Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Migräne: Wenn der Kopf den Körper ausschalte­t

Eine 57 Jahre alte Frau leidet seit Jahren unter der Krankheit und hat nun eine Selbsthilf­egruppe für Betroffene gegründet. Was helfen kann

- VON DIANA ZAPF‰DENIZ

„Suchen Sie sich zu Ihrem Thema eine Selbsthilf­egruppe.“So lautete der Rat, den Petra Mayr (Name geändert) nach einem Klinikaufe­nthalt bekam. Also machte sie sich auf die Suche nach einer Gruppe in ihrem Umkreis und stellte fest: „Wir haben in Augsburg nahezu alles, aber keine Selbsthilf­egruppe für Migräniker.“Das wollte die 57-Jährige aus Neusäß ändern, überlegte nicht lange und machte Nägel mit Köpfen. Ein Anruf bei der Kontaktste­lle für Selbsthilf­egruppen im Gesundheit­samt Augsburg zeigte: „Mit meinem Wunsch rannte ich offene Türen ein.“Tipps für Betroffene hat die Frau viele.

Die Schmerzpat­ientin leidet seit über 40 Jahren an schweren Migräneatt­acken. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung sehen: „Migräne ist ein Stigma und ich möchte mich nicht mehr erklären müssen.“In ihrer Selbststän­digkeit musste sie mehrfach erfahren, dass sie aufgrund ihrer Offenheit Ablehnung erfuhr und keine Aufträge mehr bekam. „Migräneanf­älle sind nicht planbar. Deshalb brauche ich für meine Arbeit stets einen Plan B. Manche Kunden möchten das nicht.“Migräniker sind ihrer Erfahrung nach oft energiegel­aden, aber haben weniger Durchhalte­vermögen. „Du wirst sehr schnell für inkompeten­t gehalten, wenn du diese Krankheit zugibst.“Die im ersten Beruf gelernte Krankensch­wester suchte nach neuen Wegen. Künftig gibt sie Kurse in Zhineng Qigong. „Diese Entspannun­gstechnik tut mir gut. Das ist medizinisc­hes Qigong und paart alte Technik mit modernem Wissen.“

letzten beiden Jahre litt Mayr extrem unter der Migräne. „Das halbe Jahr vor dem letzten Klinikaufe­nthalt hatte ich bis zu 15 Schmerztag­e pro Monat, brauchte Unmengen an Schmerzmit­teln und wusste, dass das so nicht weitergeht.“Sie hatte die Hoffnung, dass es doch noch etwas gibt, was ihr hilft. „Migräne kennt jeder, aber die wenigsten wissen, was sich dahinter verbirgt.“Es sei keine Befindlich­keitsstöru­ng, sondern eine angeborene, nicht heilbare, und zwischenze­itlich anerkannte, neurologis­che Erkrankung. Auch wenn man keine offensicht­liche Einschränk­ung habe, so ist es doch eine Krankheit. „Migräne bekommen nicht nur Frauen, die keine Lust auf Sex haben, sondern auch Männer, die gerne Sex haben würden, aber aufgrund der Krankheit nicht können“, sagt sie resolut.

Vorurteile gäbe es mehr als genug. Deshalb möchte sie aufklären, Erfahrunge­n und Informatio­nen austausche­n. „Es ist unerlässli­ch, Eigenkompe­tenz zu entwickeln. Nur dann bin ich Herr über meine Krankheit und reagiere nicht mehr nur.“Man könne viel in Eigenregie machen, aber stets unter ärztlicher Aufsicht. „Geh zum Arzt. Lass dich anschauen. Hol dir Informatio­nen. Klär ab, ob du Migräne oder Spannungsk­opfschmerz­en hast. Mach eine Therapie. Hab die richtigen Medikament­e und ein Notfallköf­ferchen zu Hause“, zählt sie auf. Nur so könne man reagieren und nicht tagelang vor sich hin leiden.

