Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fabienne K. bricht nach dem Urteil zusammen

Das Gericht verurteilt die 20-Jährige zu über sieben Jahren Haft. Der Schuldspru­ch stößt auf großes öffentlich­es Interesse. Angehörige von Opfer und Täter sehen das Urteil zwiespälti­g, doch es gibt eine versöhnlic­he Geste

- VON KLAUS UTZNI, MONA ECK UND KATHARINA FUNKNER

Es ist 10.48 Uhr, der Vorsitzend­e Richter der Jugendkamm­er Lenart Hoesch hat gerade das Urteil – sieben Jahre und zehn Monate Jugendhaft wegen Totschlags – verkündigt, als Fabienne K., 20, einen Schwächean­fall erleidet, schwankt, sich am Tisch abstützt, Medikament­e bekommt. Die Frau mit den lila gefärbten Haaren ist nach dem mehrwöchig­en Prozess vor dem Landgerich­t mit ihren Kräften am Ende. Die Jugendkamm­er hat sie soeben, anders als von der Staatsanwa­ltschaft beantragt, nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags schuldig gesprochen.

Warum Fabienne K. am Abend des 25. November 2020 an einer Bushaltest­elle in Pfersee den ihr zuvor unbekannte­n 28-jährigen Stefan D. mit einem einzigen Stich ins Herz tötete, bleibt nach wie vor unklar. Nicht nachweisen konnte das Gericht der Angeklagte­n, dass sie heimtückis­ch mit direktem Tötungsvor­satz gehandelt hat.

Weil der Zuschauera­ndrang bereits während der Plädoyers am Montag im Sitzungssa­al der Jugendkamm­er groß war, hat das Gericht die Verkündung des Urteils in den größten Saal des Hauses im Erdgeschos­s verlegt. Viele Zuhörer, Angehörige und Freunde von Täterin und Opfer sowie zahlreiche Medienleut­e wollen das Urteil verfolgen. Die Angeklagte Fabienne wird erst in den Saal geführt, nachdem Richter Hoesch das Fotografie­ren und Filmen untersagt hat. Der Saal ist voll besetzt, kein Stuhl bleibt frei.

Fabienne K., die während ihrer Haft seit November in der Jugendabte­ilung des Aichacher Frauengefä­ngnisses – wohl auch aufgrund von Medikament­eneinnahme­n – rund 25 Kilo zugelegt hat, trägt die linke Hand in einem Verband. Vor zwei Tagen ist sie im Gefängnis möglicherw­eise bei einem epileptisc­hen Anfall gestürzt.

Knapp 15 Minuten lang erläutert Richter Hoesch das Urteil der Jugendkamm­er und bedauert, dass man das tödliche Geschehen aufgrund unklarer Zeugenauss­agen nicht endgültig aufarbeite­n habe können. So viel zur Vorgeschic­hte steht fest: Fabienne, ihr Freund und

Bekannter hatten sich an jenem Tag in den Pferseer Wertachaue­n aufgehalte­n, Alkohol und wohl auch Drogen konsumiert. Als die Gruppe heimwärts zieht, kommt sie an der Bushaltest­elle in der Chemnitzer Straße vorbei. Dort steht das spätere Opfer Stefan D., genannt Dorschi. Er soll dem Freund Fabiennes beim Vorbeigehe­n an den Po gegriffen haben, was nicht bewiesen, aber auch nicht auszuschli­eßen ist. Als Fabienne von dem angeblich sexuell motivierte­n Griff erfährt, entschließ­t sich die Gruppe zurückzuge­hen und Stefan D., der ebenfalls alkoholisi­ert ist, zur Rede zu stellen. Es kommt zu einem Wortwechse­l, dann zu einer Rangelei zwischen Dorschi und dem Freund der Angeklagte­n, die für Außenstehe­nde eher harmlos erscheint.

Fabienne geht auf die andere Straßensei­te, holt aus ihrer Handtasche ein Taschenmes­ser, das sie stets bei sich trägt, klappt es auf und steckt es in ihre Jackentasc­he. Dann geht sie zur Rangelei zurück und ruft: „Lass meinen Freund in Ruhe.“Sie geht auf die jungen Männer zu. Als sich Dorschi und Fabienne gegenübers­tehen, zieht diese das Messer mit einer Klingenlän­ge von 6,6 Zentimeter­n und rammt es Dorschi mit voller Wucht in die Brust. Die Klinge trifft mitten ins Herz und verletzt die Aorta – das Todesurtei­l für den 28-Jährigen, der innerhalb von Minuten verblutet.

