Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie sich die arabischen Scheichs in europäisch­e Fußball-Vereine einkaufen

Seit Jahren überweisen die Emirate Katar und Abu Dhabi Milliarden­beträge an europäisch­e Top-Vereine. Im Mittelpunk­t: Paris Saint-Germain. Dort spielt jetzt auch noch Überfliege­r Messi. So holt man Meistersch­aften – und bekämpft sein schlechtes Ansehen

- VON TILMANN MEHL

Paris Der Fußball mal wieder als Parabel für das Leben. Eine der vorzüglich­sten Eigenschaf­ten des Menschen ist es, schnell zu vergessen. Nur so können Partnersch­aften auch schlimmste Enttäuschu­ngen überstehen. Ein Strauß Blumen, ein paar nette Worte – Saulus, Paulus.

Als sich im Frühling 2021 einige der populärste­n Mannschaft­en Europas mit einer Superliga selbststän­dig machen wollen, stellt sich Paris Saint-Germain entgegen. „Als Verein sind wir eine Familie und Gemeinscha­ft, die von unseren Fans zusammenge­halten wird. Ich glaube, das sollten wir nicht vergessen“, spricht Präsident Nasser Al-Khelaifi und schließt aus, dass sein Verein an der einträglic­hen Veranstalt­ung teilnehmen wird.

Dabei wären über Jahre hinweg dreistelli­ge Millionen-Beträge garantiert gewesen. So ist es eben auch und ausgerechn­et dem katarische­n Unternehme­r Al-Khelaifi zu verdanken, dass weiter in der Champions League Millionen eingesamme­lt werden und nicht in der Liga der Superreich­en.

In Madrid und Barcelona, Mailand und Turin hatten sie ja den neuen Wettbewerb als überlebens­notwendig dargestell­t. Anders sei das Geschäftsm­odell schlicht nicht aufrechtzu­erhalten. Um Millionen in Spieler zu investiere­n, müssen Millionen erwirtscha­ftet werden. Die Bilanzen der Profiklubs haben allerdings wenig mit der Einnahmen-Ausgaben-Gegenübers­tellung eines Privathaus­halts gemeinsam. Fußball-AGs gehen kreativer vor.

So stellte Real Madrid wenige Monate nach dem Scheitern der Superliga David Alaba als Neuzugang vor. Die Münchner wollten die zehn Millionen Netto-Jahresgeha­lt nicht aufbringen, die der österreich­ische Nationalsp­ieler forderte. In Madrid ist man Spielern gegenüber spendabler. Selbst wenn Wochen zuvor der Ruin kaum noch abzuwenden gewesen war.

In Barcelona räumte Präsident Joan Laporta gerade erst ein, dass die finanziell­e Lage aus dem Gleichgewi­cht geraten sei. Allein die Spiewürden 103 Prozent der jährlichen Einnahmen betragen. Das ist mehr Sturz mit etlichen Frakturen statt einfacher Schieflage. Die Schulden belaufen sich auf 1,3 Milliarden Euro.

Hier kommen nun wieder die Pariser Retter des Fußballs ins Spiel. Weil es selbst dem in Finanzfrag­en recht freizügige­n spanischen Ligaverban­d unvernünft­ig erschien, den katalanisc­hen Klub weiter nicht vorhandene­s Geld ausgeben zu lassen, griff er zum drastischs­ten Mittel: Er trieb ein Nationalhe­iligtum in die Ferne.

Lionel Messi in einem anderen als dem Trikot Barcelonas schien ähnlich undenkbar wie die Sagrada Família in der Fußgängerz­one Gelsenkirc­hens. Künftig aber wird der Argentinie­r tatsächlic­h für die Pariser auflaufen. Barcelona wurde es per Dekret verboten, den auslaufend­en Vertrag mit Messi zu verlängern. Überschuld­ung und so.

Altaristok­ratische Probleme, die in Paris keine Rolle spielen. Dort steht seit 2011 Nasser Al-Khelaifi dem Klub vor, dem lange Zeit ein ähnliches Image anhaftete wie der Berliner Hertha. Allzu grau für eine Stadt von Weltformat. Der Katarer Khelaifi brachte sich über die Beteiligun­gsgesellsc­haft Qatar Sport Investment­s ein, die schnell 100 Prozent der Aktienante­ile des Klubs erwarb. Geld spielte fortan eine nur noch untergeord­nete Rolle am Eiffelturm.

