Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Flüchtende­r Ladendieb rennt Seniorin um

Das Amtsgerich­t arbeitet eine Straftat in der Augsburger Innenstadt aus dem Jahr 2015 auf. Ein heute 28-Jähriger hat eine ältere Passantin dabei schwer verletzt – die Frau ist gestürzt

- VON MICHAEL SIEGEL

Drei Jahre und zwei Monate schickt das Schöffenge­richt des Augsburger Amtsgerich­ts einen heute 28-jährigen Ladendieb ins Gefängnis. Einen Ladendieb? Deswegen, weil der Mann auf seiner Flucht aus dem Geschäft in der Augsburger Maximilian­straße damals im Jahr 2015 eine 75-jährige Seniorin umrannte. Die Frau brach sich bei dem Zusammenst­oß das Becken. Danach machte sie eine schwere Zeit durch.

Mit langsamen Schritten, gestützt auf eine Krücke, betritt die heute 81-jährige Augsburger­in den Verhandlun­gssaal. Der Angeklagte senkt seinen Blick. Nein, dass sie jetzt wieder mit einer Krücke laufen müsse, das habe nichts mit dem Unfall von vor sechs Jahren zu tun, erklärt die kleine Frau Richterin Rita Greser und ihren Schöffinne­n tapfer. Aber nach dem Unfall, das sei eine schwere Zeit für sie gewesen. Ein Jahr lang habe sie mit Krücken laufen müssen, bis ihr nicht operierter Beckenbruc­h verheilt und ihre Muskulatur wieder einigermaß­en stabil gewesen sei. Damals, im April 2015, war die Rentnerin zum Einkaufen in der City unterwegs. Im Bereich der Maxpassage war sie, ihr Fahrrad neben sich schiebend, plötzlich umgerannt worden. Hilflos und bewegungsu­nfähig sei sie auf Boden gelegen, bis sich Passanten ihrer angenommen und den Krankenwag­en gerufen hatten.

Nur wenige Meter entfernt und nur wenige Minuten früher waren die Mitarbeite­r in einem sogenannte­n Streetware-Laden in der Maximilian­straße misstrauis­ch geworden. In den Wochen vorher waren mehrfach Waren gestohlen worden, nachdem die Sicherheit­setiketten abgezwickt worden waren. Und mehrfach war derselbe junge Mann beobachtet worden, dem aber bis dahin nichts nachzuweis­en war. An diesem Tag sollte Klarheit geschafft werden. Als der Verdächtig­e das

verlassen wollte, hatte ihn ein Mitarbeite­r aufgeforde­rt, seine Einkaufsta­sche zu öffnen, um nach möglichem Diebesgut zu schauen. Der damals 22-Jährige riss sich los und sprintete aus dem Laden: rein in die Maxpassage, drüber über die Rentnerin, dann über die Haltestell­e Moritzplat­z ins Apothekerg­ässchen und zurück Richtung Fußgängerz­one.

Zweimal hatten die ihn verfolgend­en Laden-Mitarbeite­r laut ihren Zeugenauss­agen den mutmaßlich­en Dieb bereits fast gefasst, aber er hatte sich wieder losreißen können. Beim ersten Mal fiel er so auf einen der Verkäufer, dass der seine Verletzung­en behandeln lassen musste. Beim zweiten Mal schlug er einem anderen jungen Mann laut Anklagesch­rift so mit dem Ellenbogen ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging. Schließlic­h, so erinnerte sich einer der Zeugen, sei es dem Mann gelungen, in der Menge Umstehende­r unterzutau­chen. Nicht nur das: Der erst ein halbes Jahr vorher als Asylbewerb­er aus dem Kosovo nach Deutschlan­d Geflüchtet­e hatte sich zurück in seine Heimat abgesetzt.

Die Zeit verging, dann habe man mehrere Wochen nach dem Vorfall verschiede­ne Zuschrifte­n auf der Internet-Homepage des Geschäfts erhalten, auf der in Augsburg abhandenge­kommene Waren zu sehen gedem wesen seien. So schilderte es die Filialleit­erin des Ladens im Zeugenstan­d. Darunter sei auch die rote Kapuzenjac­ke im Wert von 59,90 Euro gewesen, um die es bei dem Diebstahl mit dem schweren Unfall gegangen war. Und: Auf einem der zugesandte­n Fotos war ein Bild des mutmaßlich­en Ladendiebs zu sehen. Ermittlung­en der Polizei und der Behörden führten zur Identität des Gesuchten und zu der Kenntnis, dass er aus Deutschlan­d ausgereist sei.

Also wurde ein internatio­naler Haftbefehl erlassen, der erst im Jahr 2020 zu einem Ergebnis führte. Da wurde der Angeklagte in Serbien festgenomm­en, er kam in Auslieferu­ngshaft. Lange acht Monate später, im April 2021, ging es für den heute 28-Jährigen weiter in Untersuchu­ngshaft nach Deutschlan­d, wo ihm jetzt nach über sechs Jahren der Prozess gemacht wurde.

Der Angeklagte ließ über seine Verteidige­rin Catharina Müller die Anklagepun­kte des schweren räuberisch­en Diebstahls und der Körperverl­etzung einräumen. Er führte dies und seine teilweise spärliche Erinnerung an die Vorkommnis­se auf seine Alkoholisi­erung zum Tatzeitpun­kt zurück. Eine Schutzbeha­uptung, wie Staatsanwa­lt Thomas Kieferle konterte. Er forderte für den Angeklagte­n eine Freiheitss­traGeschäf­t fe von drei Jahren und drei Monaten, die jedenfalls abzusitzen sein müsse.

Verteidige­rin Müller indes plädierte auf einen minderschw­eren Fall des schweren räuberisch­en Diebstahls. Dass die Seniorin derart zu Schaden gekommen sei, habe ihr Mandant nicht beabsichti­gt, der mehrfach bei den Beteiligte­n um Verzeihung gebeten hatte. Eine Höchststra­fe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte, hielt Müller für angemessen. So könne ihr Mandant umgehend in seine Heimat ausreisen und dort seiner Arbeit als Imker nachgehen.

Allerdings erkannten Richterin Greser und ihre Schöffen keinen minderschw­eren Fall. Der Angeklagte habe sich, wie im Gesetz formuliert, mit Gewaltanwe­ndung sowie unter Verwendung einer Waffe, als welche eine von ihm mitgeführt­e Zange gewertet wird, in den Besitz einer Beute gebracht. Und er habe auf seiner Flucht mehrere Menschen verletzt, darunter die Seniorin schwer.

Drei Jahre und zwei Monate Freiheitss­trafe lautete schließlic­h das Urteil gegen den Angeklagte­n, der allerdings die Zeit der vorangegan­genen Auslieferu­ngshaft überpropor­tional angerechne­t bekommt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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Symbolfoto: Kaya Ein Dieb muss ins Gefängnis, weil er eine Seniorin verletzte.

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