„In 40 Jahren hatte ich durchschni­ttlich 40 bis 50 Schmerztag­e im Jahr. Das sind ein bis zwei Monate jährlich, die ich im abgedunkel­ten Schlafzimm­er im Bett verbrachte, von dem Gefühl zu sterben. Eine Zeit, in der ich meine Familie nicht pflegen konnte, Schmerzen hatte, von Übelkeit und Erbrechen geplagt wurde und mich von Schmerzmit­tel zu Schmerzmit­tel hungerte“, berichtet die zweifache Mutter. „Da kann man sich leicht ausrechnen, wie viel man als Migräniker am Leben teilnimmt.“Dabei gehöre sie noch zu den harmlosere­n Fällen. Ein Aufenthalt in der Migräneund Kopfschmer­zklinik Königstein habe ihr viele Erkenntnis­se gebracht, um die eigene Krankheit zu verstehen, und hat sie Kontakte zu Mitpatient­en knüpfen lassen, die bis heute bestehen.

Mayr weiß, dass Migräne die PerDie sönlichkei­t verändert. „60 Prozent aller Migräniker haben eine Depression.“Zudem werde man ängstliche­r. Dennoch ist sie der Meinung, dass man sich in seinem Leben nicht beschränke­n und in die Freiheit kommen solle. Heute hat sie eine andere Sicht auf ihre Krankheit: „Die Migräne kann ich als Gespenst in meinem Kopf betrachten, das dort lauert und mir Angst macht, oder ich sehe es so, dass die Migräne auf mich schaut, damit ich mich nicht übernehme und rechtzeiti­g zur Ruhe komme. Sie dient als Regulator.“

Sie selbst ist eine Frau voller Energie und Tatendrang mit einem Hang zur Perfektion. Das sei ein tybegleite­t pisches Anzeichen. Ein Arzt sagte mal: „Das Gehirn von Migränepat­ienten arbeitet wie ein Ferrari.“Stress sei der Haupttrigg­er für Migräneatt­acken. Man werde lärmund lichtempfi­ndlich. „Meine Migräne beginnt stets zwei Tage vor den Attacke-Kopfschmer­zen. Da esse ich viel, muss alles putzen und habe den Drang nach Überschuss­handlungen.“Sobald diese Vorboten bei ihr auftreten, weiß Mayr: „Die Migränepha­se läuft wieder.“Urlaubsvor­bereitunge­n und örtliche Veränderun­gen bedeuten ebenfalls Stress. „Da kommt man im Urlaub an und liegt erst mal flach.“Doch abhalten lässt sie sich davon nicht. Denn die Tage danach sind schön und erholsam. Mayr hat sich mit ihrer Krankheit auseinande­rgesetzt, liest Fachbücher und tauscht sich aus. „Jeder schwört auf etwas anderes und man probiert viel aus. Das kommt recht teuer.“Einer Leidensgen­ossin helfen CBD-Tropfen für 1200 Euro monatlich, die sie aus eigener Tasche bezahlen muss. Aber es gebe auch Prophylaxe­n mit Antidepres­siva, Betablocke­rn, pflanzlich­en Mitteln wie Johanniskr­aut und Pestwurz, Botoxthera­pie, die Migräne-Spritze, Osteopathi­e und vieles mehr. Die Ernährung spiele ebenso eine Rolle. Zudem muss sie stets darauf achten, so wenig Stress wie möglich ausgesetzt zu sein. Das kann manchmal bedeuten, dass sie lieber ins Taxi steigt, als den Bus zu nehmen.

Wichtig sei stets, zuerst einen Arzt aufzusuche­n, im Idealfall einen Neurologen. Eines möchte die Migräniker­in betonen: „Man ist nicht selbst schuld, dass man Migräne hat. Diese Krankheit ist in der Genetik verankert und einfach da.“Heilen könne man sie bisher nicht. „Doch die Abstände werden größer, die Attacken leichter und die Schmerzen nicht mehr so tief.“Hinter der Selbsthilf­egruppe steht die Stadt Augsburg und die Migränelig­a e. V. Deutschlan­d. „Somit habe ich keine finanziell­en Kosten. Die neuen Flyer sind schon da und einen Raum bekommen wir auch von der Stadt.“

Info: Anmeldunge­n und Informatio­nen bei Kerstin Asmussen von der Kontaktste­lle für Selbsthilf­egruppen der Stadt Augsburg unter Telefon 0821/324-2016 oder: www.augsburg.de/selbsthilf­egruppen sowie bei Lucia Baumann von der Migränelig­a unter: region-sued@migraeneli­ga.de.

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Foto: Andrea Warnecke, dpa (Symbolbild) Was kann man gegen Migräne machen? Eine neue Selbsthilf­egruppe möchte Betroffene­n in Augsburg und der Region Unterstüt‰ zung anbieten.

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