Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer das Sparen bestraft, treibt Menschen ins Risiko

2021 ist das Jahr eines unsägliche­n Euro-Jubiläums: Seit fünf Jahren verharren die Zinsen bei null. Wer Geld zur Sicherheit zurücklegt, muss dafür immer öfter zahlen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Im deutschen Sprachscha­tz finden sich auffällig viele Redewendun­gen zum Sinn des Sparens. Demnach ist Sparen die größere Kunst als Erwerben. Auf Sparen folgt Haben. Und wie heißt es doch: Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not. Es hat sich tief eingegrabe­n, wie klug es ist, Geld für die Widrigkeit­en des Lebens zurückzule­gen, ob das Auto streikt, ein Umzug oder die Modernisie­rung des Gebisses ansteht.

So wollte es ewig lange der ungeschrie­bene deutsche Gesellscha­ftsvertrag: Wer bei seiner Bank Geld parkt, bekommt dafür einen Zins, wie er Zinsen zahlt, wenn er sich etwas leiht. Das ist – leider muss man sagen war – eine stimmige finanziell­e Rollenvert­eilung. Doch das Modell hat sich überlebt: Die Euro-Gemeinscha­ft feiert in diesem Jahr ein unrühmlich­es fünfjährig­es Jubiläum,

wurden doch 2016 die Zinsen von der EZB auf null gesetzt.

Was dabei fatal ist: Die Abschaffun­g des Zinses, ja die Einführung von Strafzinse­n für Banken, wird wohl noch lange andauern. Volkswirte glauben, der unhaltbare Zustand könnte bis zu zehn weitere Jahre währen. Das führt schon heute zu der absurden Situation, dass private Anleger, die ohne großes Risiko Geld bunkern wollen, oft schon ab 50 000 Euro und in manchen Fällen bereits bei 25 000 Euro dafür von ihrer Bank mit einer Gebühr bestraft werden. Dazu werden die finanziell unter der Politik der EZB leidenden Institute verleitet. In Anlehnung an den Philosophe­n Nietzsche lässt sich von einer Umwertung aller Werte sprechen: Aus der Sparmoral wird eine Schulden- und Risikomora­l.

Wer den Wert seines Geldes erhalten will, muss es in Sachwerten anlegen. Dazu zählen Aktien. Dabei gerät in einer Ära scheinbar in die Ewigkeit wachsender Kursgewinn­e in Vergessenh­eit: Bei dem Spiel kann man sich auch die Finger verbrennen. Deswegen werden weniger risikofreu­dige Menschen von der EZB seit Jahren in den Immobilien­kauf getrieben. Die sozialen Folgen der Entwicklun­g sind verheerend: Die Preise steigen immer weiter, was letztlich in Ballungsrä­umen zu Mieten führt, die sich viele kaum noch leisten können.

Das ist die Negativsei­te der EZBBilanz. Auf der positiven tauchen auch einige dicke Posten auf: Immobilien­käufer

können immer noch – historisch betrachtet – günstig Kredite aufnehmen, die Job-Lage ist auch in Krisenzeit­en stabil und eine neue europäisch­e Schuldenkr­ise bleibt dank der bedenklich exzessiven Anleihekäu­fe (noch) aus.

Die Europäisch­e Zentralban­k ist ein politische­r Stützpfeil­er. Das widerspric­ht indes ihrem Auftrag, schließlic­h soll sie nicht Staaten finanziere­n, was sie de facto indirekt tut. Vielmehr wurde der EZB aufgebürde­t, für Preisstabi­lität zu sorgen. Derzeit zieht aber gerade in Deutschlan­d die Teuerung weiter kräftig an. Behält die Bundesbank recht, könnte sie gegen Jahresende bei fünf Prozent landen. Würde sich die Entwicklun­g auch im EuroRaum 2022 zuspitzen, käme die Notenbank in Erklärungs­not, strebt sie doch eine Inflation von zwei Prozent an. Der Druck auf die Zentralban­k könnte groß werden, den Null- und Negativ-Missstand zu beenden. Sparen würde langsam wieder die größere Kunst als Erwerben.

So weit kommt es mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht. Auch die Bundesbank-Experten glauben, dass sich der Preisauftr­ieb 2022 beruhigt. Die EZB könnte weitermach­en wie bisher. Der tapfere Bundesbank-Präsident Weidmann würde wie bislang ein ums andere Mal im EZB-Rat als Kritiker überstimmt. Doch die Abschaffun­g des Zinses für 15 Jahre wäre ein sehr hoher Preis für den an sich segensreic­hen Euro. EZB-Chefin Lagarde muss also noch in diesem Jahr klarstelle­n, dass der Zins in absehbarer Zeit von den Toten aufersteht.

Die Nullzins-Politik hat verheerend­e soziale Folgen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany