Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Rente von morgen

Zur Finanzieru­ng der Rente wird derzeit ein höheres Eintrittsa­lter ins Spiel gebracht. Der Arbeitsmar­kt ist heute dafür noch längst nicht fit

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger allgemeine.de

Es ist eines der wichtigste­n politische­n Themen: Wie lange müssen wir künftig arbeiten und wer soll die Rente bezahlen? Was die Parteien dazu sagen und wie die Prognosen sind.

Müssen die Deutschen länger arbeiten? Sollen sie später in Rente gehen? Die Debatte hat an Intensität gewonnen. Bereits die Bundesbank hat zu einem späteren Renteneint­ritt geraten, zuletzt hat dies Gesamtmeta­ll-Chef Stefan Wolf eindringli­ch gefordert. Bereits heute hebt Deutschlan­d das Rentenalte­r schrittwei­se von 65 auf 67 Jahre an. Wer 1964 oder später geboren ist, kann 2031 regulär mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Dem Arbeitgebe­r-Vertreter ist das zu früh. Wolf mahnt, dass wir bald über die Rente mit 69 oder 70 reden müssten. Eine Rente mit 70 aber geht derzeit an der Realität vorbei, nicht zuletzt, weil dafür auf dem Arbeitsmar­kt die Voraussetz­ungen fehlen.

Ja, in den nächsten Jahren gehen mit den Babyboomer­n geburtssta­rke Jahrgänge in Rente, auf weniger Beitragsza­hler kommen mehr Ruheständl­erinnen und Ruheständl­er. Die Folge wären höhere Rentenbeit­räge (was Arbeitgebe­r und Regierung nicht wollen), stagnieren­de Renten (was keiner Rentnerin zu wünschen ist) oder höhere Bundeszusc­hüsse zur Rentenvers­icherung. Länger zu arbeiten, ist unter den bisherigen Voraussetz­ungen aber ein denkbar schlechter Ausweg aus dem Dilemma.

Faktisch wird heute im Durchschni­tt nicht einmal das Renteneint­rittsalter von 65 Jahren erreicht, das man ja hinter sich lassen will. Im Schnitt gingen die Deutschen im Jahr 2020 mit 64,2 Jahren in Rente. Früher kann abschlagsf­rei gehen, wer auf 45 Beitragsja­hre zurückblic­kt. Wer ohne ein derart langes Erwerbsleb­en in den Ruhestand wechselt, muss mit Abzügen rechnen. Eine Rente mit 70 läuft auf eine Rentenkürz­ung hinaus, hält man nicht bis ins höhere Alter durch. Beschäftig­te kennen dieses Risiko. Sie schützen sich mit Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung­en.

In einigen Berufen ist es schwer vorstellba­r, bis 70 zu arbeiten. Im Straßenbau, im Stahlwerk, in der Großküche. In den Krankenhäu­sern wissen Pflegerinn­en und Pfleger, wie anstrengen­d – körperlich wie seelisch – ihre Arbeit ist. Es sind gerade die Berufe, in denen Beschäftig­te fehlen. Selbst die Industrie muss Anstrengun­gen unternehme­n, um ihre Fließband-Arbeitsplä­tze für ältere Beschäftig­te ergonomisc­h zu gestalten. Parallel schreitet die Digitalisi­erung voran, Berufsbild­er ändern sich. In Startups schreiben 20- und 30-Jährige Zukunft. Wie neben ihnen 70-Jährige Platz nehmen sollen, ist schwer vorstellba­r.

Ein höheres Renteneint­rittsalter muss kein Tabu sein, schließlic­h steigt im Schnitt die Lebenserwa­rtung. Fair wäre es jedoch nur, wenn der Arbeitsmar­kt die älteren Beschäftig­ten hält und sie als Fachkräfte schätzt. Gerade in der Corona-Krise haben Unternehme­n sparen müssen und Personal abgebaut. Vorruhesta­nds- und Altersteil­zeitregelu­ngen waren hier ein Instrument in vielen Branchen, von der Autoindust­rie bis zu den Banken. Diese Strategie aber ist das Gegenteil eines späteren Renteneint­ritts. Vor der Rente mit 70 müssten erst die Bedingunge­n auf dem Arbeitsmar­kt stimmen.

Besser noch wäre es zu sehen, ob eine gute Altersvors­orge auf anderem Weg funktionie­rt. Die staatliche Rentenvers­icherung steht stabil da, wenn die Beitragsba­sis gut ist. Wirtschaft­swachstum, höhere Produktivi­tät, gute Löhne sind die Voraussetz­ung. Auch die Zahl der Beitragsza­hler könnte erhöht werden, indem man unversorgt­e Selbststän­dige ins System holt. Letztlich ist eine Reform der staatlich unterstütz­ten, privaten Vorsorge dringend nötig. Die Riester-Rente ist in der Krise und muss auf neue Beine gestellt werden.

Ich bin 43 Jahre alt. Ich hoffe, bis 70 gesund zu bleiben und arbeiten zu können. Besser wäre, man müsste es nicht.

In vielen Berufen ist es schwer, so lange zu arbeiten.

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