Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Flüchtender Ladendieb rennt Seniorin um
Das Amtsgericht arbeitet eine Straftat in der Augsburger Innenstadt aus dem Jahr 2015 auf. Ein heute 28-Jähriger hat eine ältere Passantin dabei schwer verletzt – die Frau ist gestürzt
Drei Jahre und zwei Monate schickt das Schöffengericht des Augsburger Amtsgerichts einen heute 28-jährigen Ladendieb ins Gefängnis. Einen Ladendieb? Deswegen, weil der Mann auf seiner Flucht aus dem Geschäft in der Augsburger Maximilianstraße damals im Jahr 2015 eine 75-jährige Seniorin umrannte. Die Frau brach sich bei dem Zusammenstoß das Becken. Danach machte sie eine schwere Zeit durch.
Mit langsamen Schritten, gestützt auf eine Krücke, betritt die heute 81-jährige Augsburgerin den Verhandlungssaal. Der Angeklagte senkt seinen Blick. Nein, dass sie jetzt wieder mit einer Krücke laufen müsse, das habe nichts mit dem Unfall von vor sechs Jahren zu tun, erklärt die kleine Frau Richterin Rita Greser und ihren Schöffinnen tapfer. Aber nach dem Unfall, das sei eine schwere Zeit für sie gewesen. Ein Jahr lang habe sie mit Krücken laufen müssen, bis ihr nicht operierter Beckenbruch verheilt und ihre Muskulatur wieder einigermaßen stabil gewesen sei. Damals, im April 2015, war die Rentnerin zum Einkaufen in der City unterwegs. Im Bereich der Maxpassage war sie, ihr Fahrrad neben sich schiebend, plötzlich umgerannt worden. Hilflos und bewegungsunfähig sei sie auf Boden gelegen, bis sich Passanten ihrer angenommen und den Krankenwagen gerufen hatten.
Nur wenige Meter entfernt und nur wenige Minuten früher waren die Mitarbeiter in einem sogenannten Streetware-Laden in der Maximilianstraße misstrauisch geworden. In den Wochen vorher waren mehrfach Waren gestohlen worden, nachdem die Sicherheitsetiketten abgezwickt worden waren. Und mehrfach war derselbe junge Mann beobachtet worden, dem aber bis dahin nichts nachzuweisen war. An diesem Tag sollte Klarheit geschafft werden. Als der Verdächtige das
verlassen wollte, hatte ihn ein Mitarbeiter aufgefordert, seine Einkaufstasche zu öffnen, um nach möglichem Diebesgut zu schauen. Der damals 22-Jährige riss sich los und sprintete aus dem Laden: rein in die Maxpassage, drüber über die Rentnerin, dann über die Haltestelle Moritzplatz ins Apothekergässchen und zurück Richtung Fußgängerzone.
Zweimal hatten die ihn verfolgenden Laden-Mitarbeiter laut ihren Zeugenaussagen den mutmaßlichen Dieb bereits fast gefasst, aber er hatte sich wieder losreißen können. Beim ersten Mal fiel er so auf einen der Verkäufer, dass der seine Verletzungen behandeln lassen musste. Beim zweiten Mal schlug er einem anderen jungen Mann laut Anklageschrift so mit dem Ellenbogen ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging. Schließlich, so erinnerte sich einer der Zeugen, sei es dem Mann gelungen, in der Menge Umstehender unterzutauchen. Nicht nur das: Der erst ein halbes Jahr vorher als Asylbewerber aus dem Kosovo nach Deutschland Geflüchtete hatte sich zurück in seine Heimat abgesetzt.
Die Zeit verging, dann habe man mehrere Wochen nach dem Vorfall verschiedene Zuschriften auf der Internet-Homepage des Geschäfts erhalten, auf der in Augsburg abhandengekommene Waren zu sehen gedem wesen seien. So schilderte es die Filialleiterin des Ladens im Zeugenstand. Darunter sei auch die rote Kapuzenjacke im Wert von 59,90 Euro gewesen, um die es bei dem Diebstahl mit dem schweren Unfall gegangen war. Und: Auf einem der zugesandten Fotos war ein Bild des mutmaßlichen Ladendiebs zu sehen. Ermittlungen der Polizei und der Behörden führten zur Identität des Gesuchten und zu der Kenntnis, dass er aus Deutschland ausgereist sei.
Also wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen, der erst im Jahr 2020 zu einem Ergebnis führte. Da wurde der Angeklagte in Serbien festgenommen, er kam in Auslieferungshaft. Lange acht Monate später, im April 2021, ging es für den heute 28-Jährigen weiter in Untersuchungshaft nach Deutschland, wo ihm jetzt nach über sechs Jahren der Prozess gemacht wurde.
Der Angeklagte ließ über seine Verteidigerin Catharina Müller die Anklagepunkte des schweren räuberischen Diebstahls und der Körperverletzung einräumen. Er führte dies und seine teilweise spärliche Erinnerung an die Vorkommnisse auf seine Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt zurück. Eine Schutzbehauptung, wie Staatsanwalt Thomas Kieferle konterte. Er forderte für den Angeklagten eine FreiheitsstraGeschäft fe von drei Jahren und drei Monaten, die jedenfalls abzusitzen sein müsse.
Verteidigerin Müller indes plädierte auf einen minderschweren Fall des schweren räuberischen Diebstahls. Dass die Seniorin derart zu Schaden gekommen sei, habe ihr Mandant nicht beabsichtigt, der mehrfach bei den Beteiligten um Verzeihung gebeten hatte. Eine Höchststrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte, hielt Müller für angemessen. So könne ihr Mandant umgehend in seine Heimat ausreisen und dort seiner Arbeit als Imker nachgehen.
Allerdings erkannten Richterin Greser und ihre Schöffen keinen minderschweren Fall. Der Angeklagte habe sich, wie im Gesetz formuliert, mit Gewaltanwendung sowie unter Verwendung einer Waffe, als welche eine von ihm mitgeführte Zange gewertet wird, in den Besitz einer Beute gebracht. Und er habe auf seiner Flucht mehrere Menschen verletzt, darunter die Seniorin schwer.
Drei Jahre und zwei Monate Freiheitsstrafe lautete schließlich das Urteil gegen den Angeklagten, der allerdings die Zeit der vorangegangenen Auslieferungshaft überproportional angerechnet bekommt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.