Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Vom Überleben des Stärkeren
In Jack Londons „Seewolf“geht es auf Leben und Tod
Gehört, gelesen, gesehen hat wohl ein jeder schon mal etwas vom „Seewolf“– Jack Londons BestsellerWelterfolg aus dem Jahr 1904. An zwei Händen ist nicht abzuzählen, wie oft das Buch seitdem schon verfilmt wurde, zuerst als Stummfilm, übrigens mit Jack London selbst in einer Nebenrolle. Wer den Roman noch nicht kennt: Jetzt gibt es Gelegenheit, den „Seewolf“nachzulesen. Wer ihn kennt, der kann ihn nun als Tagesroman dieser Zeitung ab heute/morgen wiederlesen.
Was ist dieser „Seewolf“nicht alles! Ein Reise-, ein Abenteuer-, ein Rettungsroman! Und ein so psychologisch wie handgreiflich geführter Überlebenskampf zwischen zwei unterschiedlichen Menschen auf wogendem Meer. Hier Kapitän Wolf Larsen, ein brutaler und gefährlich intelligenter Despot, da Humphrey van Weyden, ein gebildeter, sensibler, aus dem Meer geretteter Mensch, der sich auf dem Segler „Ghost“, ausgelaufen zum Robbenfang, langsam wird durchsetzen müssen, um zu überleben.
Das tut er auch; er steigt vom malträtierten Küchenjungen zum autodidaktischen Steuermann und zu einem Vertrauten von Larsen auf – trotz aller unterschiedlicher Weltansichten. Im Falle des Kapitäns eine Ansicht, die zündelnd das Prinzip vom Durchsetzen des Stärkeren vertritt und danach handelt.
Dann kommt es zu einer zweiten Lebensrettung auf See, die der schiffbrüchigen Schriftstellerin Maud Brewster, auch sie gebildet und sensibel. Eine Dreiecksgeschichte entspinnt sich; Humphrey van Weyden und Maud Brewster setzen sich mit einem Rettungsboot ab, treffen aber nach Wochen auf einer unbewohnten Insel wieder mit Wolf Larsen zusammen. Der Kampf auf Leben und Tod geht weiter …
Dass er mit Happy End und mit einem Kuss endet, mag der eine Teil der Leserschaft beruhigend finden, der andere Teil sentimental. Aber dass davor nicht Spannung aufgebaut würde, lässt sich nun wirklich nicht behaupten.
Jack London wusste, wovon er schrieb: Er war selbst einige Zeit unter Robbenfängern, er bereiste selbst lange und ausgiebig und abendenkbar teuerlich das Meer, er war auch ein Journalist und eine Art Kriegsberichterstatter hinsichtlich Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen. Seine Romane besitzen durchaus eine gesellschaftspolitische Botschaft – wobei London, ein eifriger Leser zeitgenössischer wissenschaftlicher Literatur, bestens informiert war. „Der Seewolf“ist auch eine Auseinandersetzung, eine Erwiderung auf den Übermenschen Friedrich Nietzsches.
Wiewohl Jack London in jungen Jahren den üblichen rassistischen und sozialdarwinistischen Anschauungen anhing: Er überwand diese Phase – hin zum Humanismus. Er starb 1916 im Alter von nur 40 Jahren; der Alkohol mischte dabei wohl mit.