Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Männer auf der Flucht
Mehr als 200 Unfallfluchten verzeichnet die Polizei im Augsburger Land bereits in diesem Jahr. Ein Verkehrspsychologe aus Neusäß erklärt, warum so viele Fahrer ihr Heil in der Flucht suchten
Mehr als 200 Unfallfluchten verzeichnet die Polizei im Augsburger Land bereits in diesem Jahr – meist sind es Männer. Ein Verkehrspsychologe erklärt.
Landkreis Augsburg Einen kleinen Moment nicht aufgepasst, schon ist es passiert. Beim Zurücksetzen aus der engen Parklücke bleibt der Fahrer mit der Stoßstange am Kotflügel des Nebenmanns hängen. Kurz begutachtet er den Schaden, schaut sich um, steigt wieder ein – und fährt davon. Zurück bleiben Kratzer und eine Beule. Schnell beläuft sich ein solcher Schaden auf tausend Euro oder mehr. Doch der Verursacher ist über alle Berge. Mehr als 200 Unfallfluchten hat es in diesem Jahr allein im Dienstbereich der Polizeiinspektionen Gersthofen und Zusmarshausen bereits gegeben. Wir haben bei Polizei und einem Verkehrsexperten nachgefragt, warum und welche Autofahrer sich immer wieder „unerlaubt vom Unfallort entfernen“. Die Antworten überraschen.
Nicht einmal die Hälfte aller Unfallfluchten kann die Polizei aufklären. Meist sind es Hinweise von Zeugen oder Bilder einer Überwachungskamera, die Hinweise auf die Täter geben. Doch der Großteil alle Fälle bleibt im Dunklen. Dabei stechen zwei Altersgruppen in der Statistik deutlich hervor. Fast die Hälfte aller geklärten Unfallfluchten ist nach Angaben der Polizei von Fahrern in einem Alter zwischen 45 und 54 Jahren sowie ab 65 Jahren begangen worden. Und: Der Unfallflüchtige ist in der Regel männlich. So saßen bei den insgesamt 46 Fällen dieser beiden Altersgruppen lediglich zwölf Frauen, dafür aber 34 Männer am Steuer.
Der Blick auf die Statistik liefert jedoch weitere Überraschungen. Fahranfänger bis zu einem Alter von 24 Jahren verursachen die wenigsten Parkrempler. Gerade einmal sieben Männer und fünf Frauen, die ermittelt wurden, haben einen Unfall mit anschließender Unfallflucht begangen. Ein positiver Trend lässt sich außerdem in den vergangenen drei Jahren feststellen.
„Die Anzahl der Verkehrsunfallfluchten ist rückläufig“, sagt Stefan Faller von der Pressestelle des Polizeipräsidiums. So verzeichneten die beiden Inspektion bis Ende Juli 2019 insgesamt 385 Unfallfluchten, im Vorjahr sank die Zahl auf 310 und heuer sind es bislang 271 Fälle. Dabei liegen die Fahrerinnen und Fahrer aus dem Dienstbereich der Gersthofer Polizei mit einer – grob geschätzt – dreimal so hohen Quote deutlich vor den Verkehrsteilnehmern der Zusmarshauser Dienststelle. Einen Erklärungsansatz liefert Professor Dr. Dr. Edgar Rümmele aus Neusäß. Er ist amtlich anerkannter Verkehrspsychologe und leitet das „Institut für Verkehrsresozialisierung und Sicherheitsforschung“. Der „Verkehrspsychotherapeut“, wie er sich nennt, sagt, aus welchen Gründen Personen ihr Heil in der Unfallflucht suchen. „Es hängt natürlich ein großes Stück mit der Persönlichkeit zusammen“, sagt er. Dies wiederum liegt ein großes Stück an der Erziehung. Entscheidend sei demnach, welche Werte an die Kinder weitergegeben werden. „Und hier hat sich leider in der Vergangenheit vieles zum Negativen verändert.“
Rümmele sieht auch den allgemeinen Zeitgeist als einen der weiteren Gründe, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Eine Trennung der Eltern oder ein alkoholkranker Vater könne durchaus bewirken, sich später der Verantwortung zu entziehen. Dabei ist Unfallflucht beileibe kein Kavaliersdelikt. Der Strafrahmen sieht laut Polizei sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor.
Gründe sieht Rümmele in der mangelnden Fähigkeit, Fehler einzugestehen. „Dabei gehört dies zur Entwicklung des Menschen dazu“, betont er. Würde sich niemand trauen, einen Fehler zu machen, „würden wir heute noch wie die Äffchen auf den Bäumen sitzen, statt als Mensch auf dem Mond zu stehen“, sagt er. Bestes Beispiel, wie Menschen aus Fehlern lernen könnten, seien Sportler, Musiker oder auch Künstler. „Wer im Hochsprung die Latte reißt, fragt danach den Trainer, wie er es besser machen kann“, erklärt er seine These. „FehWeitere ler-Folgen-Denken“nennt Rümmele dieses Verhalten, das jedoch in vielen Ländern gar nicht stattfinden würde.
„Ich war bereits in 160 Ländern“, sagt er. Allein in Afrika hätte er 20 Unfälle beobachten können, in denen die Fahrer nach einer Kollision einfach weitergefahren seien. „Auf dem Balkan wiederum kann man über die Höhe der Strafe diskutieren, sollte man erwischt werden“, erzählt er.
Doch im Augsburger Land gibt es nicht nur Autofahrer, die sich nach einem Rempler aus dem Staub machen, auch das Gegenteil ist der Fall: „Viele wollen den Vorfall dokumentieren, damit sie sich im Nachhinein nicht wegen einer möglichen Unfallflucht verantworten müssen“, sagt Markus Graf von der Polizeiinspektion Bobingen. Er rät: „Immer anrufen, dann ist man auf der sicheren Seite.“Dabei spiele es keine Rolle, ob der Schaden sichtbar ist oder nicht. Auch ein kleiner Schäden könne schnell teuer werden. Und Polizeioberkommissar Faller weist darauf hin, dass das Gericht die Strafe mildern oder ganz davon absehen könne, wenn sich der Unfallflüchtige bei einem Verkehrsunfall im ruhenden Verkehr innerhalb von 24 Stunden selbst stellt.