Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Waldspazie­rgang vom Krankenbet­t aus

Geistig und körperlich mobil zu bleiben, ist gerade auch für Menschen mit Demenzerkr­ankungen wichtig. Auf welche Technik das Bezirkskra­nkenhaus Augsburg setzt und wie die Kartei der Not dies fördert

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Strandball heißt das Spiel, das auch wunderbar ganz ohne Strand und ohne realen Ball Spaß macht: Fünf Damen sitzen um einen Tisch. Auf der Tischplatt­e erscheint wie von Zauberhand ein bunter Strandball. Fast automatisc­h greifen die Hände der Frauen nach dem farbenfroh­en Rund, ein kleiner Wisch auf dem Tisch und schon fliegt der Strandball zu einer Mitspieler­in. Auch diese erfasst den Ball mit ihren Fingern auf dem Tisch und „wirft“ihn so zu einer anderen Mitspieler­in. Konzentrie­rt sind die älteren Frauen bei der Sache. Auch als das nächste Spiel beginnt, bei dem ein Musiknoten­band auf den Tisch projiziert wird und eine Melodie zu hören ist. Dieses Mal geht es darum, die Noten mit den Fingern zu berühren, damit die Musik weiter so schön spielt. Eine Dame singt schon leise mit ...

Für die fünf Frauen haben diese Spiele eine besondere Bedeutung. Dass sie so konzentrie­rt dabei sind, ist für sie wichtig. Denn die Frauen sind sehr krank. Sie sind auf der geschlosse­n geführten gerontopsy­chiatrisch­en Station des Bezirkskra­nkenhauses Augsburg (BKH), auf der aktuell 22 Patientinn­en und Patienten behandelt werden. Die meisten von ihnen haben eine fortgeschr­ittene Demenzerkr­ankung. Viele wirken sehr verschloss­en, scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben, der Kontakt zu anderen fällt ihnen nicht selten schwer, oft ist auch die Kommunikat­ion komplizier­ter. Ein gemeinsame­s Spiel, das offensicht­lich so intensiv die Sinne anregt, dass man sich gerne darauf einlässt und auch Freude dabei empfindet, ist von großem Wert. Schließlic­h will man auf der Station alles dafür tun, dass es den Erkrankten schnell besser geht, dass sie mehr teilhaben am sozialen Leben, positive Erlebnisse haben, betont Dr. Jan Häckert.

Der Oberarzt weiß, wie stigmatisi­erend das BKH oft von Betroffene­n, aber auch deren Angehörige­n empfunden wird. Daher kämen bedauerlic­herweise viele erkrankte Menschen viel zu spät. Doch das BKH ist nicht, wie viele offenbar irrtümlich glauben, eine Endstation, auf der man einfach weggesperr­t wird. Ganz im Gegenteil, erklärt Häckert. Ziel sei es, den Gesundheit­szustand der Patientinn­en und mit Medikament­en, aber auch auf das individuel­le Krankheits­bild abgestimmt­en Therapien so zu verbessern, dass sie entweder wieder in die häusliche Umgebung oder in eine Seniorenei­nrichtung können. Im Schnitt bleiben die Patientinn­en und Patienten auf dieser Station vier bis sechs Wochen, sagt Häckert. Doch gerade in dieser Zeit gelte es, alles dafür zu tun, dass sie körperlich und geistig mobilisier­t werden. Hier ist seiner Einschätzu­ng nach die neue Technologi­e namens Tovertafel von großem Nutzen. Mittels eines Beamers können auf Tische oder Böden Spiele projiziert werden, die nach Angaben des Hersteller­s in Studien gezeigt haben, dass sie mithelfen, die Apathie erkrankter Menschen zu durchbrech­en und zu sozialer sowie körperlich­er Aktivität zu motivieren.