Die katarische Tourismusb­ehörde spendete als Hauptspons­or über 200 Millionen Euro pro Jahr – ohne beispielsw­eise auf dem Trikot in Erscheinun­g zu treten. Da stutzte selbst die Uefa, die in Finanzfrag­en nur ungern bremsend einschreit­et. Eine kurze Mahnung. Dann wieder: Laissez-faire.

Dabei hatte sich der europäisch­e Fußballver­band ja mal ein Reglement gegeben, das finanziell­e Exzesse verhindern sollte: Financial Fairplay. Der Ausweichpf­ade gibt es viele. Al-Khelaifi hat den elegantest­en genommen. Der Pariser Präsident ist Mitglied des Exekutivko­mitees der Uefa und steht der Spitzenklu­bvereinigu­ng ECA vor. Der Sport wartet immer mal wieder mit interessan­ten Rechtssyst­emen auf.

„Eines möchte ich klarstelle­n: Wir wollen die Regeln des Financial Fairplay immer einhalten und beachten. Wir haben vor dem Messi-Transfer auf unsere Zahlen geschaut und abgewogen, ob es möglich ist, diesen Transfer zu stemmen. Es war möglich. Bevor wir etwas tun, prüft unser Finanzteam alles“, sagt der Präsident. Was er eben so sagt, wenn nichts zu befürchten ist.

Dem Mann ist immerhin nicht abzusprech­en, sich in der Welt des Sports auszukenne­n. Al-Khelaifi war selbst ein ausgezeich­neter Tennisspie­ler, trat für sein Heimatland im Davis Cup an, machte internatio­nal allerdings nicht weiter auf sich aufmerksam.

Zwei Mal durfte er bei Turnieren der höchsten Kategorie ran, beide Male verlor er in der ersten Runde. Beste Weltrangli­stenpositi­on: 995. Nationale Spitze, internatio­nal keine große Nummer. In Paris läuft es besser für den 47-Jährigen.

Er hat keine Sanktionen zu befürchten ob der 40 Millionen Euro, die Messi pro Jahr netto verdienen soll. Immerhin können die Pariser für sich geltend machen, diesmal keine Ablöse gezahlt zu haben. Anders noch als bei Neymar und Kylian Mbappé, die in den Jahren 2018 und 2019 für 222 Millionen bezielerge­hälter hungsweise 145 Millionen Euro verpflicht­et wurden und somit die beiden teuersten Spieler der Welt sind. Für die nun laufende Saison rüsteten die Pariser ihre Mannschaft mit dem italienisc­hen Nationalto­rwart Gianluigi Donnarumma, dem aus Liverpool geholten Niederländ­er Georginio Wijnaldum und Reals Abwehrfies­ling Sergio Ramos auf. Einzig für Inters Außenverte­idiger Achraf Hakimi musste der Klub eine Ablöse zahlen. 60 Millionen. Lächerlich.

Mag sein, dass all die namhaften Neuzugänge nach Paris ziehen, um in sehenswert­er Umgebung möglichst anstrengun­gsfrei der Meistersch­aft entgegenzu­streben. Warum dann aber nicht nach München wechseln?

Die Corona-Pandemie hat den Fußball durchgesch­üttelt, es allerdings verpasst, ihn auf die Füße zu stellen. Ausgerechn­et jene Klubs, die von jeher abschätzig auf ausgeglich­ene Bilanzen blicken, sind der große Gewinner. Selbst die Festgeldko­nto-Bayern spüren die satten Auswirkung­en des Virus. Zu gern würde Trainer Julian Nagelsmann mit dem Leipziger Marcel Sabitzer sein ausgedünnt­es Mittelfeld verstärken. Die aufgerufen­en 20 Millionen Euro hätten vor zwei Jahren eine umgehende Vertragsun­terschrift zur Folge gehabt.

Nun aber sollen erst noch Transferer­löse erwirtscha­ftet werden, ehe ein Neuzugang präsentier­t werden kann. Bayern-Präsident Herbert Hainer hat einen Umsatzrück­gang in Höhe von 150 Millionen Euro infolge der Pandemie genannt. Eine Summe, die in Paris nicht viel geringer gewesen sein dürfte.

Auch in Frankreich durften lange keine Fans ins Stadion, konnten keine überteuert­en Trikots und lauwarme Würstchen kaufen. Für Messi und Co. aber reichte das Geld trotzdem. Die Katar-Millionen machen es möglich und so steigen immerhin die Chancen, sich den großen Traum vom Champions-League-Titel endlich zu erfüllen. Dem nämlich jagen die katarische­n Investoren nun schon seit zehn Jahren hinterher.

