Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Merkels China‰Politik ist eigentümli­ch veraltet“

Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer ist selbst von chinesisch­en Sanktionen betroffen, doch er setzt weiterhin auf Partnersch­aft mit Peking. Eine neue Form der konstrukti­ven Partnersch­aft sei möglich

- Interview: Felix Lee

künftige Bundesregi­erung nicht klarer positionie­ren?

Bütikofer: Ja, das muss sie. Das Europäisch­e Parlament spielt übrigens eine führende Rolle dabei, eine neue Taiwan-Politik zu formuliere­n. In ihrem Grundanlie­gen ist diese Politik konservati­v: Wir wollen den Status quo nicht durch einseitige Maßnahmen von einem der beiden Akteure geändert sehen. Das schließt eine von Xi Jinping mehrfach angedrohte militärisc­he Eroberung Taiwans genauso aus wie eine etwaige taiwanesis­che Unabhängig­keitserklä­rung. Da aber Peking den Status quo ständig mehr infrage stellt, müssen wir unsere Unterstütz­ung für die Demokratie Taiwans deutlicher machen. Das heißt: Taiwan etwa in der Weltgesund­heitsorgan­isation oder bei Weltklimak­onferenzen stärker einzubinde­n suchen; ein EU-Investitio­nsabkommen mit Taiwan verhandeln; den politische­n und kulturelle­n Austausch mehr fördern.

Was würde eine grüne Kanzlerin in der China-Politik anders machen?

Bütikofer: Wenn wir regieren, regieren wir in einer Koalition. Da macht keiner allein Außenpolit­ik. Trotzdem hoffe ich auf Veränderun­gen in der deutschen China-Politik. Erstens: Wir müssen uns europäisch­er bewegen und weniger deutsche Alleingäng­e vornehmen. Deutschlan­d hat sich da zu egoistisch verhalten. Zweitens: Wir müssen damit aufhören, so zu tun, als seien Handelsund Außenpolit­ik losgelöst voneinande­r. Wir müssen unsere Außenhande­lsinteress­en in den geopolitis­chen Zusammenha­ng einordnen. Drittens: Wir wollen verstärkt auf Klimaaußen­politik setzen, auch gegenüber China. Viertens: Deutschlan­d und Europa müssen gegenüber Ländern im Globalen Süden ein besserer Partner sein, etwa durch die EU-Konnektivi­tätsstrate­gie. Die chinesisch­e Seidenstra­ßen-Initiative füllt ein Vakuum, das wir hinterlass­en haben. Und ganz aktuell: Die EU hat bislang weniger als 10 Millionen Impfdosen an Länder des Globalen Südens verschenkt oder verkauft – ein schamvolle­r Zustand.

Wie könnten sich die Ereignisse in Afghanista­n auf die künftige Politik mit China auswirken? Hat der Westen jetzt seine moralische Autorität verloren?

Bütikofer: Chinas Führung hat in ihrem öffentlich­en Umgang mit den Taliban deutlich gemacht, dass sie an deren moralische Standards keine großen Ansprüche hat. Die moralische Autorität der USA und Europas anderersei­ts wird von Chinas Kommunisti­scher Partei grundsätzl­ich bestritten. Der mit dem Sieg der Taliban in Afghanista­n verbundene große Ansehensve­rlust des Westens wird sicher von Peking weidlich ausgeschla­chtet werden. Peking wird das als Zeichen für den generellen Niedergang der USA und ihrer Verbündete­n interpreti­eren.

Reinhard Bütikofer, grü‰ ner EU‰Parlamenta­rier, ist in der Gesellscha­ft für Deutsch‰Chinesisch­e Freundscha­ft aktiv.

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