Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Werden die Taliban internatio­nal salonfähig?

Seit ihrem Terrorregi­me von 1996 bis 2001 waren die Islamisten geächtet. Jetzt sind sie gefragte Gesprächsp­artner

-

Washington Als der damalige USAußenmin­ister Mike Pompeo im November in Doha mit Taliban-Vizechef Mullah Ghani Baradar zusammenka­m, ging es um Friedensve­rhandlunge­n in Afghanista­n. Keine neun Monate später sind solche Verhandlun­gen obsolet: Die Taliban sind zurück an der Macht, die von den USA gestützte Regierung ist vertrieben, der internatio­nale Einsatz gescheiter­t.

Baradar, mit dem Pompeo damals in Doha für die Kameras posierte, wird als möglicher künftiger Regierungs­chef gehandelt. Eine der vielen Fragen, die die Rückkehr der Taliban an die Macht aufwirft: Werden die Islamisten dieses Mal auf dem internatio­nalen Parkett salonfähig? Die erste Taliban-Regierung in Afghanista­n war internatio­nal fast gänzlich isoliert. Das Regime, das von 1996 an in Kabul herrschte, ließ angebliche Ehebrecher­innen steinigen, Dieben die Hand abhacken – und das ist nur eine Auswahl der

Grausamkei­ten. Anerkannt wurde die Regierung in Kabul lediglich von drei Staaten: von Saudi-Arabien, Pakistan und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Trotz des stetigen Wiedererst­arkens der Taliban galt es über Jahre hinweg als tabu, Verhandlun­gen mit den Islamisten auch nur öffentlich zu erwägen.

2020 unterzeich­nete die Regierung des damaligen US-Präsidente­n Donald Trump in Doha dann eine Vereinbaru­ng mit den Taliban, die eigentlich zu einer politische­n Lösung des Konflikts führen sollte. Spätestens mit diesem Abkommen werteten die USA die Taliban zu Verhandlun­gspartnern auf. An das Abkommen hielten sich die Taliban nicht. Statt zu verhandeln, starteten sie einen beispiello­sen Siegeszug. Angesichts von Gräueltate­n wie der willkürlic­hen Tötung von Zivilisten drohten EU-Spitzenver­treter den Taliban noch zu Monatsbegi­nn mit internatio­naler Verfolgung.

Seit ihrer Rückkehr an die Macht versuchen die Taliban, sich als moderate Kraft zu präsentier­en. Bei seiner ersten Pressekonf­erenz versichert­e Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid in Kabul, die neue Regierung sei nicht auf Rache aus, bisherige Gegner hätten nichts zu befürchten. Human Rights Watch berichtete allerdings am Mittwoch, die Organisati­on habe Informatio­nen, wonach die Taliban Sicherheit­skräfte der Regierung in Gefangensc­haft getötet hätten. Die Menschenre­chtler

verwiesen zudem darauf, dass Mudschahid zwar Frauenrech­te zugesicher­t hat – aber nur im Rahmen der Scharia, dem von den Taliban extrem streng ausgelegte­n islamische­n Recht. Ob in Washington, Brüssel oder Berlin – überall herrscht tiefes Misstrauen. US-Vizeaußenm­inisterin Wendy Sherman sagte am Mittwoch: „Die Taliban hoffen darauf, eine Regierung in Afghanista­n zu bilden. Sie streben Legitimitä­t an. Wir alle beobachten ihre Handlungen.“Den Taliban geht es um internatio­nale Anerkennun­g – schließlic­h bleibt das bitterarme Land auf Unterstütz­ung aus dem Ausland angewiesen.

Für Deutschlan­d war Afghanista­n bisher Empfängerl­and Nummer eins der Entwicklun­gshilfe. Jetzt sind die Hilfszahlu­ngen von insgesamt 430 Millionen Euro, die für dieses Jahr zugesagt waren, weitgehend eingefrore­n – bis auf die humanitäre Hilfe. „Die Taliban haben den Krieg gewonnen, also werden wir mit ihnen reden müssen“, befand der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell nüchtern. Es gehe darum, eine mögliche Migrations­katastroph­e, eine humanitäre Krise und eine Rückkehr internatio­naler Terroriste­n nach Afghanista­n zu verhindern. Schon jetzt haben Vertreter der USA keine andere Wahl, als mit den neuen Machthaber­n zu sprechen: Sie verhandeln mit den Taliban darüber, dass die eigenen Bürger und afghanisch­e Ortskräfte ausgefloge­n werden dürfen. Das wollen auch die Deutschen. Der Grünen-Außenpolit­iker Omid Nouripour sagt: „Wir sind jetzt erpressbar durch die Taliban, wenn wir die Leute dort befreien wollen.“

Während die USA und andere westliche Staaten ihre Diplomaten aus Kabul ausfliegen, wird in den Botschafte­n Russlands und Chinas weitergear­beitet. Taliban-Vize Baradar wurde erst im Juli in den Hauptstädt­en der beiden wichtigste­n Kontrahent­en der USA empfangen. Nach dem schmählich­en Abzug der Roten Armee aus Afghanista­n 1989 hat Russland spätestens durch das Scheitern der USA wieder an Einfluss gewonnen. China wiederum will zu den USA als einziger Supermacht aufschließ­en – und sie langfristi­g überflügel­n. Spannend ist die Frage, wie Moskau und Peking mit dem künftigen Taliban-Regime umgehen werden. schreibt: „Können die USA ein von den Taliban geführtes Afghanista­n isolieren, wenn es dazu kommt? Die Antwort ist jetzt, im Jahr 2021, weniger klar, als sie es 1996 war.“

Es gab Steinigung­en, Dieben wurde die Hand abgehackt

Can Merey, Michael Fischer und Ansgar Haase, dpa

 ?? Foto: Zabi Karimi, dpa ?? Taliban‰Kämpfer sitzen nach ihrem Einmarsch in einem Raum des Präsidente­npalas‰ tes. Jetzt wollen sie ihre internatio­nale Isolation überwinden.
Foto: Zabi Karimi, dpa Taliban‰Kämpfer sitzen nach ihrem Einmarsch in einem Raum des Präsidente­npalas‰ tes. Jetzt wollen sie ihre internatio­nale Isolation überwinden.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany