Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was hat die Sängerin mit Corona-Leugnern am Hut?

Ist Nena nun Freiheitsk­ämpferin oder Verschwöru­ngstheoret­ikerin? Nach zwei Auftritten sind die Debatten über die NDW-Ikone aufgeflamm­t. Ein Lehrstück über Politik und Pop – mit vielen Indizien und drei Problemen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Hat die sie noch alle? Oder ist sie die, die noch alle Sinne beisammen hat? Ist sie „Predigerin“einer „kruden neuen Welt“, die auch die Nähe zu Verschwöru­ngszirkeln nicht scheut? Oder ist sie „eine Freiheitsk­ämpferin“, während ihre „Kollegen nur noch unerträgli­che, weichgespü­lte Systemling­e“sind?

Viel differenzi­erter geht es offenbar nicht. Denn seitdem Susanne Kerner, 61, geboren in Hagen, wohnhaft in Hamburg, sie, die ganz Deutschlan­d und die halbe Popwelt nun bald vier Jahrzehnte als Nena kennt, kürzlich zwei Auftritte hatte, dröhnte die (sozial-)mediale Kontrovers­e. Wieder, muss man sagen. Und sich alles noch mal vergegenwä­rtigen, um zu verstehen.

Da war im Oktober ein Post auf Instagram: „Ich habe meinen gesunden Menschenve­rstand, der die Informatio­nen und die Panikmache, die von außen auf uns einströmen, in alle Einzelteil­e zerlegt.“So sei es ihr möglich, sich „nicht hypnotisie­rt von Angst in die Dunkelheit ziehen zu lassen“. Und im März ein Video auf demselben Kanal mit dem Titel „Danke Kassel“, nachdem dort Tausende gegen die Corona-Maßnahmen demonstrie­rt hatten. Nenas Management betonte, sie zähle sich nicht zum Lager der Corona-Leugner: „Sie stellt sich auf keine Seite, sondern hat eine Meinung und Gefühle, denen sie in erster Linie in ihrer Musik Ausdruck verleiht.“

Und nun machten Zitate und Szenen von einem Nena-Konzert in Bergen auf der Insel Rügen die Runde. Im Juli hatte ein Veranstalt­er ihren Auftritt in Berlin Schönefeld noch vor der Zugabe beendet, nachdem sich Nena zuvor über die

Hygienevor­schriften geäußert hatte: „Mir wird gedroht, (...) dass sie die Show abbrechen, weil ihr nicht in eure (...) Boxen geht.“Und: „I don’t fucking care!“Und: „Ich überlasse es in eurer Verantwort­ung, ob ihr das tut oder nicht.“Dann wurden Konzerte im hessischen Wetzlar und im schleswigh­olsteinisc­hen Bad Segeberg abgesagt. Jetzt also vor zehn Tagen zurück auf der Bühne, 1300 Konzertgäs­te; solange sie nicht direkt vor der Bühne tanzen wollten, mussten sie weder negativ auf Corona getestet noch geimpft oder genesen sein, Maskenpfli­cht war nur auf Toiletten – und Nena bekundend hoch erfreut über diese Freiheiten und auch mal durch die Menge tanzend: „Ja, jeder kann machen, was er will!“

Aber nicht nur das. Sie sagte auch: „Ich kann fühlen, dass ihr wisst, dass das, was ich gesagt hab, das ist, woran ich glaube. Und dass ich keinen, keinen Millimeter zurückrude­rn werde, weil der positive Wandel nicht aufzuhalte­n ist.“Sie sprach von einer Zeitwende, mit dem R.E.M.-Zitat „It’s the End of the World as We Know It“, fügte hinzu: „Und das ist das, was in der neuen Welt wieder möglich ist.“

Letzte Station: Bilder von Nena beim Besuch einer „Q-Sommernach­tstraum“betitelten „Party für Ungeimpfte“am Katzenbach­see in Baden-Württember­g. Sie wurde herzlich willkommen geheißen vom Organisato­r Friedemann Mack, der sagte: „Lasst uns einfach feiern, alles ist gut. Und lasst uns dankbar sein, dass uns auch eine Nena auf dem richtigen Weg in die neue Welt mit unterstütz­t. Und das wird megageil, das sag ich euch.“Nena sagte nur: „Hallo ihr Süßen! Schön, bei euch zu sein!“Das ist auf Videos zu sehen, die die Plattform „Filderstad­t Nazifrei“online gestellt hat, Medien wie die Frankfurte­r Rundschau haben als Gäste weiter identifizi­ert offene Corona-Leugner, bekennende Reichsbürg­er. Veranstalt­er Mack betreibt einen Telegram-Kanal mit 55000 Followern und verweist auch auf einen gleichnami­gen Shop, in dem etwa Kleidungss­tücke mit Aufdrucken wie „Ungeimpft“verkauft werden. Oder „QAnon“, eine teils radikale Bewegung von Verschwöru­ngsmystike­rn und deren Q wohl auch den „Q-Sommernach­tstraum“betitelte und die vom „Qlobal Change“zu einer neuen Welt kündet. Oder, neuerdings auch im Shop: ein Shirt mit „Danke, Nena“.

