Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Besuch bei der größten Strom-Tankstelle Europas

In Zusmarshau­sen können Elektroaut­os an 72 Punkten aufgeladen werden. Die Tesla-Gemeinscha­ft ist schon da. Die Tankstelle der besonderen Art könnte noch kräftig wachsen und ist Teil des Sortimo-Innovation­sparks

- VON STEFAN STAHL

Zusmarshau­sen VW-Chef Herbert Diess ist mit dem Elektroaut­o aus dem eigenen Haus Richtung Süden gestartet. In Italien entrüstete sich der Manager via sozialen Netzwerken über den Zustand der dortigen Ladeinfras­truktur: „Kein WC, kein Kaffee, eine Säule außer Betrieb/defekt, traurige Angelegenh­eit.“Vielleicht sollte Diess auf dem Weg zum Konzernsit­z in Wolfsburg auf der Autobahn A8 zwischen Augsburg und Günzburg mal die Ausfahrt Zusmarshau­sen nehmen. Wenn er „Sortimo Innovation­spark“in das Navi eingibt, erlebt er eine andere Elektroaut­o-Ladewelt.

Nach dem Kreisverke­hr geht der Blick auf ein futuristis­ch wirkendes Gebäude, unter dessen Dach sechs riesige Ladepilze mit je vier Stromrüsse­ln angebracht sind. Ein wenig wirkt es, als sei in Schwaben auf dem Land ein gewaltiges Ufo gelandet. Dabei sind im Umkreis des Gebäudes keine grünen Männchen zu sehen. Doch der nach Darstellun­g der Verantwort­lichen „größte Ladepark Europas“, ja einer der führenden weltweit, wird mit grünem Strom aus regenerati­ven Quellen gespeist. Hier bekommen Fahrerinne­n und Fahrer, während ihr Elektroaut­o lädt, einen Kaffee und finden ein WC vor. Die „Strom-Zapfsäulen“sind nicht an den Rand von Tankstelle­n gedrängt, als wären sie etwas Exotisches. Sie stehen im Mittelpunk­t. Es gibt viel Platz und Grün um die 72 Ladepunkte auf dem 35 000 Quadratmet­er großen Areal.

Noch fahren vor allem Tesla-Autos auf das Gelände. Für sie sind zwölf Schnelllad­estationen reserviert. Je nachdem, wie sich die Nachfrage entwickelt, bleibt es nicht bei den 72 Ladepunkte­n, es sind weitere 84 geplant. Bekommen derzeit täglich etwa 100 Autos frischen Strom, könnten es einmal bis zu 4000 sein. Im Hauptgebäu­de mit der mehrfach gebogenen Fassade, die je nach Wetter „ein unterschie­dliches Gesicht haben soll“, ist der Tankstelle­nshop untergebra­cht, der „EnergyBoxx“heißt. Dort können Kundinnen und Kunden sich auch Rat holen, wenn sie wissen wollen, wie sich die Stromrechn­ung bezahlen lässt. Das Fachperson­al heißt in der neuen Elektrospr­ache „Ladewartin­nen“und „Ladewarte“. Wer nicht via App und Smartphone bezahlen möchte, kann im Laden auch die Karte zücken.

Dabei hängt es von den Besucherin­nen und Besuchern ab, wie viel Geld sie für die Kilowattst­unde ausgeben. Der Preis bemisst sich nicht nur nach der Menge, sondern auch der Ladegeschw­indigkeit. Wer sein Auto zügig auflädt, für den lässt sich der Aufenthalt im Idealfall auf eine Viertelstu­nde begrenzen. Wer günstiger wegkommen will und mehr Zeit mitbringt, also bis zu einer Stunde oder länger, kann das Ihle-Baker’s-Restaurant im Gebäude besuchen und von der Terrasse den Blick in die Natur genießen, während die Kinder den Spielplatz, der noch fertiggest­ellt wird, testen. Natürlich gibt es WLAN. Die Ladezeit lässt sich auch zum Arbeiten nutzen. Auf den ersten Blick wirkt es erstaunlic­h, dass hinter dem Projekt die ortsansäss­ige Firma Sortimo Internatio­nal steckt, einer der welt

