Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schweizer Züge können im Allgäu fahren
Stadler-Konzern und Bahnbetreiber Go-Ahead entschärfen den heftigen Konflikt. Die Briten können nun doch ihre Züge von einem russischen Anbieter warten lassen. So wurde der Durchbruch erzielt
Langweid/Zug Monatelang stand ein heftiger Vorwurf im Raum: Verantwortliche des Schweizer Zugherstellers Stadler befürchteten, dass ein Wartungswerk in Langweid bei Augsburg zum Schauplatz von Industriespionage wird. Dort sollen im Auftrag des bayerischen Ablegers des britischen Bahnbetreibers Go-Ahead 22 Regionalzüge der Schweizer für das Elektronetz Allgäu gewartet werden. Den im Bau befindlichen Instandhaltungsbetrieb betreibt die im Schweizer Ort Zug sitzende Tochter des russischen Bahnriesen Transmashholding, der ein Konkurrent von Stadler ist.
So sagte Silja Kollner, Leiterin Kommunikation und Marketing von Stadler Deutschland: „Unsere größte Sorge ist, dass entgegen den Vereinbarungen, die wir mit GoAhead getroffen haben, wichtige Unterlagen für unsere Züge dem russischen, stark expandierenden Wettbewerber in die Hände fallen.“Bei Vertragsabschluss sei dem Stadler-Management nicht klar gewesen, dass Go-Ahead einen russischen Wartungspartner mit ins Boot holt.
Der Konflikt eskalierte: Die Schweizer wollten die technischen Dokumentationen nicht rausrücken. Und die Briten drohten, notfalls Ende 2021 auf der Strecke München–Buchloe–Memmingen– Kißlegg–Hergatz–Lindau ohne Stadler-Material zu fahren, sich also Fahrzeuge zu leihen. Um die Züge mit dem Namen „Flirt“herrschte reichlich Zoff. Doch am Dienstag bestätigten sich Informationen unserer Redaktion, dass der Konflikt aufs Abstellgleis geschoben wurde. Eine Sprecherin des eidgenössischen Konzerns sagte auf Anfrage: „Die Unternehmensleitungen von Stadler und Go-Ahead haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen zur Sicherstellung der pünktlichen Betriebsaufnahme im E-Netz Allgäu mit 22 Flirt-Zügen verständigt.“Die Einigung wahre die Interessen von Stadler und Go-Ahead – und stelle den Schutz sensibler Daten sicher.
Weitere Details nannte der Zughersteller nicht, schließlich sei Vertraulichkeit vereinbart worden. GoAhead gab sich noch zugeknöpfter und gab zunächst lediglich einen Satz zu Protokoll: „Wir freuen uns darüber, dass wir am 12. Dezember partnerschaftlich mit Stadler den Betrieb aufnehmen werden, äußern uns zu den vertraglichen Details jedoch nicht.“Damit steht fest, dass die Befürchtungen der Schweizer, das Wartungswerk könnte zur Keimzelle russischer Industriespionage werden, durch vertragliche Regelungen vom Tisch sind.
Die TMHI-Truppe kann also die Züge in dem neuen Betrieb warten, was Stadler bestätigte. Die gebremste Auskunftsfreudigkeit beider Parteien weckt natürlich die Neugier. Wie sich recherchieren lässt, bedurfte es Gesprächen auf Konzernebene, um wieder Fahrt in die stockenden Verhandlungen zu bringen. Es musste also auf oberster Führungsebene der Karren aus dem Dreck gezogen und das schwere Geschütz der Industriespionage entschärft werden. Dem Vernehmen nach könnte jetzt der erste StadlerZug bald in Augsburg eintreffen, während der letzte, wie eine Sprecherin des Konzerns versicherte, im Oktober überstellt werde.
Wenn die Züge Richtung Augsburg rollen, rücken die Schweizer entgegen ursprünglicher Drohungen auch die Wartungsunterlagen heraus, wie sich schließen lässt. Ein Branchenkenner geht davon aus, dass vertraglich festgelegt wurde, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von TMHI in Langweid zwar Zugang zu allen Informationen und entsprechenden Softwarelösungen bekommen, die für die Instandhaltung der Züge notwendig sind. Dabei würde aber sichergestellt, dass Details über innovative Technologien nicht an den russischen Mutterkonzern weitergegeben werden können. So etwas kann über entsprechende Abschirmungsvereinbarungen geschehen.
Den Weg zu einer derart pragmatischen und auch üblichen Regelung hatte TMHI-Präsident Hans Schabert in einem Gespräch mit unserer Redaktion aufgezeigt. Der Manager versicherte: „Das Know-how bleibt in Langweid. Industriespionage ist nicht möglich. Wir haben große Routine, was Vertraulichkeitsvereinbarungen betrifft.“Und er beteuerte zugleich: „Unterlagen, die wir für die Züge etwa von Stadler bekommen, werden bei uns in ein Softwaresystem eingepflegt, das auf Langweid begrenzt ist.“Hier lasse sich juristisch nachprüfen, wer Zugriff auf diese Server habe. Die Unterlagen stünden nur für die Teams in Langweid zur Verfügung.
TMHI-Mann Schabert gab sich überzeugt: „Das ist Praxis in der Branche. Stadler wartet auch Züge anderer Hersteller.“Letzterer Umstand könnte ein Auslöser für den ungewohnt in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikt gewesen sein. Denn auch die Schweizer hatten sich für die Wartung der eigenen 22 Züge beworben, jedoch gegenüber den Russen den Kürzeren gezogen. Das Angebot von TMHI war „attraktiver“für Go-Ahead. In der Branche ist es kein Geheimnis: Die Russen wollten unbedingt ihren Fuß auf den großen und lukrativen deutschen Markt für die Wartung von Zügen setzen, was europäischen Platzhirschen wie Stadler missfällt.