Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Angst um die Menschen in Afghanista­n

Der Augsburger Farhad Sidiqi berichtet von seiner Familie in Kabul. Viele Bürgerinne­n und Bürger setzen die Hoffnung in eine Luftbrücke. Dazu gibt es am Mittwoch in der Stadt auch eine Kundgebung

- VON MIRIAM ZISSLER

Für Farhad Sidiqi ist gerade alles „etwas heftig“, wie er sagt. Vor neun Jahren war er nach Augsburg gekommen. Er war aus Afghanista­n geflohen, weil er dort als Künstler nicht mehr leben konnte. Jetzt telefonier­t er täglich mit seinen Eltern, Geschwiste­rn und Freunden in Kabul. Sie leben in Angst, er lebt in Angst um sie. Sein Cousin und eines seiner Kinder starb am Montag. „Sie waren auf dem Weg zum Flughafen. Mein Cousin hatte für die afghanisch­e Armee und die Amerikaner gearbeitet. Er erhielt einen Anruf, dass sie zum Flughafen kommen sollten“, erzählt Sidiqi. Sie fuhren los – allerdings nach einer Ausgangssp­erre, die damals schon von den Taliban verhängt worden war – und wurden erschossen. Farhad Sidiqi macht sich gemeinsam mit vielen anderen Augsburger­n Sorgen, was nun alles passieren wird. Für Mittwoch ist eine Kundgebung geplant, die von der Grünen Jugend Augsburg, dem Bündnis für Menschenwü­rde, dem Flüchtling­srat und dem Stadtverba­nd von Bündnis 90/Die Grünen organisier­t wird.

Farhad Sidiqi kenne das radikale Regime. Er wisse, zu was die Taliban fähig seien. Sidiqi erinnert sich, wie es war, als die Taliban früher an der Macht waren. Es war eine traurige, angsterfül­lte Zeit. „Kabul war wie tot. Es gab keine Kunst, keine Musik, keine Farben, keine FreiAlle trugen schwarz“, erinnert er sich. „Momentan sind sie sehr vorsichtig und nehmen Kontakt zu den Menschen auf und wollen akzeptiert werden und zeigen, dass sie keine Terroriste­n sind“, sagt er. Doch damit könne es wieder schnell vorbei sein. „In zwei Monaten können sie von einen auf den anderen Tag den Frauen ihre Rechte nehmen“, sagt er. Aus Angst vor den

Taliban würden seine Eltern derzeit zu Hause bleiben. „Das ist schwierig. Es gibt nur wenig Lebensmitt­el. Alle Geschäfte sind geschlosse­n. Meine Mutter weint die ganze Zeit“, sagt der Künstler.

Simon Oschwald, Leiter des Migrations­referats der Diakonie Augsburg, ist erschütter­t über die derzeitige Situation. „Ich wundere mich, wie man die Lage so falsch einschäthe­it. zen konnte“, sagt er. Die Diakonie habe schon lange deutlich gemacht, dass Afghanista­n kein sicheres Land sei und Abschiebun­gen dorthin dringend gestoppt werden müssten. Er wünsche sich nun eine „offenherzi­ge Politik“, die den Afghanen in Deutschlan­d einen sicheren Aufenthalt bietet. „Man muss jetzt Schutztite­l für die Afghaninne­n und Afghanen ausspreche­n. Viele von ihnen sind nur geduldet und gehen hier dennoch einer Ausbildung nach oder arbeiten und versuchen sich zu integriere­n.“Es sei anzunehmen, dass die Situation in Afghanista­n zu einer Fluchtbewe­gung führen werde. Dafür brauche es gesicherte Fluchtwege. Es sei schwer, Migrations­ströme vorherzuse­hen, aber es sei absehbar, dass es dazu kommen werde. „Ich hoffe, dass eine Luftbrücke Ortskräfte und Mitarbeite­r von Menschenre­chtsorgani­sationen aus dem Land schaffen kann“, sagt der Migrations­experte. In der Vergangenh­eit hätten es die deutschen Richtlinie­n den geflüchtet­en Afghanen erschwert, ihre Familie nachzuhole­n. Simon Oschwald: „Jetzt geht es leider nicht mehr. Diese Vorgänge müssen entbürokra­tisiert werden.“In den vergangene­n Tagen seien nicht viele Afghanen zu der Migrations­sprechstun­de der Diakonie gekommen. Er will ihnen nun psychosozi­ale Unterstütz­ung anbieten, da jeder von ihnen Familie und Freunde vor Ort habe, um die er nun Angst habe.

Wie etwa ein Afghane, um den sich Flüchtling­shelferin Isabella Geier kümmert. Er habe hier seine Bäckergese­llenprüfun­g erfolgreic­h bestanden und mit ihrer Unterstütz­ung versucht, seine jüngere Schwester nach Augsburg nachzuhole­n. Es sei in den vergangene­n Monaten ein Wettlauf gegen die Zeit gewesen, den sie womöglich nun verloren haben. „Sie ist unverheira­tet, und er hat Angst, dass sie von den Taliban aufgegriff­en wird“, berichtet Geier.

Ein weiterer Afghane, der in Augsburg als Bäckereive­rkäufer arbeitet, habe im Juli nach Kabul reisen dürfen. Dort heiratete er seine Frau, die aber aufgrund der Papiere nicht mit ihm nach Deutschlan­d reisen konnte. In den vergangene­n Tagen hat Geier viele Anrufe, Nachrichte­n und Videos über Whatsapp erhalten. Sie hofft zunächst darauf, dass eine Luftbrücke eingericht­et wird, die so viele Afghaninne­n und Afghanen wie möglich nach Deutschlan­d holen kann.

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Foto: Ulrich Wagner Der afghanisch­e Künstler Farhad Sidiqi lebt sein neun Jahren in Augsburg. Er hat gro‰ ße Angst um seine Familie in Afghanista­n.

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