Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Des Königs letzter Hilferuf
In Schloss Neuschwanstein sind erstmals seit Jahrzehnten wieder diverse Schreibtisch-Utensilien von Ludwig II. zu sehen, mit denen der Monarch Geschichte schrieb
Hohenschwangau Nur drei Tage vor seinem Tod griff Ludwig II. ein letztes Mal zu seinem Federhalter. Es war ein verzweifelter Hilferuf an seinen Cousin. Der König witterte die Verschwörung gegen sich, die ihn vom Thron stürzen und letztlich in den Tod treiben sollte. Bis heute Stoff für unzählige Mythen und Verschwörungstheorien. Jetzt, 135 Jahre später, sind die Utensilien, mit denen der König seinen letzten verzweifelten Hilferuf absetzte, erstmals wieder am Originalschauplatz zu sehen.
Mitarbeiter der Bayerischen Schlösserverwaltung drapierten sie am Donnerstag in Ludwigs Arbeitszimmer auf Schloss Neuschwanstein. Besucher können sie dort noch bis Oktober bestaunen. Neben dem Federhalter aus feuervergoldetem Messing gehört auch eine edelsteinbesetzte Schreibmappe zu den Exponaten. „Sie wurde nun in zweiwöchiger Arbeit restauriert“, sagt Uwe Schatz, der Museumsreferent der Schlösserverwaltung. Gemeinsam
mit einer Mitarbeiterin war er über Stunden damit beschäftigt, die Gegenstände stimmig anzuordnen. „Hektik ist da fehl am Platz“, erklärt Schatz. Sogar ein Meterstab kam zum Einsatz, um die Schreibmappe symmetrisch auszustellen. „Es darf aber auch nicht zu künstlich aussehen.“Schließlich handele es sich bei dem Arbeitszimmer um einen historischen Originalschauplatz, der exakt so erhalten ist, wie Ludwig II. ihn verließ, bevor er interniert wurde.
Mit den neuen Exponaten wurde wortwörtlich Geschichte geschrieben. Denn in Ludwigs Schreibmappe lag der berüchtigte Kaiserbrief, mit dem er 1871 dem Preußen Wilhelm die Krone antrug. Und sich damit weitgehend seiner Souveränität als Herrscher beraubte. „Das Arbeitszimmer Ludwigs ist deshalb auch ein sehr tragischer Ort“, sagt Schatz. Denn in seinen letzten Jahren saß Ludwig hier spätnachts, um unzählige Dokumente, Urkunden und Urteile zu signieren. Echte
Herrschergewalt übte er nicht mehr aus. Das übernahmen die Minister in München. Die waren es auch, die seine Absetzung betrieben. Vier Tage vor seinem Tod erkannte Ludwig die „schändliche Verschwörung“, wandte sich an Bismarck und Cousin Ludwig Ferdinand. Helfen konnte ihm keiner mehr.
Zu sehen waren der Federhalter und die Schreibmappe von einst schon seit Jahrzehnten nicht mehr am historischen Schauplatz. „Sie lagerten zum Teil im Depot oder wurden für Sonderausstellungen verwendet“, sagt Schatz. Grund dafür ist auch ihre Kostbarkeit. Denn die Schreibmappe ist mit Bergkristallen und Halbedelsteinen besetzt. Der Schwan, der die Vorderseite ziert, hat bei der Restaurierung neue, rubinrote Augen bekommen. Auch der Federhalter gilt als sehr wertvoll. Seine Enden zieren eine Schwurhand und ein Antlitz mit offener Zunge. Eine Reverenz an Ludwigs tiefe Religiosität. Diese zeigt sich auch in seinem letzten Brief: „Gott weiß was wohl zu thun“, schrieb Ludwig da noch. Drei Tage später war er tot.