Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das Vergnügen ist ein Teufelchen
Händels „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“, vom Pfingstfestival übernommen, ist auch im Sommer ein Volltreffer. Was vor allem an zwei Sängerinnen liegt
Salzburg Da kannste mal sehen und hören, wie aus einem Oratorium, verfasst von einem römischen Kardinal im drohenden Geiste der Gegenreformation, ein im Ansatz saftiges Stück Musiktheater der Jetztzeit wird: Georg Friedrich Händels „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“, 1707 als Allegorie komponiert, predigt zwar der jugendlichen Schönheit, allem Vergnügen zu entsagen, die Vergänglichkeit zu erkennen und die Zeit zu nutzen. Was aber erlebt das schlussendlich enthusiasmierte Salzburger Festspielpublikum im Haus für Mozart ganz gegenwärtig?
Die Schönheit (Bellezza), das Next Topmodel 2021 (Regula Mühlemann mit blitzsauberem hohen Sopran), an der Salzach gekürt vom reinen Vergnügen (Piacere) im Hosenanzug (Cecilia Bartoli in Eigenund Idealbesetzung), dazu die Zeit (Tempo) in mahnend-wehendem Priestergewand (Charles Workman) und die Erkenntnis (Disinganno) als intellektuell bebrillter Countertenor-Denker (Lawrence Zazzo). Vier Personifikationen, die in angesagten Locations – Lounge, Studio, Disco – dialektisch miteinander kämpfen: Hier die Schönheit, die mit dem teuflischen Vergnügen einen Pakt geschlossen hat, dort Zeit und Erkenntnis, die die Schönheit auf den rechten Pfad der Tugend bringen wollen.
Ein altes Thema, neu beleuchtet mit Witz und Klugheit durch Regisseur Robert Carsen. In der Ausstattung Gideon Daveys prallt animierte
Hochglanz-Werbewelt auf die ewigen Werte nicht zuletzt der katholischen Kirche – und via bühnenportalfüllendem Spiegel soll sich auch das Publikum an die eigene Nase greifen und aller Vergänglichkeit und des Todes gedenken. Genauso wie es die Schönheit zur Peripetie des Abends tut – konfrontiert mit sich als ehemaligem Kind und als zukünftiger alter Frau. Das wirkt, und Zeit und Erkenntnis triumphieren zum Finale titelgemäß genauso wie das mit barocken Koloraturen brillierende Gesangsensemble, bei dem Regula Mühlemann und Lawrence Zazzo dem strippenziehenden Teufelchen Bartoli vokal das Wasser reichen können, während Charles Workman tenoral nicht ganz so elegant-treffsicher ertönt.
Grundsätzlich pflegen die vier einen anrührenden Canzone-Gesang, keine Selbstdarstellung als Virtuositätsschleudern. Und Les Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano vitalisieren Händels römisches Frühwerk auch derart feinsinnig, dass aus dieser Pfingstproduktion 2021 auch ein musikalisch-szenischer Volltreffer für die Sommerfestspiele wird.
Was die Bartoli dazu unter anderem überragend beisteuert, ist der Barock-Hit „Lascia la spina“, von Händel selbst in seinem Oeuvre immer wieder neu aufbereitet und auch von der Bartoli ein Künstlerleben lang immer wieder – oft als Zugabe – hingezaubert.
OWeitere Aufführungen 12., 14. und 17. August, Näheres auf der Festspiel seite (salzburgerfestspiele.at).