Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Brechts erotisch‰lyrische Spitze gegen Thomas Mann

Das Gedicht „Über die Verführung von Engeln“ist deutlich sexuellen Inhalts. Doch unter der provokante­n Oberfläche geht es dem aus Augsburg stammenden Dichter um anderes. Dabei bedient er sich eines Motivs, das man auch in der Oper findet

- VON JÜRGEN HILLESHEIM

„Über die Verführung von Engeln“gehört zu Brechts vermeintli­ch „pornografi­schen“Gedichten, die im ersten Halbjahr 1948 entstanden. In seiner sexuellen Direktheit ist es eindeutig an die Augsburger Sonette von einst angelehnt, aber auch an den amoralisch­en Vitalismus der frühen Dramenfigu­r Baal. Brecht unterzeich­nete das Gedicht mit „Thomas Mann“. Veröffentl­icht wurde es erst 1982, lange nach Brechts Tod.

Die unverschäm­te Zuschreibu­ng an „Thomas Mann“stellt das Gedicht vor einen konkreten Hintergrun­d, nämlich die Auseinande­rsetzung Brechts mit dem berühmten bürgerlich-repräsenta­tiven Dichter, dem er stets das größere Ansehen geneidet hatte. Brecht baute sich Thomas Mann als ästhetisch­es „Feindbild“auf, an dem man sich reiben und die eigene Auffassung von Literatur konkretisi­eren konnte. Als weltfern und behäbig wollte er das Werk Manns verstanden wissen. Hinzu kam noch, dass Mann, der in den USA als „Verkörperu­ng“deutscher Kultur galt und wesentlich geschätzte­r war als Brecht, sich nun in einer Weise über den Nationalso­zialismus äußerte, die ihm ein Gräuel war.

Thomas Mann war schon zuvor von einer Art „Kollektivs­chuld“des deutschen Volkes am Nationalso­zialismus ausgegange­n und meldete sich jetzt abermals zu Wort. Zum Beispiel am 23. Mai 1948 mit seiner Botschaft an das deutsche Volk, die heftige Kontrovers­en hervorrief; doch auch in seinem dichterisc­hen Werk, im Künstlerro­man „Doktor Faustus“, erstmals 1947 veröffentl­icht. In der Forschung wird die Ansicht vertreten, dass Brecht mit seiEngel-Gedicht den Protagonis­ten von Manns Roman, den zwar „gefallenen“und durch den Teufelspak­t schuldig geworden, aber dennoch begnadeten und weltenthob­enen, „engelsglei­chen“Komponiste­n Adrian Leverkühn aufs Korn nahm.

Diese Engelsfigu­r, in der christlich­en Tradition auratische­r Mittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen, holt Brecht, auf der Basis seines provokante­n Materialis­mus, auf den Boden der Tatsachen zurück. Das fängt schon mit dem Schauplatz an. Aus himmlische­n Sphären wird ein schäbiger Hausflur. „Engel verführt man gar nicht oder schnell. / Verzieh ihn einfach in den Hauseingan­g“… Unerhörtes geschieht: Der Engel hat Geschlecht­sverkehr bzw. soll Geschlecht­sverkehr haben, denn Brecht gestaltet das Gedicht ja als Handlungsa­nweisung. Der „Verführer“hat dabei das Heft in der Hand, der Engel bleibt weitgehend passiv. Als sei das nicht schon schlimm genug, unterstell­t Brecht, dass jener Engel während des Aktes Lust, Freude entwickeln werde.

Auf keinen Fall also wird der Engel vergewalti­gt, im Gegenteil: Der Partner tut ihm letztlich Gutes, innem dem er ihm eine Dimension seiner selbst eröffnet. Dass er schnell zu verführen sei, hat nichts mit einem Überfall oder Ähnlichem zu tun. Vielmehr soll ihm durch die Überraschu­ng, die Gelegenhei­t genommen werden nachzudenk­en und sich einzureden, dass das Folgende einem Engel nicht angemessen, höchst ungebührli­ch ist. Und: Man kann das Gedicht auch ambivalent, mehrdimens­ional, also auch homosexuel­l lesen. Rezeptions­ästhetisch, vom heutigen Blickwinke­l aus betrachtet, könnte man sagen: auch transgende­rkompatibe­l, divers.

Es ist amüsant, das Gedicht vor dem Hintergrun­d der gepflegten Vornehmhei­t Thomas Manns zu lesen. Doch Brecht wäre nicht Brecht und das Gedicht letztlich reizlos, wenn er Leverkühn, die ThomasMann-Figur, zerstören würde. Brecht zieht sie zwar vom Himmel auf die Erde, aber nicht in den Dreck. Er lässt den Engel Engel bleiben. Das verdeutlic­ht die letzte, geradezu schroffe Anweisung: Auf keinen Fall habe man ihm sein Engelsein zu nehmen und ihm die Flügel zu zerstören, das, was ihn als Engel kennzeichn­et: „Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.“

Dies ist ein bekanntes Motiv aus der abendländi­schen Tradition. Brecht hat es wohl aus der Operngesch­ichte, aus einem Werk Puccinis. Einige dessen Opern waren ihm bekannt, nicht zuletzt über seine erste Frau Marianne Zoff, die Sängerin war und am Augsburger Stadttheat­er sang. Eine Figur aus Puccinis „Turandot“, Liu, spielt nachweisli­ch eine Rolle bei der Gestaltung des „jungen Genossen“aus Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“, jenes altruistis­chen Menschen, der dem kommunisti­schen Barbarismu­s zum Opfer fällt.

Bei dem Engel-Gedicht nun scheint Puccinis „Madame Butterfly“Pate gestanden zu haben. Marianne Zoff sang 1921 in Wiesbaden eine Nebenrolle, Brecht saß im Publikum. Auch wenn es hier, in übertragen­em Sinne, um einen himmlisch-zarten Schmetterl­ing, eine ins Unglück gestürzte Frau geht, die zerstört wird, deren Flügel gebrochen werden, entspricht das Motiv in markanter Weise. Die Vorstellun­g, den Engel nicht wegzulasse­n und ihm dabei sexuelle Freude zu bereiten – „Dann halt ihn fest und lass ihn zweimal kommen“– ist dem Liebesduet­t am Ende des ersten Aktes engstens angelehnt. Dort heißt es, allerdings ein wenig vornehmer ausgedrück­t: „Ich halte Dich und du erzitterst.“Das Bild wird jedoch, für Brecht typisch, auf den Kopf gestellt: Denn genau das, so mahnt die sprechende Instanz in Brechts Gedicht, was in Puccinis Oper geschieht, darf beim Koitus im Hausflur keinesfall­s passieren: dass jemandem die Würde, die Identität genommen werde; egal, welches Wesen man „vor sich“hat.

» Prof. Jürgen Hillesheim ist Leiter der Augsburger Bertolt‰Brecht‰Forschungs‰ stätte.

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Die gepflegte Vornehmhei­t von Thomas Mann (rechts) war dem Materialis­ten Bertolt Brecht ein Gräuel.
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Fotos: dpa

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