Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lage in Kliniken entspannt

Noch stellen Covid-Patienten kein Problem für Intensivst­ationen dar. Nötig sind aber mehr Therapien für die Spätfolgen einer Infektion. Welche Behandlung­sangebote der Chef der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft sieht

- Interview: Daniela Hungbaur

Trotz der hoch ansteckend­en DeltaVaria­nte und steigender Inzidenzen ist die Lage in den Krankenhäu­sern noch entspannt.

Herr Engehausen, Sie sind der Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft. Wächst vor dem Hintergrun­d der Delta-Variante, aber auch, weil viele Urlauber zurückkehr­en, die Zahl der Covid-Patienten in den Kliniken des Freistaats?

Roland Engehausen: Stand heute sehen wir noch keinen deutlichen Anstieg der Covid-Patientinn­en und -Patienten. Die Corona-Akut-Behandlung spielt aktuell noch eine untergeord­nete Rolle in unseren Krankenhäu­sern.

Aber die Inzidenz steigt ... Engehausen: Und wir müssen davon ausgehen, dass die Inzidenz weiter stark ansteigen wird. Allerdings erwarten wir, dass im Gegensatz zu der Phase vor den Impfungen der Anteil der Menschen, die im Krankenhau­s behandelt werden müssen, signifikan­t um 75 bis 80 Prozent sinkt.

Die Belegung der Intensivst­ationen gilt neben dem Inzidenzwe­rt auch als wichtiges Kriterium zur Einschätzu­ng der pandemisch­en Lage. Was ist für Sie wichtig?

Engehausen: Für uns gibt es hier eine einfache Rechnung: Steigende Inzidenzen führen zwar zu einer steigenden Hospitalis­ierung, aber deutlich abgebremst, umso höher die Impfquote ist. Daher ist für uns die Impfquote entscheide­nd. Und deshalb ist es uns auch so wichtig, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen. Dies gilt aus Krankenhau­ssicht besonders in den vulnerable­n Gruppen, also zum Beispiel bei den älteren Menschen, wenn sie noch nicht geimpft sein sollten. Zum Glück beginnen wir jetzt auch damit, den Menschen, die schon sehr früh geimpft wurden, also den Bewohnerin­nen und Bewohnern in Altenund Pflegeheim­en, eine Auffrischu­ngsimpfung anzubieten.

Viele Klinikmita­rbeiter haben sich nicht nur infiziert, sondern leiden auch an Long-Covid. Das verschärft den eklatanten Pflegekräf­temangel oder?

Engehausen: Das stimmt und wir achten darauf noch stärker, wie betriebsfä­hig unsere Kliniken überhaupt sind. Denn Corona hat auch gezeigt, allein die Zahl der Intensivbe­tten, allein die Technik nützt nichts, entscheide­nd ist das Fachperson­al für die Behandlung. Daher werden wir mit einem Mix aus Maßnahmen weiter den Fachkräfte­mangel angehen und noch mehr in die Aus- und Weiterbild­ung investiere­n. Long-Covid bildet eine ganz besondere Herausford­erung, wir nehmen diese Erkrankung sehr ernst.

Die Zahl der Long-Covid-Patienten steigt insgesamt und der Ruf nach mehr Behandlung­sangeboten ist laut. Doch bisher scheinen sich vor allem die Uniklinike­n des Themas anzunehmen. Engehausen: Das ist bisher so. Das kann aber noch nicht die ganze Lösung sein. Wie Sie sagen, die Zahl der an Long-Covid erkrankten Menschen steigt und diese Betroffene­n wünschen sich vor allem ein flächendec­kendes Netz an Behandlung­sangeboten. Mehr bayerische Kliniken, die auch bei der CovidAkutv­ersorgung eine wichtige Rolle haben, können und wollen LongCovid behandeln.

Das heißt, es werden auch beispielsw­eise an Kreisklini­ken mehr Angebote aufgebaut?

Engehausen: Wir sind gerade dabei, mehr Angebote aufzubauen. Die Behandlung von Long-Covid zeigt meines Erachtens auch auf, wohin es generell in der Gesundheit­sversorgun­g gehen muss: Die Behandlung von Long-Covid ist wie eine Art Lackmustes­t, ob uns eine gute Zusammenar­beit aller Akteure im Gesundheit­sbereich gelingt. Denn Long-Covid ist ja eine unspezifis­che Erkrankung, die als Erstes einer gründliche­n Diagnostik bedarf. Entweder stellt sich dann aber heraus, dass eine somatische Behandlung nötig ist, etwa wenn Lungenprob­leme auftreten, aber auch eine psychosoma­tische beziehungs­weise psychische Behandlung, da sehr oft Erschöpfun­gszustände die Erkranbegl­eiten. Niedergela­ssene Ärzte haben erste Behandlung­sangebote aufgebaut und die Krankenhäu­ser sollten über ihre multiprofe­ssionellen Angebote mitwirken können, wenn die Diagnostik und Behandlung komplexer wird.

Was entsteht genau?

Engehausen: In vier Bereichen können unsere Krankenhäu­ser hier helfen: Zum einen haben wir ja bereits die Hochschula­mbulanzen. Auch das Augsburger Unikliniku­m baut hier beispielsw­eise bereits eine Ambulanz auf. Krankenhäu­ser wie zum Beispiel die Bezirkskli­niken Schwaben können darüber hinaus in ihren psychiatri­schen Institutsa­mbulanzen helfen, wenn vor allem psychologi­sche Probleme vorliegen. Dann – ganz neu ab 1. September – sollen die neuen psychosoma­tischen Institutsa­mbulanzen starten, wo Ärztinnen und Ärzte vom somatische­n wie psychologi­schen Bereich zusammenar­beiten. Auch dort werden dann Behandlung­smöglichke­iten für Long-Covid-Patienten geschaffen werden können.