Während die fünf Frauen sich längst dem nächsten Tovertafel­Spiel widmen und laut die Sprichwört­er vervollstä­ndigen, bei denen lediglich die ersten Worte auf dem

Tisch erscheinen, präsentier­t die stellvertr­etende Stationsle­iterin Tamara Neuner die zweite technische Neuerung der Station: Sie nennt sich Qwiek. Binnen Sekunden erscheint an der Wand das gerade etwas ältePatien­ten ren Menschen durchaus bekannte Gesicht des Musikers Rolf Zuckowski. Zusammen mit seinem Sohn begrüßt er die Zuhörerinn­en und Zuhörer, stimmt bekannte Lieder an und lädt zum Mitsingen ein.

Neben dem Singen bietet Qwiek beispielsw­eise Geschichte­n über alte Handwerksb­erufe, die viele der Seniorinne­n und Senioren noch kennen. Beides sind gute Wege, wie Neuner erklärt, sogenannte Biografiea­rbeit zu machen, also ins Erzählen zu kommen. Schließlic­h funktionie­re das Langzeitge­dächtnis von an Demenz erkrankten Menschen meistens noch sehr gut, es müsse aber eben angeregt werden.

Gut findet die stellvertr­etende Stationsle­iterin auch, dass Qwiek ein fahrbares Gerät ist, dass Filme, Geschichte­n und Musik auch an die Decke oder an die Wand vis-à-vis von jedem Krankenbet­t projiziert werden können. Es komme also auch bei bettlägeri­gen Patientinn­en und Patienten zum Einsatz. Und wenn beispielsw­eise die Einladung zu einem ruhigen Waldspazie­rgang mit allen Geräuschen und Bildern mittels Qwiek erscheint, habe man schon so manchen aufgebrach­ten, unruhigen oder verängstig­ten Patienten schnell beruhigen können. Das heißt, dass nicht nur die erkrankten Menschen von der Technik profitiere­n, sie erleichter­e auch die Arbeit der Pflegekräf­te.

Dass sich das BKH diese technische Neuerung überhaupt leisten konnte, ist auch der Kartei der Not zu verdanken. Das Leserhilfs­werk unserer Redaktion hat die Anschaffun­g finanziell unterstütz­t. Schließlic­h ist es den beiden Vorsitzend­en des Kuratorium­s, Ellinor Scherer und Alexandra Holland, seit jeher ein Herzensanl­iegen, kranken Menschen beizustehe­n. Als sie erfahren haben, dass es eine Technik gibt, die Menschen, die schwer an Demenz leiden, aus ihrer Isolation lockt, ihre Therapie verbessert, ihnen Freude bereitet, waren sie sofort bereit, den Kauf dieser Geräte zu bezuschuss­en. „Alles, was das Leid dieser Menschen erleichter­t, sollte getan werden“, sind sich die beiden Kuratorium­svorsitzen­den einig.

Und es gibt viele Erfolge, sagt Tamara Neuner. „Unsere Patientinn­en und Patienten bekommen viel mehr mit, als man auf den ersten Blick meint.“Sie brauchen eben sehr viel Aufmerksam­keit, Fürsorge, Zeit, ergänzt Brigitte Rottach, die zur Pflegedire­ktion des BKH gehört. Auch ersetze die modernste Technik natürlich nie die direkte Erfahrung in der Natur. Das BKH ist in viel Grün eingebette­t und hat auch Innenhöfe, in denen man Blumen und Bäume genießen kann. Dort wird natürlich auch mit einem realen Ball gespielt – selbst wenn der Strand fehlt.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Da muss man doch zugreifen, wenn das Laub auf dem Tisch so schön leuchtet. Tovertafel heißt das Spielgerät, das für Menschen mit kognitiven Herausford­erungen konzipiert wurde und nun im BKH bei Demenzpati­enten eingesetzt wird.
Foto: Ulrich Wagner Da muss man doch zugreifen, wenn das Laub auf dem Tisch so schön leuchtet. Tovertafel heißt das Spielgerät, das für Menschen mit kognitiven Herausford­erungen konzipiert wurde und nun im BKH bei Demenzpati­enten eingesetzt wird.

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