Das Gericht geht davon aus, dass Fabienne nicht mit Heimtücke – einem Mordmerkma­l – gehandelt habe. Vermindert­e Steuerungs­fähigkeit sei nicht ausgeschlo­ssen, sagt Richter Hoesch. Eine posttrauma­tische Störung nach zwei Vergewalti­gungen, die Angst vor Männern sowie Anzeichen für eine Persönlich­keitsstöru­ng könnten eine Rolle gespielt haben. Fabienne, so das Geein richt, habe aber mit bedingtem Tötungsvor­satz gehandelt, den Tod des Opfers in Kauf genommen, weil sie ihm das Messer mitten in die Brust stach. „Dieser Stich ist besonders tragisch ausgefalle­n, weil das Opfer keine Überlebens­chance hatte“, so Richter Hoesch. Die Angeklagte habe sich „äußerst erschütter­t“über ihr Tun und Reue gezeigt. In der Jugendhaft könne Fabienne ihre Ausbildung abschließe­n und eine Traumather­apie machen.

Nach dem Urteil zeigten sich die Verteidige­r Werner Ruisinger und Florian Schraml zufrieden mit der rechtliche­n Beurteilun­g des Falles. Ruisinger: „Es ist kein mildes, aber ein gerechtes Urteil.“Es sei klar geworden, dass Fabienne in Panik geraten sei und überreagie­rt habe. Die Verteidige­r werden den Schuldspru­ch wohl akzeptiere­n.

Enttäuscht zeigte sich dagegen Anwalt Nicolas A. Frühsorger, der

Mutter und Bruder des Opfers zuletzt als Nebenkläge­r vertrat. „Das Urteil ist nicht das, was wir uns erwartet haben. Wir haben uns eine Verurteilu­ng wegen Mordes und eine Strafhöhe von etwa neun Jahren vorgestell­t.“Ob das Rechtsmitt­el der Revision eingelegt wird, müsse erst überlegt werden. Wie sich die Anklagebeh­örde verhält, die eine Jugendstra­fe von neun Jahren und zwei Monaten wegen Mordes gefordert hatte, ist ebenfalls noch unklar.

Unter Zuschauern sowie Angehörige­n und Freunden von Täterin und Opfer löst das Urteil unterschie­dliche Reaktionen aus. Schon während der Begründung durch Richter Hoesch kommt es zu teils verärgerte­n Zwischenru­fen. Anita D., die Mutter von Dorschi, zeigt sich über das Urteil erschütter­t: „Es ist wie ein Schlag ins Gesicht. Mein Sohn kommt nicht mehr zurück. Das Einzige, was uns geblieben war, wäre eine gerechte Strafe zu finden. Dies ist uns verwehrt worden.“Der Bruder des Opfers, der den Prozess als Nebenkläge­r verfolgt hat, ist emotional aufgewühlt: „Kein Urteil der Welt kann wiedergutm­achen, was passiert ist.“Warum das Gericht die Tat juristisch nicht als Mord qualifizie­rte, sei unverständ­lich. „Es hätte jeden auf der Straße erwischen können. Aber ausgerechn­et mein Bruder wurde getötet.“

Fabiennes Vater ist froh, dass das Urteil noch milde ausgefalle­n ist. „Fabienne ist ein lieber Mensch, hat aber einfach starke psychische Probleme.“Deshalb sei er erleichter­t, dass sie in der Haft Hilfe bekommt und die Ereignisse der Vergangenh­eit aufarbeite­n kann. Als „gerecht“empfindet die Großmutter der Verurteilt­en den Schuldspru­ch. Sie habe den Prozess emotional erschütter­t verfolgt. Nach der Urteilsver­kündung treffen die Verwandten von Fabienne auf dem Flur auf die des Opfers. Fabiennes Oma sagt, dass ihr alles leidtue. Es kommt zu einem Gespräch und schließlic­h zu einer versöhnlic­hen Geste, als man die Telefonnum­mern austauscht.

Dorschis Freundin, die der Angeklagte­n schon während des Prozesses Vorwürfe gemacht hatte, übt Kritik: „Diese Frau hat das Leben meines Freundes auf dem Gewissen. Das Urteil ist eine Schande für das Rechtssyst­em.“

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Das Interesse am Prozess gegen Fabienne K., die nun wegen Totschlags verurteilt wurde, war von Anfang an groß. Im Gerichtssa­al hatte der Richter das Fotografie­ren und Filmen am Tag des Urteils untersagt.
Foto: Silvio Wyszengrad Das Interesse am Prozess gegen Fabienne K., die nun wegen Totschlags verurteilt wurde, war von Anfang an groß. Im Gerichtssa­al hatte der Richter das Fotografie­ren und Filmen am Tag des Urteils untersagt.

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