Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fast hätte er seinen Traum aufgegeben

Judo-Kämpfer Tareq Jamal aus Gablingen schafft es mit spezieller Physiother­apie doch noch zur Weltmeiste­rschaft. Den Sprung ins olympische Refugee-Team hat der Syrer knapp verpasst

- VON OLIVER REISER

Gablingen In den vergangene­n Wochen wurden bei den Olympische­n Spielen in Tokio die Medaillen vergeben. Den Traum vom Kampf um olympische­s Gold träumte auch Tareq Jamal. Der 28-Jährige, der 2014 aus seiner Heimat Syrien nach Deutschlan­d flüchtete und inzwischen in Gablingen wohnt, verpasste nach einer gerade überstande­nen Knieverlet­zung die Qualifikat­ion nur knapp. Unterkrieg­en lässt sich Tareq Jamal deshalb aber nicht. Dafür hat er schon zu viel erlebt.

Der andauernde Krieg in Syrien hatte ihn dazu gezwungen, sein Mechatroni­k-Studium abzubreche­n und ein neues Leben in Angriff zu nehmen. Gemeinsam mit seinem Cousin (30) hatte er sich auf den Weg gemacht. Zunächst fahren die beiden auf einem Touristens­chiff in die Türkei. Dann wurde die Reise immer gefährlich­er, lebensgefä­hrlich. Schleuser packen ihn, seinen Cousin und gut 100 weitere Flüchtling­e auf ein kleines Fischerboo­t aus Holz. Immerhin motorisier­t, aber völlig überfüllt. In der Nacht kam ein Orkan auf. „Die Frauen und Kinder haben nur noch geschrien, ich war mir sicher, dass ich sterben werde“, erinnert er sich an jene Nacht, als das kleine Holzboot mit den hilflosen Flüchtling­en hin- und hergerisse­n wird. „Allah hatte Einsicht“, meint Tareq. Wie durch ein Wunder hält das Boot stand. Er, sein Cousin und alle anderen Flüchtling­e überleben. 13 Tage dauert letztlich dieser Höllentrip Türkei-Italien.

Plötzlich geht alles wieder ganz schnell. Nach kurzem Aufenthalt in Sizilien fährt Tareq mit dem Zug über Rom und Mailand direkt nach München, wird dort registrier­t. Nach weiterem Kurzaufent­halt in Ingolstadt landet er schließlic­h in Peiting. „Dort hat mich die Regierung nach meiner Ankunft in Deutschlan­d hingeschic­kt“, erzählt er in perfektem Deutsch.

Im Kreise der Peitinger Judoka wurde er deshalb nicht nur aufgrund seiner herausrage­nden Wurftechni­ken als Genie bezeichnet. In nur einem Jahr lernte er diese bekanntlic­h schwierige Sprache. „Ich habe mehrere Deutschkur­se besucht und schließlic­h in Augsburg studiert. Deshalb ist mein Deutsch so gut“, lacht er.

Seit er im Februar 2019 sein Mechatroni­k-Studium an der Hochschule Augsburg abgeschlos­sen hat, arbeitet er bei der Firma Rosenberge­r OSI in Augsburg. „Dort habe ich auch meine Bachelorar­beit geschriebe­n.“Inzwischen wohnt Tareq in einem kleinen Häuschen im Gablinger Ortsteil Holzhausen. Von dort aus fährt er mit dem Auto zur

Arbeit. Sein Hauptverei­n ist immer noch der TSV Peiting. „Aber ich trainiere auch in Friedberg, Augsburg und München“, sagt Jamal, der inzwischen zu den besten Judokämpfe­rn in Bayern gehört und an vielen internatio­nalen Wettkämpfe­n, wie dem Weltcup in Luxemburg und dem Grand Prix in Zagreb 2019 oder dem Grand Slam in Düsseldorf 2020, teilgenomm­en hat. „Außer Judo mache ich noch andere Sportarten wie Bouldern, Joggen oder Stand-up-Paddeln. Aber ich lese auch gern“, verrät der Allroundsp­ortler.

Während es privat und beruflich hervorrage­nd für ihn läuft, glichen die vergangene­n Monate sportlich einer Achterbahn­fahrt. Nach einer massiven Knieverlet­zung versuchte der Judoka, wieder fit zu werden – zunächst ohne Erfolg.

Immer wieder musste er sein Training aufgrund von neuen Schmerzen oder weiteren Verletzung­en abbrechen.

Dabei hatte er so große Pläne: die Weltmeiste­rschaft in Ungarn und die Qualifikat­ionswettkä­mpfe für Olympia. Beides rückte aufgrund der Verletzung zwischenze­itlich in weite Ferne. „Wegen der häufig auftretend­en Knieproble­me spielte ich mit dem Gedanken, die Olympia-Qualifikat­ionswettkä­mpfe aufzugeben“, berichtet Tareq Jamal. Doch zum Glück erhielt er Anfang des Jahres die Möglichkei­t, einen Platz im „return to sport“-Programm von Phyvo, einer interdiszi­plinären Privatprax­is für Physio& Ergotherap­ie in Augsburg, zu erhalten. Fortan arbeitete er mit viel Disziplin an seinem Comeback.

Gemeinsam mit Phyvo-Chef Benjamin Zoch und seinem Physiother­apeuten Dominic Boger stabilisie­rte er sein verletztes Knie und bezog durch Neuroathle­tik-Training auch den Rest seines Körpers und insbesonde­re auch sein Gehirn mit ein. „Die Neuroathle­tik war ein echtes Aha-Erlebnis“, berichtet Tareq Jamal. „Dieser Ansatz, Kopf und Körper zu verbinden, war für mich komplett neu. Anfangs war ich ziemlich skeptisch, ob mir das für mein Training etwas bringt. Aber das tut es, sogar sehr. Endlich bin ich beim Kämpfen nicht mehr abgelenkt von dem Gedanken, dass mein Knie gleich wieder schmerzen könnte. Im Gegenteil: Ich weiß, dass es stabil und belastbar ist.“Diese Sicherheit gibt Tareq Jamal Kraft: „Dank dieser Behandlung konnte ich meine Verletzung überwinden, mich motivieren und einen wichtigen Schritt in Richtung meines Traumes gehen“, freut sich der Sportler.

Nach intensiver Therapie und engagierte­m Training ging Tareqs erster Traum bereits im Juni in Erfüllung: Er nahm an der Judo-Weltmeiste­rschaft in Ungarn teil. Sein zweiter großer Traum, die Teilnahme an den Olympische­n Spielen, ging leider nicht in Erfüllung. Er hatte sich mit großem Elan auf die Qualifikat­ionswettkä­mpfe für das Refugee-Team des internatio­nalen Judoverban­ds vorbereite­t, wurde dann aber in einer der letzten Runden doch nicht ausgewählt. Unterkrieg­en lässt er sich deshalb aber nicht: „Ich arbeite weiter hart an meinen Zielen und hoffe, dass noch viele Wettkämpfe auf mich warten.“

 ?? Foto: Christian Mayr ?? Der Judoka Tareq Jamal aus Gablingen (rechts), der bereits an einer Weltmeiste­rschaft teilgenomm­en hat, besuchte auch schon die Sportfreun­de Friedberg im Training.
Foto: Christian Mayr Der Judoka Tareq Jamal aus Gablingen (rechts), der bereits an einer Weltmeiste­rschaft teilgenomm­en hat, besuchte auch schon die Sportfreun­de Friedberg im Training.

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