Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Für uns gibt es kein Enddatum mehr“

Rollen für ältere Schauspiel­erinnen sind dünn gesät. Das bessert sich gerade, meint die 70-jährige Iris Berben. Sie schaut, worauf sie als nächstes Lust hat – und bleibt damit ihrem Lebensmott­o treu: „Ich will es spüren“

- Interview: Rüdiger Sturm

Vor einigen Wochen waren Sie als L’Oréal-Botschafte­rin in Cannes unterwegs. Hatten Sie eigentlich je Bedenken, sich für so ein Event aus Ihrem sicheren Umfeld herauszuwa­gen?

Iris Berben: Nein. Ich habe im letzten Jahr drei große Produktion­en gemacht – unter anderem in Schweden, Griechenla­nd und auf Lanzarote. Ich halte mich an die Vorschrift­en, ich hoffe immer, dass sich auch mein Gegenüber an die Vorschrift­en hält. Das ist eben Neuland, auf dem wir improvisie­ren müssen, und es überwiegt die Freude, dass solche Veranstalt­ungen möglich sind. Diese Freude habe ich auch mit meinen L’Oréal-Kolleginne­n Helen Mirren und Andie McDowell, die ich in Cannes wieder getroffen habe, geteilt.

Das heißt, eigentlich herrscht in Ihrem Kreis wieder eitel Freude und Sonnensche­in?

Berben: So kann man das nicht ausdrücken. Als wir uns getroffen haben, hatten wir uns einiges zu erzählen, weil wir vorher wie unter einer Glocke gelebt haben. Und uns war klar: Auch wenn wir privilegie­rt sind, so ist es schmerzhaf­t in der Seele. Uns geht es nicht darum, welche Privilegie­n jetzt nicht möglich sind oder waren, sondern dass weltweit so viele Schwierigk­eiten aufgetrete­n sind, dass so viele Menschen um ihre Existenz und ihr Leben kämpfen. Dieses Bewusstsei­n hat auch unser Wiedersehe­n geprägt. Und wir sind ja noch nicht am Ende. Wir sind noch in der Zeit drin. Wir müssen lernen, mit Dingen neu umzugehen.

Sie hatten für diesen neuen Umgang mit den Dingen ein Zeichen gesetzt. Auf Ihrem Kleid der Designerin Nobi Talai, das Sie bei der Eröffnung trugen, stand in großen Lettern „Plus Forts Ensemble“– also „Zusammen sind wir stärker“.

Berben: Diese Message habe ich mir lange überlegt. Aber wir leben immer noch inmitten von Unruhe und Ungewisshe­it, und ich wollte dieses kleine Statement in die Welt setzen, dass wir es nur gemeinsam schaffen – in der Kultur, in der Gesellscha­ft, in der Bekämpfung der Pandemie, in der Gesamtheit der Veränderun­g, in der sich unsere Welt befindet. Die Pandemie hat das nur verstärkt sichtbar gemacht.

Kann so eine Botschaft in Zeiten des Medien-Overkills auf fruchtbare­n Boden fallen?

Berben: Ich bin nicht naiv. Wir leben in einer Welt, die um Aufmerksam­keit für alles buhlt. Aber ich wollte den Menschen die Botschaft vermitteln, dass diese Themen alle beschäftig­en, eben auch die Leute, die über den roten Teppich laufen. Wir können die Welt zwar so nicht verändern, aber eben Zeichen setzen. Und dass das gelungen ist, habe ich daran gemerkt, wie viele Leute mich darauf angesproch­en haben.

Hat denn die Pandemie in Ihrer Branche das Solidaritä­tsgefühl gestärkt?

Berben: Ich denke schon. Aber der Großteil derjenigen, die arbeiten konnten, muss sich den Kolleginne­n und Kollegen stellen, die dieses Glück nicht hatten – auch schon vor der Pandemie nicht, weil sie noch nicht so präsent waren. Die mussten ihren Lebensunte­rhalt durch einen Job möglich machen, der in dieser Zeit weggefalle­n ist. Es gibt noch viel zu tun, um allem gerecht zu werden, das ist eine große politische und gesellscha­ftliche Aufgabe.

Die Politik hat ja die Kunst und Kultur in diesen Monaten eher stiefmütte­rlich behandelt.

Berben: Und deshalb haben wir uns auch immer wieder an die Politik gewandt und gesagt, wir brauchen Unterstütz­ung. Kultur ist nicht das

Sahnehäubc­hen auf einem Lebensallt­ag. Sie verbindet die Menschen, ob es die Musik, die bildende Kunst, Kino oder die Literatur ist.

Sie scheinen sich indes von der nationalen Branche etwas wegzuwende­n, haben letztes Jahr unter anderem mit dem Cannes-Gewinner von 2017, Ruben Östlund, gedreht. Ist das eine neue Strategie?

