Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Rente von morgen
Zur Finanzierung der Rente wird derzeit ein höheres Eintrittsalter ins Spiel gebracht. Der Arbeitsmarkt ist heute dafür noch längst nicht fit
Es ist eines der wichtigsten politischen Themen: Wie lange müssen wir künftig arbeiten und wer soll die Rente bezahlen? Was die Parteien dazu sagen und wie die Prognosen sind.
Müssen die Deutschen länger arbeiten? Sollen sie später in Rente gehen? Die Debatte hat an Intensität gewonnen. Bereits die Bundesbank hat zu einem späteren Renteneintritt geraten, zuletzt hat dies Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf eindringlich gefordert. Bereits heute hebt Deutschland das Rentenalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre an. Wer 1964 oder später geboren ist, kann 2031 regulär mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Dem Arbeitgeber-Vertreter ist das zu früh. Wolf mahnt, dass wir bald über die Rente mit 69 oder 70 reden müssten. Eine Rente mit 70 aber geht derzeit an der Realität vorbei, nicht zuletzt, weil dafür auf dem Arbeitsmarkt die Voraussetzungen fehlen.
Ja, in den nächsten Jahren gehen mit den Babyboomern geburtsstarke Jahrgänge in Rente, auf weniger Beitragszahler kommen mehr Ruheständlerinnen und Ruheständler. Die Folge wären höhere Rentenbeiträge (was Arbeitgeber und Regierung nicht wollen), stagnierende Renten (was keiner Rentnerin zu wünschen ist) oder höhere Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung. Länger zu arbeiten, ist unter den bisherigen Voraussetzungen aber ein denkbar schlechter Ausweg aus dem Dilemma.
Faktisch wird heute im Durchschnitt nicht einmal das Renteneintrittsalter von 65 Jahren erreicht, das man ja hinter sich lassen will. Im Schnitt gingen die Deutschen im Jahr 2020 mit 64,2 Jahren in Rente. Früher kann abschlagsfrei gehen, wer auf 45 Beitragsjahre zurückblickt. Wer ohne ein derart langes Erwerbsleben in den Ruhestand wechselt, muss mit Abzügen rechnen. Eine Rente mit 70 läuft auf eine Rentenkürzung hinaus, hält man nicht bis ins höhere Alter durch. Beschäftigte kennen dieses Risiko. Sie schützen sich mit Berufsunfähigkeitsversicherungen.
In einigen Berufen ist es schwer vorstellbar, bis 70 zu arbeiten. Im Straßenbau, im Stahlwerk, in der Großküche. In den Krankenhäusern wissen Pflegerinnen und Pfleger, wie anstrengend – körperlich wie seelisch – ihre Arbeit ist. Es sind gerade die Berufe, in denen Beschäftigte fehlen. Selbst die Industrie muss Anstrengungen unternehmen, um ihre Fließband-Arbeitsplätze für ältere Beschäftigte ergonomisch zu gestalten. Parallel schreitet die Digitalisierung voran, Berufsbilder ändern sich. In Startups schreiben 20- und 30-Jährige Zukunft. Wie neben ihnen 70-Jährige Platz nehmen sollen, ist schwer vorstellbar.
Ein höheres Renteneintrittsalter muss kein Tabu sein, schließlich steigt im Schnitt die Lebenserwartung. Fair wäre es jedoch nur, wenn der Arbeitsmarkt die älteren Beschäftigten hält und sie als Fachkräfte schätzt. Gerade in der Corona-Krise haben Unternehmen sparen müssen und Personal abgebaut. Vorruhestands- und Altersteilzeitregelungen waren hier ein Instrument in vielen Branchen, von der Autoindustrie bis zu den Banken. Diese Strategie aber ist das Gegenteil eines späteren Renteneintritts. Vor der Rente mit 70 müssten erst die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt stimmen.
Besser noch wäre es zu sehen, ob eine gute Altersvorsorge auf anderem Weg funktioniert. Die staatliche Rentenversicherung steht stabil da, wenn die Beitragsbasis gut ist. Wirtschaftswachstum, höhere Produktivität, gute Löhne sind die Voraussetzung. Auch die Zahl der Beitragszahler könnte erhöht werden, indem man unversorgte Selbstständige ins System holt. Letztlich ist eine Reform der staatlich unterstützten, privaten Vorsorge dringend nötig. Die Riester-Rente ist in der Krise und muss auf neue Beine gestellt werden.
Ich bin 43 Jahre alt. Ich hoffe, bis 70 gesund zu bleiben und arbeiten zu können. Besser wäre, man müsste es nicht.
In vielen Berufen ist es schwer, so lange zu arbeiten.