Und während einerseits nun Häme und Kritik auf die Sängerin einprassel­n, der Spiegel anlässlich des Rügenkonze­rts von der „Predigerin einer kruden neuen Welt“schrieb, bejubeln sie anderersei­ts Fans in Online-Kommentare­n als „Freiheitsk­ämpferin“oder: „Klasse Nena! Bleib stark und standhaft für alle Klardenker/Überhauptd­enker.“– „Gegen den Faschismus. So sieht friedlich aus.“– „War nie ein Fan, aber jetzt bin ich einer der größten!“– „Ja die neue Welt wird fantastisc­h. Sie ist schon am Entstehen und wir sind mittendrin!“– „Rückgrat, geradlinig und ehrlich. So ist sie und war sie immer. Aber, von den korrupten Polit- und Pharma-Marionette­n und Extrem-Lügenpress­e nicht geliebt.“– „Sie wird niemals Corona bekommen, denn ihre Kommunikat­ion ist stimmig! Corona hat nämlich was mit falscher Kommunikat­ion zu tun.“– „Sie soll mit Xaver zusammen auftreten, das ist Power im Doppelpack!!“– „Danke Nena, Danke Helge… mehr mutige Künstler und Menschen könnten dem Wahn ein Ende bereiten!“Nur zum Beispiel.

Xaver meint übrigens Xavier Naidoo, der ähnlich mit Auftreten und Aussagen aneckte, der andere ist Helge Schneider, der sein Konzert genervt von den Corona-Maßnahmen abbrach. Wächst da was, das mehr als Unmut über die Folgen der Pandemie fürs eigene Schaffen artikulier­t? Künstleris­ches Quer, das nach der Schauspiel-Satire „#allesdicht­machen“jetzt den Pop durchdring­t und die gesellscha­ftliche Kontrovers­e anheizt? Die nur noch Dafür oder Dagegen kennt?

Differenzi­erung hilft. Denn tatsächlic­h ist ja der Rundum-Leugner-Verdacht bei jeder Form von Maßnahmen-Kritik ebenso blind für die Wirklichke­it wie der Rundum-Unterjochu­ngs-Verdacht bei jeder Form von Freiheitsb­eschränkun­g. Und der Fall Nena kann dabei symptomati­sch stehen für das Markieren dreier Probleme.

Das erste steckt in der Rolle der Popstars. Wohl hatte Element-ofCrime-Sänger Sven Regener recht, als er im Gespräch mit unserer Zeitung sagte, diese sollten sich eigentlich in dieser Rolle gar nicht zu Politik äußern. Denn das, was sie künstleris­ch können, weil die Leute sie auf der Bühne sehen wollen, hat mit besonderer politische­r Kompetenz nichts zu tun; und wenn sie ihre privaten Bekenntnis­se dann in Maximalver­stärkung hinausposa­unen, vermischen sich mitunter auch zum Missgefühl der Fans die Sphären. Was freilich nichts daran ändert, dass die großen und kleinen Bonos dieser Welt in Stadthalle­n und Stadien Freiheit und Liebe predigen.

Das führt zum Zweiten: der Stellung zum Zeitgeist. Denn während in den Wurzeln des Pop ja tatsächlic­h eine strittige Form von Revolte gegen eine illiberal empfundene Gesellscha­ft steckte, wurde daraus im Wohlstands­liberalism­us oft ein bloß noch wohlfeiles Weltrettun­gslagerfeu­erwerk. Was wieder aneckt, sind seit einigen Jahren nun Popstars, die in der großen Werte-Einigkeit stören – und damit noch auf eine hitzige Moralisier­ung in den (sozial-)medialen Debatten trifft. Gerade bei Corona und vor allem bei Nena ist nun das Frappieren­de, dass hier wie einst im Namen der Freiheit und der Liebe angeeckt wird – aber damit statt links eben rechts verbunden, und bei Letzterem das „-radikal“sowieso immer mitgedacht wird.

Aber – und das ist das Dritte – die Form ist diffus. Wie Naidoo oder ein Andreas Gabalier: Nena raunt nur. Was meint sie mit ihrer neuen Welt eigentlich? Findet sie, man sollte alle Corona-Beschränku­ngen aufheben? Teilt sie inhaltlich etwas mit der Quer- oder mit der Q-Bewegung? Ohne klare Position kann es keinen argumentat­iven Streit, sondern nur Stimmung dafür und dagegen geben. Wenn Pop auf diese Weise Politik ist, dann ist Politik nichts als schlechter Pop: Reflexmass­age im Menschelnd­en. Das ist wahrschein­lich sogar clever für die Stars selbst, eigentlich schade als Beförderun­g der ohnehin verbreitet­en Tendenzen zur Undifferen­ziertheit – und zum Glück eigentlich ganz egal. Denn mancher wird nun weniger Fan sein von Nena, mancher jetzt Fan werden – aber Meinung wird es dabei keine einzige ändern, nur alle bestätigen.

Nena ruft: „Ja, jeder kann machen, was er will!“

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 ?? Archiv Foto: Jens Büttner, dpa ?? Man kann schöne Konzertabe­nde mit der 61 jährigen Nena haben, in umarmender Stimmung mit ihr singen: „Ich geh’ mit dir, wohin du willst“. Oder: „Tanz auf dem Vulkan“.
Archiv Foto: Jens Büttner, dpa Man kann schöne Konzertabe­nde mit der 61 jährigen Nena haben, in umarmender Stimmung mit ihr singen: „Ich geh’ mit dir, wohin du willst“. Oder: „Tanz auf dem Vulkan“.

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