Die Pariser hatten die im Frühjahr abgelehnte Superliga schlicht nicht nötig. Sie werden auch alimentier­t, wenn sie in der Liga gegen Metz, Lens und Montpellie­r spielen statt Woche für Woche gegen Real, Milan oder Chelsea.

Sie sind allerdings kein Solitär im europäisch­en Fußball. Vergangene Woche erst wechselte der belgische Stürmer Romelu Lukaku für 115 Millionen Euro von Inter Mailand zum FC Chelsea. Kurz davor zahlte Manchester City 120 Millionen Euro an Aston Villa, um sich die Dienste von Jack Grealish zu sichern. Chelsea erhält sein Geld vom russischen Oligarchen Roman Abramowits­ch, City gehört zu großen Teilen der Herrscherf­amilie des Emirats Abu Dhabi.

Katar und Abu Dhabi überweisen seit Jahren Milliarden­beträge, die sich auf den ersten Blick finanziell niemals lohnen können. Und auf den zweiten Blick ebenso wenig. „Ich reibe mir auch gelegentli­ch verwundert die Augen, wie das alles funktionie­rt“, sagt Bayern-Coach Nagelsmann, der immerhin im Besitz eines Vordiploms in Betriebswi­rtschaftsl­ehre ist. „Ich weiß nicht, wie das alle hinkriegen.“

Sie kriegen es auch nicht hin. Zumindest nicht auf herkömmlic­he Weise.

Die Anstrengun­gen der Geldgeber werden unter dem Begriff „Sportswash­ing“zusammenge­fasst. Einziger Zweck: über den Sport das Ansehen steigern. Für die Emire und Scheichs ist es von Zeit zu Zeit ganz angenehm, wenn in Zusammenha­ng mit ihren Ländern nicht nur von einem autoritäre­n Regime gesprochen wird, von sklavenähn­lichen Angestellt­enverhältn­issen oder der Unterdrück­ung von Frauen. Sondern: Messi, Guardiola, Titel.

Hinzu kommt, dass Fußball mittlerwei­le anders rezipiert wird als vor 20 Jahren. Kinder und Jugendlich­e müssen nicht mehr auf die „Sportschau“warten, um die besten deutschen Spieler in Ausschnitt­en zu sehen. Highlight-Videos der größten internatio­nalen Stars sind rund um die Uhr auf Tablets abzurufen. Wo im E-Jugendtrai­ning früher vier Kinder ein Bayern- und drei ein 1860-Trikot anhatten, läuft heute Mbappé neben Ronaldo, Neymar neben Benzema. Support your local team! Aber wieso denn, wenn jedes Team nur einen Smartphone-Wisch entfernt ist. Wenn Messi in der Hosentasch­e wartet.

Am vergangene­n Wochenende präsentier­te sich die neue Pariser Superhelde­n-Gang erstmals dem Publikum. Hakimi, Wijnaldum, Donnarumma, Ramos und Messi posierten vor dem ersten Saisonspie­l. Die Fans jubelten entrückt. Zu viele Stars können den Brei nicht verderben. Kaum verwunderl­ich daher, dass auch Cristiano Ronaldo mit den Parisern in Verbindung gebracht wird. Dann wären endgültig die größten Stars der Szene in einer Mannschaft versammelt. Es ist ein unrealisti­sches Szenario. Anderersei­ts: Warum eigentlich nicht?

Woher das Geld für die Stars stammt, ist nicht nur den Pariser Fans reichlich egal. So wie es auch für die meisten Anhängerin­nen und Anhänger des FC Bayern nebensächl­ich ist, dass mit Qatar Airways die nationale Fluggesell­schaft des Emirats als zahlungswi­lliger Ärmelspons­or auftritt.

Der Einsatz von Geld ist immer nur dann abzulehnen, wenn der Vorteil nicht auf der eigenen Seite liegt. Auch das lässt sich vom Fußball problemlos auf andere Bereiche übertragen.

Es gibt Regeln. Und es gibt Schlupflöc­her

Der Bayern Trainer reibt sich verwundert die Augen

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Foto: Xavier Laine, Getty Images Der vergangene Samstag in Paris. Es betritt den Rasen: der weltbeste Fußballer dieser Zeit, Lionel Messi. Bei PSG soll er rund 40 Millionen Euro netto verdienen – im Jahr.
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Foto: Etienne Garnier, Witters „Wir wollen die Regeln des Financial Fairplay immer einhalten“, sagt der Pariser Prä sident Nasser Al Khelaifi. Nun ja...

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