Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Lage in Kliniken entspannt
Noch stellen Covid-Patienten kein Problem für Intensivstationen dar. Nötig sind aber mehr Therapien für die Spätfolgen einer Infektion. Welche Behandlungsangebote der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft sieht
Trotz der hoch ansteckenden DeltaVariante und steigender Inzidenzen ist die Lage in den Krankenhäusern noch entspannt.
Herr Engehausen, Sie sind der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Wächst vor dem Hintergrund der Delta-Variante, aber auch, weil viele Urlauber zurückkehren, die Zahl der Covid-Patienten in den Kliniken des Freistaats?
Roland Engehausen: Stand heute sehen wir noch keinen deutlichen Anstieg der Covid-Patientinnen und -Patienten. Die Corona-Akut-Behandlung spielt aktuell noch eine untergeordnete Rolle in unseren Krankenhäusern.
Aber die Inzidenz steigt ... Engehausen: Und wir müssen davon ausgehen, dass die Inzidenz weiter stark ansteigen wird. Allerdings erwarten wir, dass im Gegensatz zu der Phase vor den Impfungen der Anteil der Menschen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, signifikant um 75 bis 80 Prozent sinkt.
Die Belegung der Intensivstationen gilt neben dem Inzidenzwert auch als wichtiges Kriterium zur Einschätzung der pandemischen Lage. Was ist für Sie wichtig?
Engehausen: Für uns gibt es hier eine einfache Rechnung: Steigende Inzidenzen führen zwar zu einer steigenden Hospitalisierung, aber deutlich abgebremst, umso höher die Impfquote ist. Daher ist für uns die Impfquote entscheidend. Und deshalb ist es uns auch so wichtig, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen. Dies gilt aus Krankenhaussicht besonders in den vulnerablen Gruppen, also zum Beispiel bei den älteren Menschen, wenn sie noch nicht geimpft sein sollten. Zum Glück beginnen wir jetzt auch damit, den Menschen, die schon sehr früh geimpft wurden, also den Bewohnerinnen und Bewohnern in Altenund Pflegeheimen, eine Auffrischungsimpfung anzubieten.
Viele Klinikmitarbeiter haben sich nicht nur infiziert, sondern leiden auch an Long-Covid. Das verschärft den eklatanten Pflegekräftemangel oder?
Engehausen: Das stimmt und wir achten darauf noch stärker, wie betriebsfähig unsere Kliniken überhaupt sind. Denn Corona hat auch gezeigt, allein die Zahl der Intensivbetten, allein die Technik nützt nichts, entscheidend ist das Fachpersonal für die Behandlung. Daher werden wir mit einem Mix aus Maßnahmen weiter den Fachkräftemangel angehen und noch mehr in die Aus- und Weiterbildung investieren. Long-Covid bildet eine ganz besondere Herausforderung, wir nehmen diese Erkrankung sehr ernst.
Die Zahl der Long-Covid-Patienten steigt insgesamt und der Ruf nach mehr Behandlungsangeboten ist laut. Doch bisher scheinen sich vor allem die Unikliniken des Themas anzunehmen. Engehausen: Das ist bisher so. Das kann aber noch nicht die ganze Lösung sein. Wie Sie sagen, die Zahl der an Long-Covid erkrankten Menschen steigt und diese Betroffenen wünschen sich vor allem ein flächendeckendes Netz an Behandlungsangeboten. Mehr bayerische Kliniken, die auch bei der CovidAkutversorgung eine wichtige Rolle haben, können und wollen LongCovid behandeln.
Das heißt, es werden auch beispielsweise an Kreiskliniken mehr Angebote aufgebaut?
Engehausen: Wir sind gerade dabei, mehr Angebote aufzubauen. Die Behandlung von Long-Covid zeigt meines Erachtens auch auf, wohin es generell in der Gesundheitsversorgung gehen muss: Die Behandlung von Long-Covid ist wie eine Art Lackmustest, ob uns eine gute Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitsbereich gelingt. Denn Long-Covid ist ja eine unspezifische Erkrankung, die als Erstes einer gründlichen Diagnostik bedarf. Entweder stellt sich dann aber heraus, dass eine somatische Behandlung nötig ist, etwa wenn Lungenprobleme auftreten, aber auch eine psychosomatische beziehungsweise psychische Behandlung, da sehr oft Erschöpfungszustände die Erkranbegleiten. Niedergelassene Ärzte haben erste Behandlungsangebote aufgebaut und die Krankenhäuser sollten über ihre multiprofessionellen Angebote mitwirken können, wenn die Diagnostik und Behandlung komplexer wird.
Was entsteht genau?
