Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Alte Liebe, jetzt ganz groß: Fußball im Radio

- VON WOLFGANG SCHÜTZ ws@augsburger‰allgemeine.de

Mutters Nachbar ließ sich samstags immer um kurz nach drei die Badewanne ein. Die Zeit der Versenkung stand an: „Heute im Stadion“. Keine Ahnung, was er dann für fast zwei Stunden im Badezimmer machte, außer Fußball hören. Aber gewiss war für bayerische Hörer, jedenfalls durch das Legenden-Duo Hans-Peter Pull und Günther Koch: Auch im bilderflut­enden Digital-Zeitalter bleibt die Live-Reportage im Radio unersetzli­ch, ein Mix aus Sport-Journalism­us und Improvisat­ions-Dichtung.

Nun sind diese beiden Performanc­e-Künstler inzwischen ja in Rente, dazu nun auch vertraute Stimmen wie die von Karlheinz Kas, dem Kasi, und Sabine Töpperwien verabschie­det, die all die Jahre zur dialekt- und temperamen­twirbelnde­n Schlusskon­ferenz auch Dortmund und München zusammenbr­achten – dem Höhepunkt von einer mal zu Recht „Kult“genannten Sendung. Und mit dem Abstieg von Werder Bremen ging auch noch der erstklassi­ge Henry Vogt für die Show im zweitrangi­gen Nichts verloren. Schlimme Zeiten für die Fußball-RadioFreun­de also?

Im Gegenteil! Denn parallel zur Teilnahme am Abermillio­nenspiel um Fernsehübe­rtragungsr­echte beschert die ARD der alten Liebe eine neue Blüte. Zusätzlich zu „Heute im Stadion“ist per App oder über livecenter.sportschau.de jedes

Spiel der beiden Bundeslige­n (also auch Bremen mit Vogt!) in kompletter Live-Reportage zu hören – oder die Konferenz über die ganze Spielzeit. Gleich der Beginn im Oberhaus war grandios: Burkhart Hupe aus Gladbach gegen die Bayern – szenisch immer auf BallHöhe, dazu analytisch klug (was TV-Kollegen mitunter überforder­t) – und dann noch Sätze wie dieser, nach Erwägungen, was wäre, hätte, könnte, wenn…: „Aber ja, auch in dieser Saison hat der Konjunktiv wieder keine eigene Rückennumm­er.“Nimm das, Bela Réthy!

Okay, war jetzt billig. Denn natürlich gibt es auch im Radio nicht nur kundig und kunstvoll Reportiere­nde – und bloß hörend ist man diesen im Gegensatz zum vor allem auch sehenden Publikum restlos ausgeliefe­rt. Das kann nerven wie beim orientieru­ngslos salbadernd­en Stefan Kaussen (Dortmund – Frankfurt) oder wie beim ÜberPerfor­mer André Siems (Augsburg – Hoffenheim). Ja, wahre Liebe ignoriert auch die Schatten nicht, alles andere wäre blinde oder hier viel mehr taube Romantik. Ausgerechn­et die Digitalzei­t ermöglicht nun aber eine reinere Beziehung. Denn für all die Kanäle waren nun ja gleich drei Live-Reporter im FCA-Stadion. Stimmen zur Auswahl also. Aber am schönsten: Weil noch wichtiger, als die zurückgeke­hrten Fans in den Arenen zu sehen, ja ist, sie zu hören, schlägt die Wirkung im aufs Hören reduzierte­n Medium umso mehr durch. Vorsicht also! Denn wie soll man da je noch aus der Badewanne kommen?

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Bela Réthy
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Günther Koch
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