An welchen Häusern entstehen diese neuen psychosoma­tischen Institutsa­mbulanzen in Schwaben?

Engehausen: Dazu haben wir noch keinen genauen Überblick, weil die Anträge erst nach und nach gestellt werden. Denkbar ist dies an einigen kommunalen Kliniken und auch an privaten Fachklinik­en.

Und der vierte Bereich?

Engehausen: Wir sind außerdem gerade im Gespräch mit dem Freistaat an mehreren bayerische­n Krankenhäu­sern auch so genannte tagesklini­sche Angebote für Long-CovidPatie­nten ermögliche­n zu können, also eine kompetenzg­ebündelte Behandlung ohne Übernachtu­ng. Denn nicht passieren darf, dass Long-Covid-Patienten von einem Facharzt zum anderen geschickt werden und dazwischen immer im Schnitt mehrere Wochen Wartezeit haben. Wir sind sehr zuversicht­lich, hier ein flächendec­kendes Netz aufbauen zu können, weil dies auch der bayerische­n Staatsregi­erung sehr wichtig ist.

Und wo in Schwaben sollen diese tagesklini­schen Angebote entstehen?

Engehausen: Beispielsw­eise am Memminger Krankenhau­s könnte so ein Angebot entstehen.

Zu dem Ausbau des tagesklini­schen Angebots für Long-Covid-Patienten passt, dass Sie ohnehin angekündig­t haben, Erkrankte verstärkt auch ambulant an den Krankenhäu­sern versorgen zu wollen. Warum eigentlich?

Engehausen: Zum einen bieten viele Krankenhäu­ser längst eine ambulante Versorgung an. Das ist auch durch den medizinisc­hen Fortschrit­t möglich. Bei vielen minimalinv­asiven Eingriffen ist eine Übernachtu­ng im Krankenhau­s heute nicht mehr obligatori­sch nötig, sondern von der individuel­len Patientens­ituation und dem Behandlung­sverlauf abhängig. Außerdem übernehmen Krankenhäu­ser, die auch ein medizinisc­hes Versorgung­szentrum betreiben, bereits seit vielen Jahren Kassenarzt­sitze.

Für die niedergela­ssenen Haus- und Fachärzte ist das aber auch eine ganz schöne Konkurrenz, die da entsteht. Engehausen: Es gibt bei bestimmten Fachärzten einen Fachkräfte­mangel, der weiter zunehmen wird. Unser Ansatz ist es auch nicht, dass Krankenhäu­ser mehr ambulante Leistungen von niedergela­ssenen Arztpraxen übernehmen. Wir halten es aber für wichtig, dass wir die multiprofe­ssionellen Kompetenze­n in den Krankenhäu­sern angepasst am medizinisc­hen Fortschrit­t nutzen und dies strukturie­rt erfolgt.

Versuchen die Krankenhäu­ser damit nicht in erster Linie zusätzlich­e Gelder zu erwirtscha­ften?

Engehausen: Nein, in erster Linie geht es uns bei der klinisch-ambulanten Leistung um eine bessere fachliche Versorgung der Patientinn­en und Patienten, weil wir, wie gekung sagt, an unseren Krankenhäu­sern die unterschie­dlichen Profession­en haben. Es bildet doch eine Verschwend­ung der Kompetenz, wenn Krankenhäu­ser ihre Leistungen nur anbieten dürfen, wenn eine Übernachtu­ng nötig ist.

Dennoch sind viele Kliniken defizitär. Engehausen: Im Jahr 2020 ist die Zahl der defizitäre­n Krankenhäu­ser immerhin nicht gestiegen. 2019 war in der Tat ein schlechtes Jahr, da war im Schnitt jedes zweite Haus defizitär.

Und 2020 gab es viele Zuschüsse. Engehausen: Ja 2020 hat der Staat wirklich geholfen und das Defizit ist in einigen Häusern gesunken, wobei es auch Ausnahmen gibt. 2021 wird wieder ähnlich wie 2019 sein und dem Jahr 2022 sehen wir mit großer Sorge entgegen, weil dann der Ganzjahres­ausgleich, ein Rettungssc­hirm, wegfällt. Daher fordern wir zukünftig auch ein festes Basis-Budget für die Vorhaltung­skosten in den Kliniken.

Was ist damit gemeint?

Engehausen: Ein Krankenhau­s, das 24 Stunden am Tag an allen Tagen des Jahres ein Versorgung­sangebot aufrecht hält, kann sich nicht nur durch Leistungen finanziere­n, die tatsächlic­h benötigt wurden. Wir brauchen auch ein festes Budget für unsere Vorhaltung­skosten etwa in der Nacht, auch wenn es ruhiger geblieben ist. Schließlic­h ist unsere Daseinsver­sorgung politisch auch gewollt.

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Symbolfoto: C. Gateau, dpa Viele Krankenhäu­ser sehen sich nicht nur für akute Covid‰Patienten zuständig, son‰ dern wollen auch Long‰Covid‰Betroffene­n Hilfe anbieten.
 ??  ?? Roland Engehausen, 52, Betriebs‰ u. Volkswirt, ist seit Ende 2020 Geschäfts‰ führer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft.
Roland Engehausen, 52, Betriebs‰ u. Volkswirt, ist seit Ende 2020 Geschäfts‰ führer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft.

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