Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Raus aus der Deckung
Armin Laschet führt seit vier Jahren ziemlich geräuschlos seine schwarz-gelbe Landesregierung. Es Bundeskanzler. Kann der CDU-Kanzlerkandidat NRW? Und falls ja, genügt das ohne einen Befreiungsschlag? Zu B
Am „Blessemer Eck“hängt diese bronzene Plakette, für den Ehrenpreis, verliehen 2015 vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. In Großbuchstaben steht da: „UNSER DORF HAT ZUKUNFT“. Es riecht modrig hier, schwül ist es auch. Ein paar Meter weiter, die verlehmte Radmacherstraße mit ihren verlassenen und kaputten Häusern runter, liegt Deutschlands bekannteste Abbruchkante. Dahinter klafft ein riesiger Krater.
Das Hochwasser der Erft ist an diesem Augusttag fast vier Wochen her. Die Flut, die hier so viele Existenzen mit sich fortriss, ist zurückgegangen. Der kleine Fluss fließt in seinem Bett wieder so ruhig und unschuldig Richtung Rheinmündung, als wäre nichts gewesen. Die früheren Bewohner von Erftstadt-Blessem fragen sich aber nach wie vor jeden Tag, wie es weitergehen soll.
Knapp vier Wochen ist es inzwischen auch her, dass Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident, CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat der Union hier zu Besuch war. Und lachte. Wolfgang Bär erinnert sich gut daran. Der Blessemer schiebt nach einem harten Tag seine verdreckte Schubkarre nach Hause. Zu dem, was davon übrig ist. Er will für heute endlich Feierabend machen. Bevor er weitergeht, sagt er in rheinischem Platt: „Das war nicht vorteilhaft, dieses Lachen. Dem Söder wäre das nicht passiert.“Der 55-jährige Elektriker sagt allerdings auch: „Eine Wahl würde ich an so was nicht festmachen.“
Er nicht. Andere aber vielleicht schon. Und das kann zum Problem werden, denn die Zeiten der Volksparteien mit satten Mehrheiten sind in Deutschland vorbei. Bei der Bundestagswahl in knapp sechs Wochen kommt es auf jede Stimme an. So lange hat Laschet noch Zeit, Punkte gutzumachen. Die jüngste Forsa-Umfrage sieht die Union bei nur noch 23 Prozent. Die SPD (21 Prozent) holt im RTL/ ntv-Trendbarometer gegenüber der Vorwoche weiter auf. Könnten die Deutschen ihre Kanzlerin oder ihren Kanzler direkt wählen, läge Laschet nur noch bei 12 Prozent. Hinter Annalena Baerbock (Die Grünen) und hinter Olaf Scholz (SPD). Laschet hat sich inzwischen mehrfach für sein Lachen entschuldigt. Er, der im katholischen Milieu tief verwurzelt ist, gilt eigentlich als gänzlich unverdächtig, nicht emphatisch sein zu können. Aber wenn es am 26. September nicht für eine Unionsmehrheit reichen sollte, wird dieses Lachen symbolisch für einen missglückten Wahlkampf stehen. Und Markus Söder, der mutmaßlich nicht nur morgens beim Aufstehen denkt, er sei der bessere Kanzlerkandidat, wird ihn gerne daran erinnern.
Wer in diesem Spätsommer durch Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland reist und nach Armin Laschet fragt, danach, wie er als Ministerpräsident sein Land führt, ob er NRW und damit vielleicht auch Kanzleramt kann, hört eigentlich nie, dass der gebürtige Aachener für das wichtigste Regierungsamt untauglich wäre. Er hört aber schon Zweifel, ob es so, wie es gerade läuft, fürs Kanzleramt reicht. Andererseits ist Laschet – gerade weil er wie ein ewiger Pfarrgemeinderatsvorsitzender wirkt – jemand, der schon häufig schwer unterschätzt wurde und sich am Ende doch durchsetzte. Seine NRW-Amtsvorgängerin Hannelore Kraft, der zweifache CDU-BeinaheChef Friedrich Merz, Söder, der „Kanzlerkandidat der Herzen“, und auch noch ein paar andere wissen das.
Der gelernte Jurist und vormalige Radio CharivariReporter Laschet hat in seiner äußerlichen Anmutung zunächst etwas von der Beiläufigkeit seines verklinkerten Reihenhauses, in dem er nach wie vor in Aachen-Burtscheid wohnt. Ordentlicher Vorgarten, dezente Farben. Keine Extravaganzen. Das Namensschild aber ist gut lesbar. Gerade stehen auch ein paar Mülltonnen vor der Tür. Nachbarn fragen gleich freundlich, ob man Hilfe benötige. Später dreht ein Polizeiauto seine Runde. Wenn man nicht wüsste, wer hier wohnt, an den Ministerpräsidenten und seine Familie dächte man eher nicht. Aber im Keller dieses Hauses wurden schon Wahlkampagnen geplant. Und zwar sehr früh morgens.
Burtscheid, früher eigenständig, inzwischen eingemeindet, ist Laschets Kraftzentrum. Was in seinem Fall keine Politiker-Phrase ist. Die Familie, die Freunde, die etwas erhöhte gelegene Pfarrkirche St. Michael, das „Kapellchen“, wo sich die örtliche CDU trifft, Laschets Lieblingsgrieche, die „Taverne Lakis“, wo man gut und günstig speist. Der Ministerpräsident komme nach wie vor regelmäßig her, bestätigt der Wirt Ioannis Bitzakis. Dass die Corona-Regeln von den Gästen streng eingehalten werden, darauf achtet resolut seine Frau. Überhaupt sieht man in der Burtscheider Fußgängerzone viele Menschen mit CoronaMasken, die diese wegen der noch niedrigen Inzidenzen eigentlich nicht mehr tragen müssten. Hier also, aus der Europastadt Aachen, kommt der Kapitän des von Söder so benannten „Team Öffnung“her. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass im Dreiländer-Eck, wo im Autoradio selbstverständlich belgisch und niederländisch zu hören ist, per se wenig von geschlossenen Grenzen gehalten wird. Der Alltag ist seit Jahrzehnten grenzübergreifend geregelt. So etwas prägt. Europaabgeordneter und bundesweit bekannter Integrationsminister gewesen zu sein, ebenfalls.
