Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Elf Ungarn sollt ihr sein

Kaum etwas ist für Viktor Orbán wichtiger als die ungarische Identität. Die lässt sich über den Fußball einfach steigern – auch an Orten, an denen nicht zwingend damit zu rechnen ist

- VON ISTVAN DEAK

Budapest „Raus, raus mit den Magyaren aus dem Land“, hört man immer wieder in den Stadien in Rumänien. Ungarns Staatschef Viktor Orbán weiß genau, dass Sport und vor allem Fußball nationalis­tische Gefühle weckt und fördert. Er nutzt das auch im Ausland und investiert Millionen in Fußballver­eine in den Nachbarlän­dern. In vielen dieser Länder gilt das als Provokatio­n.

Orbán bedient gerne die Fantasien einen großungari­schen Reiches, also eines Staates innerhalb der Grenzen des Königreich Ungarn, das vor dem Ersten Weltkrieg auch Gebiete in Rumänien, in Serbien, Kroatien, Slowenien, der Slowakei und der Ukraine umfasste. Erst erteilte er die Ungarische Staatsbürg­erschaft sämtlichen Magyaren in diesen Ländern. Der Volksstamm gilt hierzuland­e als Synonym für Ungarn, ist jedoch nur eine Ethnie, die vorwiegend in Ungarn lebt – und eben in angrenzend­en Ländern.

Doch die Erhaltung der ungarische­n Identität in den Nachbarlän­dern schien ihm viel einfacher durch Fußball zu erreichen. Laut ungarische­n Medien hat Orbáns Regierung in den letzten zehn Jahren über 2,3 Milliarden Euro in den Fußball investiert. Allein die neue PuskasAren­a in Ungarns Hauptstadt Budapest hat rund 500 Millionen Euro gekostet. Mehr als 70 Millionen Euro sind offiziell in den ausländisc­hen Fußball geflossen, um die „Vereinigun­g der Nation“voranzubri­ngen.

● Slowakei Gestartet wurde das Projekt Orbáns in der Slowakei. Etwa 75 Prozent der Einwohner der Stadt Dunajska Streda bekennen sich als Ungarn. Ein guter Anlass für die Orbán-Regierung eine top Fußballman­nschaft zu fördern. Die Mannschaft spielte jahrelang gegen den Abstieg, doch mittlerwei­le gilt sie Jahr für Jahr als Titelkandi­dat. Mit einem modernen Stadion, ein paar ungarische­n Nationalsp­ielern und Bernd Storck als Trainer ist der FC DAC in den vergangene­n Jahren zweimal Vizemeiste­r geworden. Ungarische Flaggen sind immer Teil der Choreograf­ie. Derbys gegen Slovan Bratislava enden immer mit nationalis­tischen Parolen.

● Rumänien Im Jahr 2014 spielt Sepsi Osk Sfantu-Gheorghe noch in der vierten Liga. Nie in seiner Geschichte kam der Klub, in dessen Heimatstad­t 70 Prozent der Bevölkerun­g ungarnstäm­mig sind, über die Drittklass­igkeit hinaus. Seit 2014 aber steigt das Team Jahr für

Jahr auf und steht 2020 im Pokalfinal­e. Ende der Saison 20/21 belegt es Platz vier und qualifizie­rt sich für die Conference League. Ende September soll die Mannschaft mit einem neuen Stadion belohnt werden. Drei Millionen Euro hat die OrbánRegie­rung in den Klub investiert. Geld fließt aber auch von staatliche­n Firmen, wie Banken und Raffinerie­n. Bei Auswärtssp­ielen wird die Mannschaft brutal attackiert, obwohl nur wenige ungarische Spieler im Mannschaft­skader stehen. „Raus, raus mit den Magyaren aus dem Land“, brüllen die rumänische­n Ultras. Die Schiedsric­hter hören weg, der Verband verteilt geringe Geldstrafe­n. Ungarische Investitio­nen sind auch beim Zweitligis­ten FK Csikszered­a vorhanden. Seit Jahren fließen Millionen in die Fußballaka­demie aus Miercurea Ciuc (die Bevölkerun­g besteht zu 82 Prozent aus Ungarn und Ungarinnen). Die Herren-Mannschaft spielt zum ersten Mal in der Geschichte in der Zweiten Liga. Sie wird auch fast überall mit nationalis­chen Parolen empfangen.

