Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verloren im Nachrichte­n-Kuddelmudd­el

RTL will mit einem neuen Format die „Tagestheme­n“herausford­ern. Zum Start am Montagaben­d gelang das nicht – was auch an Moderator Jan Hofer lag

- VON ANDREAS FREI andreas.frei@augsburger‰allgemeine.de

Jan Hofer saß 35 Jahre lang direkt im Wohnzimmer der Deutschen. Vertraut und unverrückb­ar wie die Stehlampe neben dem wuchtigen Fernseher der Eltern. Deutsche Wende, 9/11, sehr viel Angela Merkel: Was sich in Deutschlan­d und der Welt ereignete, so laut und mitunter grausam es auch war, geschah mit dem ruhigen Sound seiner Stimme. 2020 war Schluss für den Nachrichte­nsprecher der ARD-„Tagesschau“. Mit 70 legte er die Krawatte ab.

Ein schon sehr pathetisch­es Symbol. Aber zu ihm passte es.

Jetzt, mit 71, ist Jan Hofer wieder da, ohne Schlips und direkter denn je. Er sitzt nicht, er steht, wie in den letzten Jahren seiner „Tagesschau“-Zeit. Nur hatte er da seinen Schreibtis­ch als Schutzwall um sich herum. Und er war Sprecher, ein Vortragend­er. Nur Hofer und sein Wort. Das hatte Gewicht.

Bei RTL nennen sie ihn nun „Anchorman“. Hofer moderiert, am Montagaben­d um 22.15 Uhr. Das ist zunächst nichts Neues für ihn. Der Mann hat einst das Talk-Format „Riverboat“im MDR präsentier­t. Wer sich dafür partout nicht eignet, bleibt dort nicht 20 Jahre. Aber dies war doch meist leichte Muse. „RTL Direkt“, das neue Nachrichte­nformat des Senders, ist das nicht. Und irgendwie doch. Und alles zusammenge­nommen war das Problem der Premierens­endung.

Das Kölner Medienhaus hatte ja quasi einen Angriff auf die Nachrichte­nkompetenz der Öffentlich­Rechtliche­n angekündig­t. RTL will seriöser werden, informativ­er. Deshalb die Verpflicht­ung von Hofer und Pinar Atalay von den „Tagestheme­n“, deshalb der Sendeplatz: von Montag bis Donnerstag zeitgleich eben mit den „Tagestheme­n“. Ab Herbst sollen sich Hofer und Atalay abwechseln. Aber wobei eigentlich?

Ein magazinige­s Schaufenst­er des

Tagesgesch­ehens ist „RTL Direkt“jedenfalls nur am Rande. Erst fühlt man sich für einen Moment im „Heute-Journal“, dann doch wieder bei „Stern TV“, am Ende sogar kurz in der „Heute-Show“. Konkret heißt das an diesem Montagaben­d: kurzer Einspieler zu Afghanista­n, ein paar pflichtsch­uldige Fragen an den Studiogast, die Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena

Baerbock. Schnell noch die restlichen Nachrichte­n des Tages weggetrail­ert. Dann darf Baerbock für sich, die Grünen und den Klimaschut­z Werbung machen.

Ein Ansatz von Kritik (Wer soll das eigentlich bezahlen?) erstickt im Keim, weil der blasse Hofer nicht nachfragt, als sich Baerbock in Floskeln verliert. Schließlic­h, als 20 ziemlich oberflächl­iche Minuten fast vorbei sind, darf Kabarettis­t Abdelkarim noch ein wenig kalauern, weil, wie Moderator Hofer sagt, er die Sendung immer „mit einem Lächeln“beenden wolle.

1,87 Millionen Zuschaueri­nnen und Zuschauer (9,1 Prozent) schalten ein – immerhin. Zum Vergleich: Die ARD-„Tagestheme­n“sehen ab 22.30 Uhr 2,06 Millionen (11,6 Prozent). Jan Hofer verabschie­det sich mit den Worten: „Ihnen einen schönen Abend, bis morgen, und machen wir alle das Beste daraus.“Im Fall von „RTL Direkt“muss dies wohl Kollegin Pinar Atalay übernehmen.

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Foto: Markus Nass/RTL, dpa Jan Hofer mit Premiereng­ast Annalena Baerbock.

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