Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hat Corona einen Babyboom ausgelöst?

Die Geburtenza­hlen in Augsburgs Kliniken steigen seit Jahren. Im Juli gab es im Unikliniku­m sogar einen Rekord. Experten schließen einen Zusammenha­ng mit der Pandemie nicht aus

- VON ANDREA WENZEL

So viele Geburten wie im Juli gab es im Unikliniku­m noch nie. 272 Entbindung­en mit 282 Kindern wurden registrier­t. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr, ordnet Dr. Manuela Franitza, Leiterin Sektion Geburtshil­fe und Pränatalme­dizin, ein. Seit 35 Jahren sei sie schon an der Klinik, aber so eine hohe Zahl an Geburten in einem Monat habe sie noch nie erlebt.

Auch im Josefinum, die größte Geburtskli­nik in der Region und eines der größten Häuser deutschlan­dweit, erblicken immer mehr Kinder das Licht der Welt. „Wir können im ersten Halbjahr eine Geburtenzu­nahme im Vergleich zum Vorjahr von etwas mehr als 100 Geburten registrier­en“, so Dr. Roman Steierl, Chefarzt Geburtshil­fe und Brustzentr­um an der KJF Klinik Josefinum. Am meisten Babys wurden 2021 bislang im Juli geboren. Da kamen 333 Kinder zur Welt. Schon in den Jahren zuvor hat sich ein Anstieg abgezeichn­et. 2012 waren es noch knapp 2700 Kinder, die im Josefinum geboren wurden, 2016 bereits etwa 3300 Kinder, 2019 und 2020 jeweils über 3600 Kinder.

Für ganz Deutschlan­d erklärte das Statistisc­he Bundesamt zuletzt den März zum Rekord-Monat. Mit 65.903 Geburten habe man ein Niveau erreicht wie zuletzt vor mehr als 20 Jahren, heißt es in einer Pressemeld­ung. Außerdem wird spekuliert, inwiefern die Corona-Krise die Geburtenra­te in diesem Jahr befeuert haben könnte. Der Anstieg stehe in zeitlichem Zusammenha­ng mit dem Abflachen der ersten Welle der Corona-Pandemie in Deutschlan­d und den Lockerunge­n ab Anfang Mai 2020, so die Statistike­r. Womöglich haben einige Paare diese wiedergewo­nnene Freiheit genutzt.

Ob wirklich Corona hinter den steigenden Geburtenza­hlen steckt, wollen die Verantwort­lichen in Augsburg nicht bestätigen. „Die Babys, die jetzt im Juli geboren worden sind, könnten rein theoretisc­h im Zusammenha­ng mit dem letzten Lockdown stehen“, so Dr. Manuela Franitza. Ob Paare die Einschränk­ungen aber tatsächlic­h für mehr Zweisamkei­t genutzt haben oder ohnehin Familienzu­wachs geplant hatten, sei wissenscha­ftlich nicht zu belegen. Auch im Josefinum schreibt man Corona nur bedingt einen Anteil an den steigenden Zahlen zu: „Die Gründe dafür sind vielfältig, wobei auch der Lockdown seinen Teil dazu beigetrage­n haben dürfte“, so Dr. Roman Steierl.

Dass die Geburtenza­hlen in Augsburg steigen, hat nicht zuletzt auch mit dem Bevölkerun­gszuwachs in Stadt und Region – die ebenfalls zum Einzugsgeb­iet der beiden Geburtskli­niken gehört – zu tun. Auch die Schließung von Geburtssta­tionen in Krankenhäu­sern im Umland dürfte eine Rolle spielen. Dr. Manuela Franitza und ihre Kollegin Dr. Marina Seefried erkennen zudem einen Trend weg von der klassische­n Ein-Kind-Familie hin zu zwei und drei Kindern pro Paar. Dass die Zahl der Geburten steigen wird, habe man schon länger absehen können, sagen die beiden Expertinne­n. Man rechne auch in Zukunft mit einer anwachsend­en Kurve. Darauf habe man sich an der Uniklinik zwar entspreche­nd eingestell­t, dennoch komme man an manchen Tagen räumlich an die Kapazitäts­grenzen im erst 2014 eröffneten Neubau des Mutter-Kind-Zentrums.

Mit Blick in die Zukunft werden daher kurzfristi­g flexible Lösungen erarbeitet, um den Entwicklun­gen gerecht zu werden, beispielsw­eise ein mobiles Entbindung­sbett, das auch außerhalb eines Kreißsaals genutzt werden kann. Auch die Umstellung auf ein Beleghebam­mensystem im Herbst 2020 hat sich in diesem Zusammenha­ng bewährt, weil die Hebammen nun freiberufl­ich tätig sind und untereinan­der regeln, dass ausreichen­d Personal für anstehende Geburten vorhanden ist, erklärt Dr. Franitza.

Damit man auch in Josefinum den steigenden Geburtenza­hlen weiter gerecht wird, wird auch hier gehandelt. „Derzeit ist ein weiterer Entbindung­sraum in Planung“, berichtet Dr. Roman Steierl. Zudem werde Anfang des Jahres 2022 eine neue Familienst­ation eröffnen. Weil mehr Geburten auch mehr Beratung vor der eigentlich­en Entbindung bedeutet, haben sich die Geburtskli­niken auch in dieser Hinsicht neu aufgestell­t. Mit Hebammen- oder vorgeburtl­ichen Sprechstun­den wollen sie das Informatio­ns- und Vorsorgebe­dürfnis der werdenden Mütter bedienen. Im Unikliniku­m gebe es derzeit längere Wartezeite­n für entspreche­nde Termine. „Wir arbeiten aber bereits mit Hochdruck an einer Verbesseru­ng“, verspricht Dr. Manuela Franitza.

Neben steigenden Geburtenza­hlen beobachten die Experten an ihren Kliniken noch eine weitere Entwicklun­g,

Wie die Kliniken die Zukunft planen

die teils mit Corona zu tun hat: Die Aufenthalt­sdauer nach der Entbindung habe sich verkürzt. Patientinn­en nach einer Spontangeb­urt bleiben durchschni­ttlich zwei bis drei Tage stationär, nach Kaiserschn­itt durchschni­ttlich vier Tage, heißt es aus dem Josefinum. Ähnliche Zeiträume nennen auch die Verantwort­lichen der Uniklinik. Gerade während Corona erfolgt hier eine rasche Entlassung oft auf Wunsch der Mütter, da Besuche von Verwandten und Geschwiste­rkindern weiter nur eingeschrä­nkt möglich sind. „Das stellt uns auch vor die Herausford­erung, den Mamis binnen weniger Tage alles Nötige zu vermitteln“, so Dr. Franitza weiter. Umso wichtiger sei eine gute Nachsorge durch die zuständige Hebamme.

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Foto: Silvio Wyszengrad In Augsburg werden immer mehr Kinder geboren. Welche Rolle spielte dabei die Corona‰Pandemie?

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