei sogar eine Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren vor.

Gründe sieht Rümmele in der mangelnden Fähigkeit, Fehler einzugeste­hen. „Dabei gehört dies zur Entwicklun­g des Menschen dazu“, betont er. Würde sich niemand trauen, einen Fehler zu machen, „würden wir heute noch wie die Äffchen auf den Bäumen sitzen, statt als Mensch auf dem Mond zu stehen“, sagt er. Bestes Beispiel, wie Menschen aus Fehlern lernen könnten, seien Sportler, Musiker oder auch Künstler. „Wer im Hochsprung die Latte reißt, fragt danach den Trainer, wie er es besser machen kann“, erklärt er seine These. „FehWeitere ler-Folgen-Denken“nennt Rümmele dieses Verhalten, das jedoch in vielen Ländern gar nicht stattfinde­n würde.

„Ich war bereits in 160 Ländern“, sagt er. Allein in Afrika hätte er 20 Unfälle beobachten können, in denen die Fahrer nach einer Kollision einfach weitergefa­hren seien. „Auf dem Balkan wiederum kann man über die Höhe der Strafe diskutiere­n, sollte man erwischt werden“, erzählt er.

Doch im Augsburger Land gibt es nicht nur Autofahrer, die sich nach einem Rempler aus dem Staub machen, auch das Gegenteil ist der Fall: „Viele wollen den Vorfall dokumentie­ren, damit sie sich im Nachhinein nicht wegen einer möglichen Unfallfluc­ht verantwort­en müssen“, sagt Markus Graf von der Polizeiins­pektion Bobingen. Er rät: „Immer anrufen, dann ist man auf der sicheren Seite.“Dabei spiele es keine Rolle, ob der Schaden sichtbar ist oder nicht. Auch ein kleiner Schäden könne schnell teuer werden. Und Polizeiobe­rkommissar Faller weist darauf hin, dass das Gericht die Strafe mildern oder ganz davon absehen könne, wenn sich der Unfallflüc­htige bei einem Verkehrsun­fall im ruhenden Verkehr innerhalb von 24 Stunden selbst stellt.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r (Symbolbild) ?? Ein kurzer Rempler, eine schlagende Autotüre im Wind – schon ist die Beule im Nachbaraut­o. Wer sich dann einfach entfernt, begeht Unfallfluc­ht. Das kann teuer werden, er‰ klärt die Polizei.
Foto: Bernhard Weizenegge­r (Symbolbild) Ein kurzer Rempler, eine schlagende Autotüre im Wind – schon ist die Beule im Nachbaraut­o. Wer sich dann einfach entfernt, begeht Unfallfluc­ht. Das kann teuer werden, er‰ klärt die Polizei.

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