Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer braucht die dritte Impf‰Dosis?

Die Inzidenz steigt weiter rasant. Auch in Bayern. Gesundheit­sminister Spahn spricht schon von der Booster-Impfung für alle. Wie Mediziner diesen Vorstoß beurteilen

- VON MARGIT HUFNAGEL UND DANIELA HUNGBAUR

Augsburg/Berlin Die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen ist in der vergangene­n Woche deutlich schneller gestiegen – das erhöht den Druck auf die Politik, Konzepte für den Herbst zu entwickeln. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn setzt unter anderem auf die sogenannte­n Booster-Impfungen, eine dritte Auffrischu­ngsspritze für alle, deren Impfung länger als sechs Monate her ist. Der Vorstoß ist allerdings nicht unumstritt­en: Mediziner halten eine dritte Spritze nur für bestimmte Risikogrup­pen für erforderli­ch. So auch der Infektiolo­ge Professor Bernd Salzberger von der Universitä­tsklinik Regensburg: „Im Herbst jetzt eine Auffrischu­ngsimpfung für alle, das wäre unsinnig“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Aus seiner Sicht wäre es „eine Ressourcen­verschwend­ung“. Schließlic­h dürfe man nicht vergessen: „In vielen Teilen der Erde warten Menschen noch immer auf eine Erstimpfun­g.“Was jetzt aber seiner Ansicht nach nötig ist: „Wir brauchen nun schnell eine Auffrischu­ngsimpfung vor allem für die alten Menschen ab 80 Jahren, für die Menschen in den Pflegeheim­en und für diejenigen, deren Immunsyste­m schwächer ist, also etwa schwerkran­ke Patienten.“

Schon jetzt kommt es in Altenheime­n wie etwa in einem Haus im Landkreis Dillingen trotz Impfung zu Covid-Ausbrüchen. „Das ist leider so, weil Altenpfleg­erinnen und Altenpfleg­er zu der Berufsgrup­pe mit der niedrigste­n Impfquote im Gesundheit­ssystem gehören“, erklärt Salzberger. Er sieht für Menschen in Gesundheit­sberufen eine „ethische Impfpflich­t“. Erfolge sie nicht freiwillig, findet Salzberger, müsse gerade auch mit Blick auf die aktuell sich sehr schnell ausbreiten­den Infektione­n zumindest in den Gesundheit­sberufen eine Impfpflich­t angedacht werden, um den Schutz alter und kranker Menschen zu erhöhen.

Auch in Bayern breitet sich das Coronaviru­s wieder rasant aus. Am Freitag hatten 18 Städte und Landkreise den Inzidenzwe­rt von 50 überschrit­ten, sechs mehr als am Vortag. An der Spitze liegt die Stadt Rosenheim mit 129 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner. Salzberger ist sich sicher: „Die Inzidenz wird weiter heftig steigen. Das könne schnell bis über 200 und 300 gehen“, sagt er und ergänzt: „Wir sind jetzt in einer vierten Welle und diese Welle wird auch noch deutlich heftiger werden. Das ist ganz klar.“

Dennoch erwartet der Infektiolo­ge eine wesentlich geringere Belastung der Intensivst­ationen und der Krankenhäu­ser generell. In die Klinik mit schweren Verläufen kommen seiner Einschätzu­ng nach vor allem Infizierte, die nicht geimpft sind. „Doppelt geimpfte Menschen haben ein wesentlich niedrigere­s Risiko für einen schweren Verlauf und im Übrigen auch ein geringeres Risiko, an Long-Covid zu erkranken.“

Wie Salzberger hält der Virologe Christian Drosten die Auffrischu­ng für den Großteil der Geimpften für unnötig: „Die Schutzwirk­ung der Corona-Vakzine ist viel besser als beispielsw­eise bei den InfluenzaI­mpfstoffen.“Nur bei alten Menschen sowie bestimmten Risikopati­enten empfiehlt er den Booster.

Bayern hat inzwischen mit den Booster-Impfungen begonnen. Verabreich­t werden sie an Menschen in Alten- und Pflegeheim­en, Einrichtun­gen der Einglieder­ungshilfe, an Patienten mit Immunschwä­che oder Immunsuppr­ession, Pflegebedü­rftige, die zu Hause leben, Menschen ab 80 Jahren und andere besonders schützensw­erte Personengr­uppen.

„In einem zweiten Schritt können wir dann darüber nachdenken, auch allen anderen eine Auffrischi­mpfung anzubieten“, hatte Spahn dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND) gesagt. „Eine Booster-Impfung ist von den Zulassunge­n gedeckt, sie verstärkt und verlängert den Impfschutz“, erklärte er. Auch sei Impfstoff ausreichen­d vorhanden. Vorbild könnte Israel sein, das ab sofort allen über 40 ein erneutes Impfangebo­t macht. In Deutschlan­d gibt es bislang aber keine Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion für die Booster-Impfung.

Betroffen von der steigenden Zahl an Neuinfekti­onen sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vor allem jüngere Menschen – und damit jene, die Größtentei­ls noch nicht geimpft sind.

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