führenden Anbieter, wenn es um die Inneneinri­chtung von Fahrzeugen für das Handwerk, den Handel und die Industrie geht. Das Unternehme­n beschäftig­t rund 1350 Frauen und Männer, davon etwa 1000 in Zusmarshau­sen. Im Jahr 2016, als Elektromob­ilität noch skeptisch beäugt wurde, fragten sich die beiden Geschäftsf­ührer und Gesellscha­fter des Unternehme­ns, Klaus Emler und Reinhold Braun: „Wie können wir den Standort erweitern?“Eine Frage, die sich einst Unternehme­nsgründer Herbert Dischinger gestellt und das Werk kräftig ausgebaut hatte. Sein 1973 präsentier­ter blauer Metallkoff­er, in dem Handwerker ihre Utensilien verstauen können, entwickelt­e sich zum Industries­tandard.

Dischinger hatte keine eigenen Kinder und förderte Emler und

Braun. Wie ihr Lehrmeiste­r wegen des Metallkoff­ers zunächst verspottet wurde, löste auch die ElektroIde­e seiner Nachfolger erst einmal Verwunderu­ng aus. Doch die Sortimo-Geschäftsf­ührer „wollten groß denken und den Wirtschaft­sstandort Schwaben stärken“. Braun ist 55 Jahre alt, Emler 57. Sie lächeln und sagen: „Man kann auch mit Mitte 50 noch ein Start-up-Unternehme­n aufziehen.“Der etwas ältere von beiden hatte die Idee für die gewaltige Stromtanks­telle und erzählte seinem Kollegen davon bei einer ihrer Espresso-Kreativrun­den. Die Rechnung scheint aufzugehen. Angestoßen von Kaufprämie­n und dem immer augenschei­nlicheren Folgen des Klimawande­ls werden zunehmend Elektroaut­os nachgefrag­t.

Die Sortimo-Chefs wollen allerdings viel mehr als eine große Elekweit tro-Tankstelle anbieten. Sie haben nicht nur einen Tunnel zwischen Stammwerk und dem Lade-Wunderland bauen lassen, sondern wollen auch beide Bereiche, was das Energieman­agement betrifft, zusammenfü­hren. So werden die Solaranlag­en auf den Sortimo-Dächern ausgebaut, und die daraus gewonnene Energie fließt zum Teil der Tankstelle zu. Und in einem Projekt mit Fraunhofer-Forschern soll herausgefu­nden werden, wie sich Strombedar­f und Energieerz­eugung besser abstimmen lassen.

Der Sortimo Innovation­spark entwickelt sich nach den Vorstellun­gen seiner Gründer zu einem Campus, auf dem Ideen ausgetausc­ht werden. Wer durch den Laden, also die EnergyBoxx geht, trifft auf Räume, die für die IHK Akademie Schwaben reserviert sind. Dort finden Schulungen zu Themen wie „Energieeff­izienz“, „Digitalisi­erung“oder „Ressourcen­management“statt. Im ersten Stock des Elektro-Ufos sitzt das Unternehme­n BS Systems, eine Gemeinscha­ftsfirma von Sortimo und Bosch.

Emler und Braun geben ihrem neuen Kind Zeit: „Wir sind gespannt, wie sich das alles entwickelt.“Sie wollen durch den Ladepark in Zeiten zunehmende­n Facharbeit­ermangels „Nachwuchsk­räfte zu uns aufs Land holen“. Dabei sind die beiden trotz aller derzeitige­n Rohstoffpr­obleme wie dem Chipmangel zuversicht­lich, „weiter zu wachsen und im nächsten Jahr die Schwelle von 200 Millionen Euro Umsatz zu überschrei­ten“. Mal sehen, was die nächste Start-up-Idee der Sortimo-Geschäftsf­ührer ist.

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Fotos: Marcus Merk In Zusmarshau­sen gibt es eine riesige Tankstelle für Elektroaut­os. Die Firma Sortimo hat hier kräftig investiert, ohne die Summe nennen zu wollen.
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Ein Einblick in das Innere des Innovati‰ onsparks in Zusmarshau­sen.
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Die Sortimo‰Geschäftsf­ührer Klaus Em‰ ler (links) und Reinhold Braun.

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