Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Fast hätte er seinen Traum aufgegeben
Judo-Kämpfer Tareq Jamal aus Gablingen schafft es mit spezieller Physiotherapie doch noch zur Weltmeisterschaft. Den Sprung ins olympische Refugee-Team hat der Syrer knapp verpasst
Gablingen In den vergangenen Wochen wurden bei den Olympischen Spielen in Tokio die Medaillen vergeben. Den Traum vom Kampf um olympisches Gold träumte auch Tareq Jamal. Der 28-Jährige, der 2014 aus seiner Heimat Syrien nach Deutschland flüchtete und inzwischen in Gablingen wohnt, verpasste nach einer gerade überstandenen Knieverletzung die Qualifikation nur knapp. Unterkriegen lässt sich Tareq Jamal deshalb aber nicht. Dafür hat er schon zu viel erlebt.
Der andauernde Krieg in Syrien hatte ihn dazu gezwungen, sein Mechatronik-Studium abzubrechen und ein neues Leben in Angriff zu nehmen. Gemeinsam mit seinem Cousin (30) hatte er sich auf den Weg gemacht. Zunächst fahren die beiden auf einem Touristenschiff in die Türkei. Dann wurde die Reise immer gefährlicher, lebensgefährlich. Schleuser packen ihn, seinen Cousin und gut 100 weitere Flüchtlinge auf ein kleines Fischerboot aus Holz. Immerhin motorisiert, aber völlig überfüllt. In der Nacht kam ein Orkan auf. „Die Frauen und Kinder haben nur noch geschrien, ich war mir sicher, dass ich sterben werde“, erinnert er sich an jene Nacht, als das kleine Holzboot mit den hilflosen Flüchtlingen hin- und hergerissen wird. „Allah hatte Einsicht“, meint Tareq. Wie durch ein Wunder hält das Boot stand. Er, sein Cousin und alle anderen Flüchtlinge überleben. 13 Tage dauert letztlich dieser Höllentrip Türkei-Italien.
Plötzlich geht alles wieder ganz schnell. Nach kurzem Aufenthalt in Sizilien fährt Tareq mit dem Zug über Rom und Mailand direkt nach München, wird dort registriert. Nach weiterem Kurzaufenthalt in Ingolstadt landet er schließlich in Peiting. „Dort hat mich die Regierung nach meiner Ankunft in Deutschland hingeschickt“, erzählt er in perfektem Deutsch.
Im Kreise der Peitinger Judoka wurde er deshalb nicht nur aufgrund seiner herausragenden Wurftechniken als Genie bezeichnet. In nur einem Jahr lernte er diese bekanntlich schwierige Sprache. „Ich habe mehrere Deutschkurse besucht und schließlich in Augsburg studiert. Deshalb ist mein Deutsch so gut“, lacht er.
Seit er im Februar 2019 sein Mechatronik-Studium an der Hochschule Augsburg abgeschlossen hat, arbeitet er bei der Firma Rosenberger OSI in Augsburg. „Dort habe ich auch meine Bachelorarbeit geschrieben.“Inzwischen wohnt Tareq in einem kleinen Häuschen im Gablinger Ortsteil Holzhausen. Von dort aus fährt er mit dem Auto zur
Arbeit. Sein Hauptverein ist immer noch der TSV Peiting. „Aber ich trainiere auch in Friedberg, Augsburg und München“, sagt Jamal, der inzwischen zu den besten Judokämpfern in Bayern gehört und an vielen internationalen Wettkämpfen, wie dem Weltcup in Luxemburg und dem Grand Prix in Zagreb 2019 oder dem Grand Slam in Düsseldorf 2020, teilgenommen hat. „Außer Judo mache ich noch andere Sportarten wie Bouldern, Joggen oder Stand-up-Paddeln. Aber ich lese auch gern“, verrät der Allroundsportler.
Während es privat und beruflich hervorragend für ihn läuft, glichen die vergangenen Monate sportlich einer Achterbahnfahrt. Nach einer massiven Knieverletzung versuchte der Judoka, wieder fit zu werden – zunächst ohne Erfolg.
Immer wieder musste er sein Training aufgrund von neuen Schmerzen oder weiteren Verletzungen abbrechen.
Dabei hatte er so große Pläne: die Weltmeisterschaft in Ungarn und die Qualifikationswettkämpfe für Olympia. Beides rückte aufgrund der Verletzung zwischenzeitlich in weite Ferne. „Wegen der häufig auftretenden Knieprobleme spielte ich mit dem Gedanken, die Olympia-Qualifikationswettkämpfe aufzugeben“, berichtet Tareq Jamal. Doch zum Glück erhielt er Anfang des Jahres die Möglichkeit, einen Platz im „return to sport“-Programm von Phyvo, einer interdisziplinären Privatpraxis für Physio& Ergotherapie in Augsburg, zu erhalten. Fortan arbeitete er mit viel Disziplin an seinem Comeback.
Gemeinsam mit Phyvo-Chef Benjamin Zoch und seinem Physiotherapeuten Dominic Boger stabilisierte er sein verletztes Knie und bezog durch Neuroathletik-Training auch den Rest seines Körpers und insbesondere auch sein Gehirn mit ein. „Die Neuroathletik war ein echtes Aha-Erlebnis“, berichtet Tareq Jamal. „Dieser Ansatz, Kopf und Körper zu verbinden, war für mich komplett neu. Anfangs war ich ziemlich skeptisch, ob mir das für mein Training etwas bringt. Aber das tut es, sogar sehr. Endlich bin ich beim Kämpfen nicht mehr abgelenkt von dem Gedanken, dass mein Knie gleich wieder schmerzen könnte. Im Gegenteil: Ich weiß, dass es stabil und belastbar ist.“Diese Sicherheit gibt Tareq Jamal Kraft: „Dank dieser Behandlung konnte ich meine Verletzung überwinden, mich motivieren und einen wichtigen Schritt in Richtung meines Traumes gehen“, freut sich der Sportler.
Nach intensiver Therapie und engagiertem Training ging Tareqs erster Traum bereits im Juni in Erfüllung: Er nahm an der Judo-Weltmeisterschaft in Ungarn teil. Sein zweiter großer Traum, die Teilnahme an den Olympischen Spielen, ging leider nicht in Erfüllung. Er hatte sich mit großem Elan auf die Qualifikationswettkämpfe für das Refugee-Team des internationalen Judoverbands vorbereitet, wurde dann aber in einer der letzten Runden doch nicht ausgewählt. Unterkriegen lässt er sich deshalb aber nicht: „Ich arbeite weiter hart an meinen Zielen und hoffe, dass noch viele Wettkämpfe auf mich warten.“