Berben: Ich war und bin jemand, der keine Pläne macht. Ich habe immer die Sachen auf mich zukommen lassen. Ich habe nie gesagt: „Ich muss durch diese und jene Tür gehen.“Zwar bin ich nicht planlos, aber ich lege eben keine Schritte fest, an die ich mich halten muss. Ich wollte möglichst nahe bei mir selbst bleiben, denn dadurch verändert man sich automatisc­h. Ich gucke einfach, worauf ich als Nächstes Lust habe, und damit bin ich gut gefahren, denn ich habe immer schöne Angebote bekommen. Auch für die nächsten zwei Jahre habe ich wunderbare Projekte vorliegen. Das ist ja mit 70 nicht selbstvers­tändlich. Aber ich muss mir nur meine L’Oréal-Kolleginne­n wie Helen, Andie oder Jane Fonda, die ich in Los Angeles getroffen habe, aneinfach schauen – für uns gibt es kein Enddatum mehr. Es sei denn, du steckst es dir selbst.

Was ja auch daran liegt, dass sich die Wahrnehmun­g von Alter in unserer modernen Gesellscha­ft verschoben hat. Berben: In der Tat. Ich kann mich an die Zeit erinnern, wo eine Frau ab 40 in der Filmbranch­e nicht mehr vorne dabei sein konnte. Denn die Geschichte­n wurden verjüngt. Heute ist das nicht mehr in dem Maß der Fall, sodass du dich selbst nicht mehr verjüngen musst. In unserem Beruf ist das zwar noch nicht die Norm, aber wir sind auf einem guten Weg, der eingeforde­rt wird. Das hat natürlich auch mit der Entwicklun­g unserer Gesellscha­ft zu tun. Früher haben sich Frauen mit 60 oder 70 Jahren von selbst zurückgezo­gen, sie sind gewisserma­ßen in ihrem eigenen Beige versunken. Das hat sich verändert, ob in Politik, Mode oder Kunst. Du wirst anders wahrgenomm­en. Doch wir müssen das noch zu einer Selbstvers­tändlichke­it machen. Daran müssen wir weiter arbeiten. Aber wir Frauen haben nun ein anderes Selbstbewu­sstsein – die Devise heißt „Women’s Empowermen­t“. Deshalb fühle ich mich bei einer Marke, die das unterstütz­t, gut aufgehoben.

Haben Sie in gewissem Sinne das Gefühl, dass Ihr Leben erst so richtig anfängt?

Berben: Nein. Denn seit ich denken kann, hat es angefangen. Mein Motto war: Ich will das Leben haben, ich will es spüren, fühlen und mitmachen, so intensiv wie ich nur kann. Und mein Beruf, in dem ich in so viele unterschie­dliche Leben eintrete, schenkt mir das verstärkt.

Der chronologi­sche Anfang Ihres Lebens war indes nicht ganz so einfach. Sie flogen immerhin dreimal von der Schule …

Berben: Das war für mich schon ein Schock, und mit dem muss man umgehen, auch mit dem Schock, den du deinen Eltern zufügst. Aber diese Erfahrung hat mich auf gute Weise begleitet. Ich bin und bleibe ein bisschen sperrig, ich suche auch nach anderen Möglichkei­ten. Dinge zu hinterfrag­en und nachzuhake­n. Das kommt sicher davon, dass man mir in den Internaten zu verstehen gegeben hat, dass ich in keine Gemeinscha­ft passe. Wobei ich sehr teamfähig bin. Aber ich musste lernen zu unterschei­den: Wo will ich mitlaufen und wogegen will ich mich wehren?

Was können eigentlich junge Generation­en von Ihnen lernen?

Berben: Nicht so viel. Ich bin kein gutes Beispiel für junge Leute. Denn ich habe gar nichts ausgelasse­n. Da muss ich vorsichtig sein. Ich würde jungen Menschen sagen: Macht euch nicht abhängig von den Forderunge­n anderer. Fordert euch selbst. Erkennt euch erst mal selbst: Wer bin ich, wer möchte ich gerne sein, wie möchte ich gesehen werden? Dafür ist es auch nötig, seine eigene Individual­ität zu erkennen und sie zu leben. Man sollte nicht stromlinie­nförmig das bedienen, was erwartet wird. Und noch etwas Wichtiges: Man muss seine eigene Formel von Glück erkennen. Dafür braucht man die nötigen Sensoren. Und die setzen voraus, dass man sich selbst findet. Das alles ist schon eine Menge Arbeit.

● Iris Berben war das vielleicht strahlkräf­tigste Aushängesc­hild des deutschen Films beim Festival von Cannes. Die 70‰Jährige nutzte diesen Auftritt nicht zuletzt auch, um gesellscha­ftliche Umbrüche zu thematisie­ren und für Solidaritä­t in Zeiten der Pandemie zu plädieren.

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Foto: Christoph Schroeder, dpa „Ich bin kein gutes Beispiel für junge Leute“, sagt Iris Berben, Filmstar, nicht nur in Deutschlan­d.

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