Engehausen: In vier Bereichen können unsere Krankenhäuser hier helfen: Zum einen haben wir ja bereits die Hochschulambulanzen. Auch das Augsburger Uniklinikum baut hier beispielsweise bereits eine Ambulanz auf. Krankenhäuser wie zum Beispiel die Bezirkskliniken Schwaben können darüber hinaus in ihren psychiatrischen Institutsambulanzen helfen, wenn vor allem psychologische Probleme vorliegen. Dann – ganz neu ab 1. September – sollen die neuen psychosomatischen Institutsambulanzen starten, wo Ärztinnen und Ärzte vom somatischen wie psychologischen Bereich zusammenarbeiten. Auch dort werden dann Behandlungsmöglichkeiten für Long-Covid-Patienten geschaffen werden können.
An welchen Häusern entstehen diese neuen psychosomatischen Institutsambulanzen in Schwaben?
Engehausen: Dazu haben wir noch keinen genauen Überblick, weil die Anträge erst nach und nach gestellt werden. Denkbar ist dies an einigen kommunalen Kliniken und auch an privaten Fachkliniken.
Und der vierte Bereich?
Engehausen: Wir sind außerdem gerade im Gespräch mit dem Freistaat an mehreren bayerischen Krankenhäusern auch so genannte tagesklinische Angebote für Long-CovidPatienten ermöglichen zu können, also eine kompetenzgebündelte Behandlung ohne Übernachtung. Denn nicht passieren darf, dass Long-Covid-Patienten von einem Facharzt zum anderen geschickt werden und dazwischen immer im Schnitt mehrere Wochen Wartezeit haben. Wir sind sehr zuversichtlich, hier ein flächendeckendes Netz aufbauen zu können, weil dies auch der bayerischen Staatsregierung sehr wichtig ist.
Und wo in Schwaben sollen diese tagesklinischen Angebote entstehen?
Engehausen: Beispielsweise am Memminger Krankenhaus könnte so ein Angebot entstehen.
Zu dem Ausbau des tagesklinischen Angebots für Long-Covid-Patienten passt, dass Sie ohnehin angekündigt haben, Erkrankte verstärkt auch ambulant an den Krankenhäusern versorgen zu wollen. Warum eigentlich?
Engehausen: Zum einen bieten viele Krankenhäuser längst eine ambulante Versorgung an. Das ist auch durch den medizinischen Fortschritt möglich. Bei vielen minimalinvasiven Eingriffen ist eine Übernachtung im Krankenhaus heute nicht mehr obligatorisch nötig, sondern von der individuellen Patientensituation und dem Behandlungsverlauf abhängig. Außerdem übernehmen Krankenhäuser, die auch ein medizinisches Versorgungszentrum betreiben, bereits seit vielen Jahren Kassenarztsitze.
Für die niedergelassenen Haus- und Fachärzte ist das aber auch eine ganz schöne Konkurrenz, die da entsteht. Engehausen: Es gibt bei bestimmten Fachärzten einen Fachkräftemangel, der weiter zunehmen wird. Unser Ansatz ist es auch nicht, dass Krankenhäuser mehr ambulante Leistungen von niedergelassenen Arztpraxen übernehmen. Wir halten es aber für wichtig, dass wir die multiprofessionellen Kompetenzen in den Krankenhäusern angepasst am medizinischen Fortschritt nutzen und dies strukturiert erfolgt.
Versuchen die Krankenhäuser damit nicht in erster Linie zusätzliche Gelder zu erwirtschaften?
Engehausen: Nein, in erster Linie geht es uns bei der klinisch-ambulanten Leistung um eine bessere fachliche Versorgung der Patientinnen und Patienten, weil wir, wie gekung sagt, an unseren Krankenhäusern die unterschiedlichen Professionen haben. Es bildet doch eine Verschwendung der Kompetenz, wenn Krankenhäuser ihre Leistungen nur anbieten dürfen, wenn eine Übernachtung nötig ist.
Dennoch sind viele Kliniken defizitär. Engehausen: Im Jahr 2020 ist die Zahl der defizitären Krankenhäuser immerhin nicht gestiegen. 2019 war in der Tat ein schlechtes Jahr, da war im Schnitt jedes zweite Haus defizitär.
Und 2020 gab es viele Zuschüsse. Engehausen: Ja 2020 hat der Staat wirklich geholfen und das Defizit ist in einigen Häusern gesunken, wobei es auch Ausnahmen gibt. 2021 wird wieder ähnlich wie 2019 sein und dem Jahr 2022 sehen wir mit großer Sorge entgegen, weil dann der Ganzjahresausgleich, ein Rettungsschirm, wegfällt. Daher fordern wir zukünftig auch ein festes Basis-Budget für die Vorhaltungskosten in den Kliniken.
Was ist damit gemeint?
Engehausen: Ein Krankenhaus, das 24 Stunden am Tag an allen Tagen des Jahres ein Versorgungsangebot aufrecht hält, kann sich nicht nur durch Leistungen finanzieren, die tatsächlich benötigt wurden. Wir brauchen auch ein festes Budget für unsere Vorhaltungskosten etwa in der Nacht, auch wenn es ruhiger geblieben ist. Schließlich ist unsere Daseinsversorgung politisch auch gewollt.