Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Alte Liebe, jetzt ganz groß: Fußball im Radio
Mutters Nachbar ließ sich samstags immer um kurz nach drei die Badewanne ein. Die Zeit der Versenkung stand an: „Heute im Stadion“. Keine Ahnung, was er dann für fast zwei Stunden im Badezimmer machte, außer Fußball hören. Aber gewiss war für bayerische Hörer, jedenfalls durch das Legenden-Duo Hans-Peter Pull und Günther Koch: Auch im bilderflutenden Digital-Zeitalter bleibt die Live-Reportage im Radio unersetzlich, ein Mix aus Sport-Journalismus und Improvisations-Dichtung.
Nun sind diese beiden Performance-Künstler inzwischen ja in Rente, dazu nun auch vertraute Stimmen wie die von Karlheinz Kas, dem Kasi, und Sabine Töpperwien verabschiedet, die all die Jahre zur dialekt- und temperamentwirbelnden Schlusskonferenz auch Dortmund und München zusammenbrachten – dem Höhepunkt von einer mal zu Recht „Kult“genannten Sendung. Und mit dem Abstieg von Werder Bremen ging auch noch der erstklassige Henry Vogt für die Show im zweitrangigen Nichts verloren. Schlimme Zeiten für die Fußball-RadioFreunde also?
Im Gegenteil! Denn parallel zur Teilnahme am Abermillionenspiel um Fernsehübertragungsrechte beschert die ARD der alten Liebe eine neue Blüte. Zusätzlich zu „Heute im Stadion“ist per App oder über livecenter.sportschau.de jedes
Spiel der beiden Bundesligen (also auch Bremen mit Vogt!) in kompletter Live-Reportage zu hören – oder die Konferenz über die ganze Spielzeit. Gleich der Beginn im Oberhaus war grandios: Burkhart Hupe aus Gladbach gegen die Bayern – szenisch immer auf BallHöhe, dazu analytisch klug (was TV-Kollegen mitunter überfordert) – und dann noch Sätze wie dieser, nach Erwägungen, was wäre, hätte, könnte, wenn…: „Aber ja, auch in dieser Saison hat der Konjunktiv wieder keine eigene Rückennummer.“Nimm das, Bela Réthy!
Okay, war jetzt billig. Denn natürlich gibt es auch im Radio nicht nur kundig und kunstvoll Reportierende – und bloß hörend ist man diesen im Gegensatz zum vor allem auch sehenden Publikum restlos ausgeliefert. Das kann nerven wie beim orientierungslos salbadernden Stefan Kaussen (Dortmund – Frankfurt) oder wie beim ÜberPerformer André Siems (Augsburg – Hoffenheim). Ja, wahre Liebe ignoriert auch die Schatten nicht, alles andere wäre blinde oder hier viel mehr taube Romantik. Ausgerechnet die Digitalzeit ermöglicht nun aber eine reinere Beziehung. Denn für all die Kanäle waren nun ja gleich drei Live-Reporter im FCA-Stadion. Stimmen zur Auswahl also. Aber am schönsten: Weil noch wichtiger, als die zurückgekehrten Fans in den Arenen zu sehen, ja ist, sie zu hören, schlägt die Wirkung im aufs Hören reduzierten Medium umso mehr durch. Vorsicht also! Denn wie soll man da je noch aus der Badewanne kommen?