Tobias Blasius kennt Laschet als Beobachter seit über 15 Jahren. Der NRW-Korrespondent ist einer der Autoren seiner Biografie. Ihr Titel: „Der Machtmenschliche“. Blasius sitzt in einem Raum der Landespressekonferenz direkt am Rhein, der nach wie vor viel Wasser hat. Nebenan ist die Staatskanzlei. Von hier, aus Düsseldorf, führt Laschet seit 2017 seine schwarz-gelbe Koalition. Unter tätiger Mithilfe seines juvenilen 35-jährigen Staatskanzleichefs Nathanael Liminski. Fragt man Blasius, ob der Bundestagswahlkampf Laschets gerade ein Martin-Schulz
Momentum hat – von Aachen bis Würselen ist es ja auch nicht so weit –, antwortet der Journalist: „Wir können gerade alle Stärken und Schwächen von Laschet im Zeitraffer sehen.“Die Stärken? „Er weiß sehr gut, wie eine Partei funktioniert, wie Gremien funktionieren, er hat gute Nerven, kann Täler durchschreiten und deshalb ist er überhaupt erst CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat geworden. Weil er sich gegen Leute, die vermeintlich stärker und populärer waren, durchgesetzt hat. Er kann hart sein. Auch gegen sich selbst. Man muss das alles ja auch erst mal aushalten.“Und die Schwächen? „Dieses Konfuse im Auftritt, dieses Schludrige in den Botschaften und Bildern, was er hat. Und dass er im Grunde hin und hergerissen ist zwischen den verschiedenen Anforderungen als Kanzlerkandidat, als Ministerpräsident, zwischen der Corona-Krise, der Flut-Krise, dazu Megathemen wie Klimawandel. Er, der auch nicht als ein Top-Organisator gilt, ist zerrieben zwischen den Anforderungen. Dass er an dieser Kommunikations- und Vermittlungsschwäche nie gearbeitet hat, das ist ein echter Fehler.“Dabei sei Laschet, obwohl er als so „flatterhaft“wahrgenommen werde, eigentlich ein Mann von großer Themenkontinuität. Laschet, ist Blasius überzeugt, würde „nie“für eine gute Umfrage oder für einen Wahlsieg bestimmte Themen verraten. „Das christliche Menschenbild als Grundlage für politische Aktion – unverhandelbar. Deutschland als liberales Einwanderungsland – unverhandelbar. Eine BurkaKampagne – würde der nie machen. Und das Eintreten für die europäische Einigung – unverhandelbar. Eine Kampagne gegen die EU fahren, weil das irgendwie populär sein könnte – macht er nicht.“Laschets Verdienst sei, zu integrieren, erklärt Blasius: Die komplizierte NRW-CDU ist befriedet, er pflegt gute Beziehungen zu allen führenden
Personen des liberalen Koalitionspartners und einen herrschaftsfreien Dialog im Koalitionsausschuss. Dazu kommt ein präsidialer Stil als Ministerpräsident. Er lässt seinen Innenminister und alten Fahrensmann Herbert Reul als starke Figur in Sachen innere Sicherheit und den früheren Konkurrenten Karl-Josef Laumann als soziales Gewissen glänzen. Blasius bringt das auf die Formel: „Laschet kennt keine Highlander-Momente. Und er hat sich nie am Unglück ehemaliger Konkurrenten geweidet. Auch nicht be Norbert Röttgen. Das entspricht nicht seinem Naturell.“
Die Machtarchitektur ist das eine. Aber wie schaut es inhaltlich aus? Der frühere Aachener Stadtrat Laschet konnte im Laufe der Jahre erleben, wie die Studentenstadt sich politisch von schwarz zu grün färbte. Als Bundestagsabgeordneter gehörte er zur schwarz-grünen Pizza-Connection. Als Ministerpräsident macht er allerdings eine erkennbar schwarz-gelbe Politik.
Auch wenn man das – trotz höherer Investitionen in den Straßenbau – im ewigen Stau der NRW-Autobahnen noch nicht so richtig spürt, sagt Landespolitik-Kenner Blasius „Über eine Politik der wirtschaftlichen Entfesselung – dutzende Verwaltungshemmnisse wurden aufgehoben – hat Laschet es geschafft, dem Land dieses SchlusslichtGefühl zu nehmen. Nicht immer dem Bundestrend hinterher zu kriechen. Und nach der schlimmen Auseinandersetzung, die der Kölner Silvesternacht folgte, hat die Regierung Laschet wieder Zutrauen in den Staat geschaffen.“Man könne noch nicht von einem „riesigen LaschetEffekt“sprechen, aber von erkennbaren „Impulsen“Und Laschet mache immer weiter. Er sei ein „landespolitischer Duracel-Hase“, wahnsinnig viel unterwegs.
Rennt er also doch noch ins Kanzleramt? Karl-Rudolf Korte ist Politikwissenschaftler und Direktor der NRW
„Laschet kennt keine Highlander Momente. Er hat sich nie am Unglück ehemaliger Konkurrenten geweidet“Tobias Blasius, Laschet Biograf