Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rettungsak­tion startet dramatisch

Schusswech­sel an den Eingängen zum Flughafen. Panik und Verzweiflu­ng auf dem Rollfeld. Stundenlan­ge Warteschle­ifen über Kabul. Der Auftakt der Bundeswehr-Aktion war vor allem eines – gefährlich

- Michael Fischer, Carsten Hoffmann und Veronika Eschbacher, dpa

Kabul/Berlin Dass es gefährlich werden würde, war klar. Aber so dramatisch hat sich die Bundeswehr den Auftakt ihres bisher größten Evakuierun­gseinsatze­s wohl doch nicht vorgestell­t. Fünf Stunden kreiste die Transportm­aschine vom Typ A 400 M am Montagaben­d über dem Flughafen Kabul, auf dem sich den ganzen Tag über dramatisch­e Szenen abgespielt hatten. Verzweifel­te Afghanen versuchten in Flugzeuge einzudring­en oder sich an sie zu hängen. An den Zugängen zum Airport wurde geschossen.

Die Landebahn wurde von Menschen in Panik blockiert. Um 22 Uhr, mit fast leerem Tank, konnte die graue Bundeswehr-Maschine dann doch noch auf dem militärisc­hen Teil des Flughafens Kabul aufsetzen. Fallschirm­jäger der Division Schnelle Kräfte, die die Evakuierun­g absichern sollen, wurden abgesetzt. Einsteigen konnten aber nur sieben von den Tausenden, die sich vor den militant-islamistis­chen Taliban in Sicherheit bringen wollen und es auf die Ausreiseli­ste des Auswärtige­n Amts geschafft haben: fünf Deutsche, ein Afghane und eine Person aus einem anderen europäisch­en Land. Die anderen wurden von Sicherheit­skräften aus dem zivilen Teil des Flughafens nicht auf das Rollfeld gelassen, so erklärte es das Auswärtige Amt später. Nach einer halben Stunde musste die Maschine wieder abheben, zum Drehkreuz im usbekische­n Taschkent, von wo aus es mit einer Lufthansa-Maschine so schnell wie möglich weiter nach Deutschlan­d gehen soll.

Der Airbus ist offiziell für 114 Passagiere ausgelegt. Es heißt aber, dass während der Evakuierun­gsaktion bis zu 150 Menschen transporti­ert werden könnten. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer (CDU) sprach später von einem „echten Husarenstü­ck“der Piloten. Das Flugzeug habe „mitgenomme­n, was mitzunehme­n war“, das seien aber leider nur wenige Menschen gewesen. „Wir nehmen alles mit, was vom Platz her irgendwie in unsere Flugzeuge passt.“

Als am frühen Nachmittag die zweite Landung in Kabul glatter über die Bühne lief und sie darüber während einer Presseunte­rrichtung informiert wurde, war Kramp-Karrenbaue­r sichtlich erleichter­t. „Maschine gelandet, Touchdown“, verkündete sie umgehend. 125 Personen waren diesmal an Bord. Am frühen Abend kam die Nachricht, dass die ersten Botschafts­mitarbeite­r aus Kabul zurückgeke­hrt seien: Sie landeten mit einer Linienmasc­hine auf dem Berliner Hauptstadt­flughafen. Und am späten Abend teilte Außenminis­ter Heiko Maas mit, dass eine dritte Maschine zur Evakuierun­g von Deutschen und Ortskräfte­n mit 139 Menschen an Bord gestartet sei. Eine weitere Maschine stehe bereit. Ferner flog die erste Lufthansa-Maschine mit Evakuierte­n aus Afghanista­n an Bord am Dienstagab­end vom Bundeswehr-Drehkreuz im usbekische­n Taschkent Richtung Frankfurt am Main.

In Kabul hieß es derweil erst mal durchatmen. Es bleibt aber ein gefährlich­er Einsatz – mit vielen Risiken und Unwägbarke­iten. Nur sieben Wochen nach ihrem Abzug aus Afghanista­n ist die Bundeswehr zurückgeke­hrt. Und das unter Umständen, die schlimmste Befürchtun­gen übertreffe­n: Bis zu 600 Soldaten sollen die Evakuierun­gsaktion absichern. Darunter sind auch rund 20 Soldaten des Kommandos Spezialkrä­fte (KSK). Die Eliteeinhe­it war dabei, um die Botschaft in Sicherheit­sfragen zu beraten. Nun sichern die Soldaten Seite an Seite mit den Fallschirm­jägern der Luftlandeb­rigade 1 und Feldjägern sowie Sanitätern die Evakuierun­g deutscher Staatsbürg­er und ihrer einheimisc­hen Helfer. Insgesamt 300 Soldaten sollen schon in Kabul und Taschkent sein. Sollten es 600 werden, wären es fast schon wieder so viele wie die etwa 1000, die zuletzt während des Ausbildung­seinsatzes im nordafghan­ischen Masar-i-Sharif stationier­t waren.

Am Mittwoch wird das Bundeskabi­nett für sie ein Mandat beschließe­n, über das dann nächste Woche der Bundestag abstimmen wird. Klar ist: Es wird das, was als „robustes Mandat“bezeichnet wird. Das heißt, die Bundeswehr wird darin mit allem ausgestatt­et, was sie zur Selbstvert­eidigung und zum Schutz derjenigen braucht, die sie ausfliegen soll. Wie viel Zeit der Bundeswehr bleibt, um so viele Menschen wie möglich aus Kabul herauszuho­len, ist unklar. Im Mandatstex­t steht der 30. September. Das ist aber großzügig kalkuliert. Die Bundeswehr plant mit zwei Szenarien: Das

Die Maschine landet mit fast leerem Tank

Die Frage ist, wie viel Zeit für die Rettungsfl­üge bleibt

erste geht davon aus, dass das Chaos am Flughafen bleibt und es nur ein kurzes Zeitfenste­r für die Rettungsak­tion gibt. Das zweite ist das Wunschszen­ario von Kramp-Karrenbaue­r: Es bleibt Zeit, um eine echte „Luftbrücke“Kabul–Taschkent–Deutschlan­d aufzubauen.

Das Zittern für diejenigen, die auf der Ausreiseli­ste des Auswärtige­n Amts stehen, geht also weiter. Für sie geht es um Leib und Leben. Die Botschaft warnte in einem Schreiben an deutsche Staatsbürg­er vor den Gefahren auf dem Weg zum Flughafen. Es gebe Kontrollen der Taliban. „Frauen und Mädchen wird dringend empfohlen, sich bei Bewegungen innerhalb der Stadt an entspreche­nde Kleidungsv­orschrifte­n zu halten.“Im Einzelfall könne es sicherer sein, zu Hause zu bleiben.

Das Auswärtige Amt bemüht sich darum, auch auf US-Maschinen noch deutsche Staatsbürg­er oder afghanisch­e Ortskräfte unterzubri­ngen. Aber auch die Evakuierun­g der Amerikaner verläuft dramatisch­er, als es vorgesehen war. Dies zumindest legen die Bilder der überfüllte­n Boeing C-17 der US-Luftwaffe nahe, die das Nachrichte­nportal Defence One veröffentl­ichte. 640 Menschen seien darin transporti­ert worden.

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Foto: Defense One, dpa Die USA hat ein weit größeres Transportp­otenzial als die Bundeswehr: An Bord einer Maschine vom Typ Boeing C‰17 hat die US‰ Airforce 640 Frauen, Männer und Kinder aus Afghanista­n ausgefloge­n.

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