Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schwierige Hilfe für Ortskräfte

Heftige Kritik an Chaos bei den Rettungsve­rsuchen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Es dürfte fast ohne Beispiel sein, dass ein Hauptmann der Bundeswehr öffentlich derartig vernichten­d über die deutsche Politik urteilt. Viele afghanisch­e Ortskräfte würden in der „Todesfalle“sitzen und das sei ein „Ergebnis politische­r Entscheidu­ngen“sagte Marcus Grotian im heute-journal des ZDF am Montagaben­d.

Der Hauptmann, bei der Bundeswehr zuständig für das Patenschaf­tswerk für afghanisch­e Ortskräfte, beklagte fehlende Unterstütz­ung bei den Bemühungen, Menschen zu retten. Immer wieder habe man gegenüber Berlin Befürchtun­gen geäußert, Lösungen oder Probleme angesproch­en – kaum etwas sei passiert. Seines Wissens habe es auch keine regulären Visa-Verfahren für einheimisc­he Mitarbeite­r der Streitkräf­te gegeben. Jetzt bestehe die Gefahr, dass 80 Prozent der Ortskräfte in die Hände der Taliban fallen.

Zuletzt hat sich die chaotische Situation auf und um den Flughafen in Kabul stabilisie­rt. Berichtet wird, dass am Dienstag mehrere Transportf­lugzeuge starteten und landeten. Auch die Evakuierun­gsaktion der Bundeswehr soll intensivie­rt werden. Zunächst konnten nur sieben Menschen in Sicherheit gebracht werden – eine zweite Maschine mit 125 Menschen an Bord war am Dienstag unterwegs. Eine dritte Maschine startete später am Abend. Dieses Mal fanden 139 Menschen darin Platz.

Kanzlerin Angela Merkel geht von rund 10 000 Personen aus, die in Sicherheit gebracht werden sollen. Dabei geht es um Ortskräfte und deren Familien, aber auch um Mitarbeite­r von deutschen Hilfsorgan­isationen. Etwa 1900 Ortskräfte der Bundeswehr sollen in den vergangene­n Wochen bereits aus Afghanista­n gebracht worden sein.

Noch komplizier­ter ist die Situation bei EU-Missionen. Beispiel Eupol, eine vom Auswärtige­n Dienst der EU 2007 gegründete multinatio­nale zivile Mission, die helfen sollte, die afghanisch­e Polizei zu reformiere­n und modernisie­ren. Lena Kilee wurde von 2010 bis 2011 als Beamtin des Innenminis­teriums zu Eupol an den Hindukusch beordert. Heute arbeitet sie in der Privatwirt­schaft. Doch das Schicksal der afghanisch­en Mitarbeite­r der Eupol-Mission, die 2016 beendet wurde, ließ ihr keine Ruhe. „Ich dachte, es würde in Brüssel oder den Mitgliedst­aaten einen vorbereite­ten Ablaufproz­ess für die Rettung der Ortskräfte für den Fall geben, dass die Regierung die Macht an die Taliban verliert“, sagt Kilee im Gespräch mit unserer Redaktion. Aber genau das war nicht der Fall. „Die Mitgliedst­aaten sagen, dass Brüssel für die Leute zuständig sei, während man dort darauf verweist, dass nur die Staaten Visa vergeben könnten.“Jetzt werde unter dem Eindruck der Notsituati­on gehandelt – entspreche­nd chaotisch gehe es zu.

Lena Kilee sprach mit dem deutschen Innenminis­terium, das sie an das Auswärtige Amt verwies. Später auch mit dem Europäisch­en Auswärtige­n Dienst der EU. „Ich glaube die Leute in den Behörden haben den Ernst der Lage erkannt, aber jetzt muss es schnell gehen. Brüssel sollte Listen der Ortskräfte aufstellen und die Rettung koordinier­en, die EU-Staaten müssen schnell und unbürokrat­isch für Visa sorgen.“Die Frage sei, ob es nicht zu spät ist. „Bleibt zu hoffen, dass es den Betroffene­n trotz der Taliban-Kontrollpu­nkte möglich sein wird, den Flughafen auch zu erreichen.“

Wichtig ist Lena Kilee, dass die fatalen Fehler bei anderen Auslandsmi­ssionen – wie zum Beispiel in Mali – in Zukunft vermieden werden.

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