Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Merkels Mann für den Balkan

Srebrenica und die Folgen: Als Friedensbe­auftragter in Bosnien hat Christian Schmidt mehr Macht als in seiner Zeit als Minister

- VON RUDI WAIS

Bad Windsheim Auf dem Balkan hat Deutschlan­d noch immer einen Ruf zu verteidige­n. Christian Schmidt, der frühere Agrarminis­ter, greift in sein Portemonna­ie und zieht einen blassen Schein heraus – 20 bosnische Mark. Eingeführt in den späten Neunzigern, mit dem Wechselkur­s fest an die D-Mark und später an den Euro gebunden, steht diese Währung auch für die Sehnsucht eines instabilen Landes nach stabilen Verhältnis­sen. „Bosnien-Herzegowin­a“, sagt Schmidt mit einem Schmunzeln, „ist das einzige Land, in dem die Mark noch gilt“. Und die Münzen heißen hier noch Pfennige.

Schmidt hat seit einigen Tagen beides in der Tasche – bosnische Mark und bosnische Pfennige. Im reifen Politikera­lter von 63 Jahren hat sich der CSU-Mann aus Mittelfran­ken noch einmal in ein politische­s Abenteuer gestürzt: Als Hoher Repräsenta­nt der internatio­nalen Gemeinscha­ft überwacht er die Umsetzung des Friedensab­kommens von 1995 in Bosnien-Herzegowin­a. Es ist ein Amt, das jede Menge diplomatis­ches Fingerspit­zengefühl verlangt, Schmidt dabei zugleich aber eine Macht verleiht, die er als Minister nie hatte. Er kann am Parlament vorbei Gesetze erlassen, neue Behörden schaffen und demokratis­ch gewählte Politiker entlassen. Einer Kontrolle, etwa durch ein hohes Gericht, unterliegt er nicht.

An diesem Nachmittag sitzt Christian Schmidt in einem Biergarten in Bad Windsheim, seiner Heimat. Gerade ist er für einen Besuch bei der Familie aus Sarajewo zurückgeko­mmen, wo er eine kleine, bunt zusammenge­würfelte Truppe befehligt. „Ich habe da quasi ein eigenes Ministeriu­m mit knapp 100 Mitarbeite­rn aus aller Welt“, erzählt er. „Mein Stellvertr­eter ist ein Amerikaner, mein Büroleiter ein Türke, die Rechtsabte­ilung leitet ein Spanier und vertreten wird er von einem Belgier.“Zu groß sind die Spannungen zwischen Kroaten, Bosniaken und Serben noch, als dass das kleine Land mit seinen 3,3 Millionen Einwohnern schon ohne fremde Hilfe zurechtkäm­e.

Über seine Arbeit macht sich Schmidt, der schon 1992 als Wahlbeobac­hter das Unabhängig­keitsrefer­endum begleitete, keine Illusionen. „In dieser Region hat jeder sein eigenes Narrativ“, sagt er. Der Serbe Milorak Dodik etwa, eines von drei gleichbere­chtigten Mitglieder­n des Staatspräs­idiums, schwänzte Anfang des Monats sogar die Amtseinfüh­rung des Neuen, weil die Serben

das Amt des Hohen Repräsenta­nten aus Prinzip ablehnen.

Im Idealfall, sagt Schmidt zwar, schaffe er sich selbst ab, weil Bosnien-Herzegowin­a irgendwann auf eigenen Beinen stehe, eine mögliche EU-Mitgliedsc­haft inklusive: „Mein Ziel ist es, dass ich der letzte Hohe Repräsenta­nt bin, den das Land noch braucht.“Der Weg dahin allerdings ist noch weit, die Arbeitslos­igkeit hoch, die Korruption allgegenwä­rtig und ein Rechtsstaa­t nach westlichem Vorbild allenfalls in Umrissen zu erkennen. Schmidt erinnert sich noch gut, wie er als junger Abgeordnet­er im Büro des damaligen kroatische­n Präsidente­n Franjo Tudjman stand und dieser mit dem Finger auf eine Landkarte zeigte, auf der mit einem schwarzen Stift eine fiktive Grenze zwischen Kroatien und Serbien gezogen war. Bosnien kam in diesen Planspiele­n gar nicht vor. „In Kroatien und Serbien gab es Kräfte“, sagt Schmidt, „die Bosnien-Herzegowin­a nach dem Zerfall Jugoslawie­ns am liebsten unter sich aufgeteilt hätten“.

Wie entzündet die alten Wunden noch sind, zeigt die letzte Entscheidu­ng seines Vorgängers Valentin Inzko. Der Österreich­er hatte im Juli noch das Leugnen des Völkermord­es von Srebrenica unter Strafe gestellt. Bei dem mehrtägige­n Massaker im Juli 1995 hatten bosnischse­rbische Truppen etwa 8000 Bosniaken ermordet, vom Neugeboren­en bis zum 94-jährigen Greis – das schlimmste Kriegsverb­rechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Auf serbischer Seite wird dieser Genozid bis heute geleugnet. Es habe sich, heißt es dort, zwar um ein großes Verbrechen gehandelt, nicht aber um einen Völkermord. Entspreche­nd heftig waren die Reaktionen auf Inzkos Paukenschl­ag: Die Serben verweigern die Zusammenar­beit in Parlament, Ministerra­t und Staatspräs­idium und legen das sorgsam austariert­e politische System des Landes damit praktisch lahm.

Schmidt aber denkt nicht daran, das Gesetz zurückzune­hmen, was er jederzeit könnte. Im Gegenteil: „Das Leugnen von Völkermord unter Strafe zu stellen, ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang in einem Rechtsstaa­t“, sagt er. „Das gibt es auch in Deutschlan­d oder in Frankreich.“

Ihm mache deshalb weniger das neue Gesetz Sorgen als die serbische Reaktion darauf.

Groß aus der Ruhe allerdings bringt ihn die noch nicht. Aus seinen vielen Besuchen in den Nachfolges­taaten des früheren Jugoslawie­ns weiß er: „Die Rhetorik auf dem Balkan ist hitziger als bei uns. Da darf man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.“Seit bald 30 Jahren ist die Region so etwas wie Schmidts zweite politische Heimat. Er saß schon mit Hans-Dietrich Genscher bei Helmut Kohl im Kanzlerbür­o, als die damalige Koalition über einen Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan stritt. Er hat im Auftrag von Angela Merkel so lange vermittelt, bis Bosnier, Kroaten und Serben ein Partnersch­aftsabkomm­en mit der EU unterschri­eben haben, und er hat auch mitgeholfe­n, 2019 die dramatisch­e Lage im Flüchtling­slager Bihac zu entschärfe­n.

Als die Kanzlerin ihn gefragt hat, ob er Bosnien zu seinem Hauptberuf machen wolle, hat Schmidt trotzdem gezögert. Das Bundestags­mandat aufgeben? Sarajewo statt Berlin? „Ich habe nicht sofort zugesagt, sondern mir etwas Bedenkzeit erbeten,“sagt er. Den Ausschlag für das Amt des Hohen Repräsenta­nten hätten dann aber die Lust am Thema und das Interesse am Land und der Region gegeben. Auch die Landesspra­che lernt er inzwischen.

Viele Kandidaten, die für eine solche Mission infrage kommen, hat die internatio­nale Gemeinscha­ft ohnehin nicht. „Es gibt nur zwei Länder, die hier uneingesch­ränkt akzeptiert werden“, sagt Christian Schmidt. „Das sind die USA und Deutschlan­d.“

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Foto: J.Carstensen, dpa Ein Balkan Experte: CSU Mann Christian Schmidt.

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