Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das böse Wort vom „Regierungsversagen“
Die Bundesregierung will den Eindruck von Tatkraft erwecken und beschließt das Mandat für den bereits laufenden Bundeswehreinsatz. Die Opposition erhofft sich Antworten von Maas und AKK, bekommt aber keine
Berlin Das böse Wort vom „Regierungsversagen“, es wollte im politischen Berlin auch mit einigen Tagen Abstand zum Einmarsch der Taliban in die afghanische Hauptstadt Kabul nicht verklingen. Vor allem die Opposition im Bundestag erhob am Mittwoch schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen von Union und SPD. Die Regierung versuchte derweil, den Eindruck von Chaos zu widerlegen. Das Kabinett beschloss formal die gesetzliche Grundlage für den bereits angelaufenen Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Maximal 600 Bundeswehrsoldaten können daran teilnehmen, der Einsatz ist bis zum 30. September befristet, wie Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte. Der Bundestag muss noch zustimmen und wird dies voraussichtlich nächste Woche tun.
Parallel zum Geschehen im Kanzleramt kamen der Verteidigungsausschuss sowie der Auswärtige Ausschuss des Bundestages zusammen. Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Bijan Djir-Sarai, sprach angesichts der Lage und der hektischen Versuche, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie zivile Helferinnen und Helfer aus Afghanistan auszufliegen, von „vermeidbaren Fehlern“. Seine Partei fordere schon seit langer Zeit eine Exit-Strategie, erklärte der Auund betonte, die Evakuierung sei derzeit überhaupt nur möglich, weil die Taliban das zulassen würden. „Wir werden nicht gegen den Willen der neuen Machthaber in Kabul irgendetwas bewegen können.“
Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin warf der Regierung unter anderem Versagen bei der Visaerteilung vor. In der Tat konnte das Auswärtige Amt am Mittwoch zunächst nicht beziffern, wie viele Visa für die Ausreise nach Deutschland seit dem Sommer erteilt wurden. Teilweise wurde Betroffenen allerdings in der Zwischenzeit die Einreise ohne Visum gestattet und das Verfahren in Deutschland nachgeholt.
Nach dem Ende der beiden Ausschusssitzungen kritisierte die Opposition Außenminister Heiko Maas (SPD) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) scharf. Beiden wurde vorgeworfen, alle wichtigen Fragen nicht beantwortet zu haben. Während AKK den wartenden Presseleuten immerhin noch ein kurzes Statement abgab, machte sich Maas wortlos davon. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mahnte zur Zurückhaltung. „Jetzt geht es darum, dass sich alle darauf konzentrieren, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Ich bin sehr dankbar dafür, was von der Bundeswehr geleistet wird“, sagte er.
Um weitere Menschen aus Afghanistan zu holen, sollen deutsche Soldatinnen und Soldaten notfalls mit Waffengewalt einen ungehinderten Zugang zum Flugzeug gewährleisten. Einem solchen „robusten Mandat“, das in diesem Fall rund 40 Millionen Euro kosten soll, muss der Bundestag zustimmen. Wenn die Regierung Gefahr in Verzug feststellt, darf das auch nachträglich geschehen. Eine breite Zustimmung im Parlament gilt als sicher.
Das Mandat steht allerdings auf tönernen Füßen. Es basiert unter anderem auf der „fortgeltenden Zu
der Regierung der islamischen Republik Afghanistan. Diese Zustimmung sei am 15. August noch einmal bestätigt worden, erklärte ein Außenamtssprecher. Zustimmung wie Bestätigung erfolgte also durch die Regierung, die dem Ansturm der Taliban gewichen ist und sich abgesetzt hat. Ob die Taliban, die gerade eine eigene Regierung bilden, sich an diese Vereinbarung und darüber hinaus ans Völkerrecht halten, bleibt abzuwarten.
Nach schwierigem Start hat der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan Fahrt aufgeßenexperte nommen. Vom Flughafen Kabul startete am Mittwoch ein weiterer Transporter mit etwa 180 Menschen an Bord. Damit wurden vom deutschen Militär bis Mittwochabend 673 Menschen ausgeflogen. Sie stammen aus über 15 Ländern. Alle ausgeflogenen Afghanen sollen zunächst in einer Aufnahmeeinrichtung in Hamburg versorgt werden.
In Berlin drängt derweil zunehmend die Frage, ob und wie afghanische Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden. Die Landesinnenminister forderten zwar ein Bundesaufnahmeprogramm für Afstimmung“ ghanistan-Flüchtlinge, sie meinten aber nur den Kreis der Ortskräfte und anderer Helferinnen und Helfer, die relativ einfach zu identifizieren sind. Schwieriger wird es bei den tausenden anderen anonymen Flüchtlingen, die in Europa erwartet werden. Regierungssprecher Seibert forderte eine europäische Antwort. Ein EU-Sondergipfel, zu dem Ratschef Charles Michel einladen müsste, steht demnach derzeit nicht an. Der nächste reguläre Gipfel ist erst für 21./ 22. Oktober angesetzt. Dann aber könnte es für viele Hilfebedürftige schon zu spät sein.
Der Außeninister machte sich wortlos davon