Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Auch mit 80 noch Organist und Kantor der Fuggerei
Aus anfänglichem Desinteresse kann sich eine Lebensaufgabe entwickeln. So ging es Otto Gollmitzer, der jetzt seit 15 Jahren die Orgel in St. Markus in der Fuggerei spielt. Dabei kommt es übrigens nicht nur auf flinke Hände an
Wer sonntags in die älteste Sozialsiedlung der Welt geht, taucht ein in eine eigene, einzigartige Welt. Die Gassen sind an diesem trüben Morgen noch beinahe menschenleer. Nur vereinzelt begegnen sich Bewohner in der Herrengasse, die auf dem Weg zum Gottesdienst in der Fuggerei-Kirche St. Markus sind. Am Ende des Weges bewegt sich eine schlanke Gestalt in dunkelblauer Kleidung auf den Eingang zu. Das könnte er sein. Und es ist Otto Gollmitzer, der im Alter von 80 Jahren noch regelmäßig ehrenamtlich die Orgel zum Gottesdienst spielt und die Messe als Kantor zur Urlaubsvertretung mit seinem Gesang begleitet.
Gerade in der Urlaubszeit sei er immer noch aktiv, sagt der gebürtige Gögginger, der seit seiner Tätigkeit in der Fuggerei nur einen einzigen Tag gefehlt habe. Seit 2004 lebt der Kirchenmusiker, der hauptberuflich einmal 30 Jahre in der Gastronomie beschäftigt war, mit seiner Frau Brigitte nun im südlichsten Haus in der Herrengasse der Fuggerei. Hauptberuflich habe er jedoch nie sonn- und feiertags gearbeitet, was er mit seinem Arbeitgeber ausgehandelt hatte. Diese Tage hielt er sich frei, sagt er, weil er seinen Kirchendienst ausüben wollte. Seit er im Organisten-Ruhestand ist, hat er die Aufgabe des Lektors in der Fuggerei übernommen.
Wie Gollmitzer erzählt, hatte er in jungen Jahren erst gar kein Interesse am Orgelspiel gehabt. Aber: „Mein Vater wollte es“, sagt er, weshalb er im Alter von 14 Jahren erst mit dem Klavierspiel begann, bevor er von der staatlich geprüften
Kirchenmusik-Pädagogin Schwester Romana vom Christkönigsheim an der Orgel unterrichtet wurde. Ausschlaggebend, dass er dabei blieb, sei sein „Debüt“mit 16 Jahren gewesen. Damals habe er in St. Wolfgang in Meitingen erstmals das Ave Verum während der Kommunion spielen dürfen. Weil es auf der Empore keine Zuschauer gibt, habe sich auch seine Nervosität in Grenzen gehalten.
Otto Gollmitzer fühlt sich nicht als Konzert-, sondern vielmehr als Liturgie-Organist, der den Gottesdienst begleitet. Die Registrierung – und damit die Möglichkeit, Klappoder Ziehregister selbstständig und nach Gefühl einzusetzen – sowie das Pedalspiel haben es ihm als Musiker angetan. Improvisationen kommen seinen Worten nach „ad hoc“. Trotzdem spiele er auch gerne vom Blatt, schließlich habe sich ja auch der Komponist etwas bei seiner Arbeit gedacht. Nach dem Besuch der Sakristei, wo er mit dem Pfarrer kurz noch die Liedfolge des nahenden Gottesdienstes bespricht, steigt er regelmäßig die Holzstufen der fast 350-jährigen Fuggerei-Kirche hinauf, setzt sich ans Manual und bringt die Notenblätter neben sich in die richtige Reihenfolge.
Von den 20 Plätzen, die in diesen Corona-Zeiten von den 150 Fuggerei-Bewohnern belegt werden dürfen, sind an diesem Sonntag etwas mehr als die Hälfte besetzt. Mangels Masse im Kirchenraum klingt der
Gesang etwas brüchig und dünn, was Otto Gollmitzer nicht daran hindert, sein gesamtes Stimmvolumen zu nützen. Zusammen mit den Gläubigen schmettert der Kantor inbrünstig „Fastet, fastet und seht…“, bevor Pfarrer Andreas Magg ausführt, warum Gott „so alltäglich wie das Brot“ist. Immer wieder bringt Otto Gollmitzer seine filigranen Hände in Position, die ihm gegenüber auch schon als „Hebammen-Finger“bezeichnet wurden. Die Füße stecken in speziellen Schuhen, die laut Gollmitzer „schmal und leicht“sein müssen, um das Gefühl für die Pedale zu behalten. Er lächelt, wenn er sich an seine Kolleginnen und Kollegen erinnert, die diese Empfindung auf eine ihm fremde Art provozierte: „Ich kenne einen, der spielt strumpfsockig“, sagt er, „das könnte ich nicht.“
Als die Messe gelesen und die Empore aufgeräumt ist, steigt Otto Gollmitzer die Holztreppe wieder hinunter, um auf einer immer noch weitgehend leeren Herrengasse seinem Hauseingang entgegenzustreben. Die Wolkendecke scheint sich ein wenig gelichtet zu haben, als er die Haustüre öffnet und sein Frau Brigitte begrüßt. Die beiden wohnen in einer 80 Quadratmeter großen Wohnung, die heute von Fernwärme beheizt wird. Im hinteren Teil des Hauses geht es hinaus in einen üppig grünen Garten, den das Ehepaar seinen „Paradiesgarten“nennt. Den Flur des Häuschens schmücken die Anerkennungen für die geleisteten Dienste: eine EhrenUrkunde der Administration der Fuggerei, unterzeichnet von Graf von Hundt, und eine vom Amt für Kirchenmusik des Ordinariats.