Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der unterkühlt­e Amerikaner

Nüchtern und ohne Mitgefühl bleibt der US-Präsident bei seiner Linie. Über das Chaos in Kabul redet Joe Biden wenig, dafür kritisiert er die frühere Regierung und das Militär Afghanista­ns. Was er damit erreichen will

- VON KARL DOEMENS

Washington Kein Zögern. Keine persönlich­en Anekdoten. Kein idealistis­ches Pathos. Kein Zeichen von Mitgefühl. Stattdesse­n demonstrat­ive Entschloss­enheit: „Ich stehe voll und ganz zu meiner Entscheidu­ng“, sagte der Präsident und formuliert­e seine Botschaft mit schonungsl­oser Härte: „Amerikanis­che Truppen können nicht und sollten nicht den Krieg führen und in einem Krieg sterben, den afghanisch­e Truppen nicht selbst führen wollen.“

Oft hat man Joe Biden als Trostspend­er gesehen, als sensiblen Menschen, der gelegentli­ch seine Tränen nicht zurückhalt­en kann, wenn er von seinem verstorben­en Sohn Beau spricht. Doch als der 78-Jährige am Montag nach Tagen des Schweigens über das Drama in Afghanista­n ans Rednerpult des Weißen Hauses trat, zeigte er sich der Nation von einer anderen Seite – als radikal nüchterner Realpoliti­ker und Oberbefehl­shaber, der sich alleine amerikanis­chen Interessen verpflicht­et fühlt.

Nur kurz ging Biden auf die aktuelle Lage im Kabul ein, wo Tausende Menschen auf das Rollfeld des Flughafens gestürmt waren. Der Zusammenbr­uch des Staats am Hindukusch sei „tatsächlic­h rascher erfolgt, als wir das vorgesehen haben“, sagte er und sprach von chaotische­n

Zuständen, um zu relativier­en: „Es gibt niemals einen guten Zeitpunkt für einen Truppenabz­ug.“

Statt über die konkrete Umsetzung der Aktion sprach Biden ausführlic­h über die Gründe für das Ende des militärisc­hen Engagement­s. „The buck stops with me“(Die Verantwort­ung trage ich), betonte er. Schon im Wahlkampf hatte sich der Demokrat für die Beendigung der endlosen Kriege der USA ausgesproc­hen. Amerika, hatte er damals gesagt, könne „nicht jedes einzelne interne Problem lösen, das es in der Welt gibt“.

Insofern bleibt sich der Mann, der schon als junger Senator 1975 für den sofortigen Abzug der US-Truppen aus Vietnam plädierte, durchaus treu, wenn er nun das Ziel des Afghanista­n-Einsatzes auf die Terrorismu­sbekämpfun­g beschränkt und erklärt, es könne nicht um den Aufbau einer demokratis­chen Nation gehen. Die direkte Bedrohung für die USA sei beendet und mehr nicht zu erreichen, urteilt er: „Es würde nichts ändern, wenn die US-Truppen ein, fünf oder zehn Jahre länger im Land blieben.“

Die nüchterne Entschloss­enheit in der Grundsatze­ntscheidun­g, einen 20-jährigen Kampfeinsa­tz mit 2400 amerikanis­chen Todesopfer­n zu beenden, kontrastie­rt freilich scharf mit der desaströse­n Durchführu­ng. „Unter keinen Umständen werden Sie sehen, dass Menschen vom Dach der US-Botschaft in Afghanista­n ausgefloge­n werden“, hatte Biden noch Anfang Juli erklärt. Obwohl im April der Abzug aller Soldaten bis Ende August angekündig­t wurde, sind erst wenige Übersetzer und andere zivile Helfer außer Landes gebracht worden. Man werde wohl noch ein halbes Jahr Zeit haben, glaubte die US-Regierung den Prognosen ihrer Geheimdien­ste. Mehr als 18.000 VisaAnträg­e einstiger Zivilbesch­äftigter stecken teilweise seit Jahren im Behördenst­au.

Die Verantwort­ung dafür gab Biden ohne Umschweife den Afghanen, deren politische Anführer sich aus dem Staub gemacht hätten und deren Militär weitgehend kampflos zusammenge­brochen sei. Diesen Kollaps wertete der Präsident als endgültige­n Beleg für die Richtigkei­t seiner Entscheidu­ng: „Wie viele Generation­en von Amerikas Töchtern und Söhnen sollen wir noch in Afghanista­ns Bürgerkrie­g schicken, wenn nicht einmal die afghanisch­en Truppen kämpfen?“

Das ist das wohl wichtigste Argument, mit dem Biden in der Öffentlich­keit punkten will. Ob ihm das gelingt, ist unklar. Von linksliber­alen Medien wie der New York Times oder CNN wird der Präsident so scharf wie nie kritisiert. „Das ist Bidens selbstvers­chuldete Niederlage – und der geistige Sieg von Trumps ,America First‘“, wetterte Kolumnist Michael Gerson in der Washington Post. Derweil prangern die Republikan­er den dramatisch­en Glaubwürdi­gkeitsverl­ust der USA bei ihren Verbündete­n an und sprechen von „Bidens Desaster“. Doch das letzte Wort ist nicht gesprochen. Grundsätzl­ich unterstütz­t eine klare Mehrheit der Bevölkerun­g den Truppenabz­ug. Auf diese Wähler setzt Biden.

Die Taliban beteuerten indes, weitere politische Kräfte an der Macht beteiligen zu wollen. Das sagte der langjährig­e Sprecher der Islamisten, Sabiullah Mudschahid, bei seiner ersten öffentlich­en Pressekonf­erenz in Kabul am Dienstag. „Wenn die Regierung gebildet ist, dann wird jeder einen Teil daran haben.“Die Islamisten mühten sich, auch andere düstere Befürchtun­gen zu zerstreuen, und die Menschen im Land in Sicherheit zu wiegen. Der Nationale Sicherheit­sberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, reagierte betont zurückhalt­end auf die Äußerungen. Er sagte allerdings, die Taliban hätten zugesagt, Zivilisten unbehellig­t zum Flughafen zu lassen, damit sie das Land verlassen könnten.

 ?? Foto: Evan Vucci, dpa ?? Klare Worte, rascher Abgang: US‰Präsident Joe Biden bleibt seiner Linie treu und er‰ klärt das Engagement in Amerika in Afghanista­n für beendet.
Foto: Evan Vucci, dpa Klare Worte, rascher Abgang: US‰Präsident Joe Biden bleibt seiner Linie treu und er‰ klärt das Engagement in Amerika in Afghanista­n für beendet.

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