● Serbien 2014 ist auch ein wichtiges Jahr in der Geschichte des TSC Backa Topola aus Serbien. Das kleine Dorf, in dem über die Hälfte Ungarn sind, hat immer in der vierten Liga gespielt, doch jetzt kommt der Aufschwung. 2019 steht die Mannschaft schon in der Ersten Liga und spielt gegen Partizan oder Roter Stern Belgrad. Am Ende der Saison 2020 reicht es für Platz vier und den Einzug in die Europa League.

● Kroatien 2016 kauft Orbans bester Freund, Lorinc Meszaros, den NK Osijek, obwohl nicht einmal ein Prozent der Einwohner ungarisch ist. Er rettet den Klub vor dem Bankrott. 2021 belegt Osijek die beste Platzierun­g seiner Geschichte, Platz zwei, und spielt lange um die Meistersch­aft mit. Meszaros verspricht dem Traditions­verein an der ungarische­n Grenze ein neues Stadion und beginnt die Bauarbeite­n. Dem Klub wurden schon 2016 eine Staatshilf­e aus Ungarn von 550000 Euro pro Jahr zugewiesen.

● Slowenien 2014 wird ein neuer Fußballver­ein im ehemaligen „Ungarische­n Teil“Sloweniens gegründet. NS Mura Murska Sobota startet aus der vierten Liga. 2019 steigen sie in die Erste Liga auf, 2020 gewinnen sie den Pokal und spielen in der Europa League. 2021 bezwingen sie Traditions­vereine wie Maribor und Olimpija Ljubljana und gewinnen die Meistersch­aft. 6,1 Millionen Euro sind offiziell aus Ungarn an den Zweitligis­ten Nafta 1903 geflossen.

● Österreich 2020 versuchte Orbans Freund Lorinc Meszaros beim SV Mattersbur­g (damals Bundesliga) einzusteig­en. Er wollte den Klub nahe der ungarische­n Grenze vor dem Bankrott retten. Hat es aber nicht geschafft. Der Klub existiert mittlerwei­le nicht mehr.

● Ukraine Die ungarische Finanzieru­ng kann in diesem Fall nur schwer nachgewies­en werden, es gibt aber augenschei­nliche „Zufälle“. 2015 wird ein kleiner Fußballver­ein im „ungarische­n“Teil der Ukraine gegründet, der FC Minaj aus Uzhhorod (sieben Prozent der Einwohner sind Ungarn) steigt Jahr für Jahr auf und landet zur Saison 2020/2021 in der ersten Liga. Ohne direkte Finanzieru­ng war aber der Klassenerh­alt nicht möglich. Die Regierung in Kiew erlaubt keine ausländisc­hen Finanzieru­ngen.

Viktor Orbán kommt durch die zahlreiche­n Investitio­nen seinem Wunsch immer näher, eine Nationalma­nnschaft zu sehen, die Spieler aus allen historisch­en Regionen beinhaltet. Eine großungari­sche Mannschaft. Eine, mit der die ungarische Identität nicht nur erhalten wird – sondern gesteigert.

Istvan Deak, 36, rumä‰ nisch‰ungarische­r Jour‰ nalist, arbeitet derzeit über ein Austauschp­rogramm in unserer Redaktion.

 ?? Foto: Darko Vojinovic, dpa ?? Ungarns Staatschef Viktor Orban versucht über den Fußball seine nationalis­tischen Ideen zu verwirklic­hen und übt auch Einfluss in den Nachbarlän­dern aus.
Foto: Darko Vojinovic, dpa Ungarns Staatschef Viktor Orban versucht über den Fußball seine nationalis­tischen Ideen zu verwirklic­hen und übt auch Einfluss in den Nachbarlän­dern aus.
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